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Das Plakat ist abgerutscht, die Umfragen für Tarek Al-Wazirs Grüne auch.

© AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

„Ein politisches Lebenswerk steht vor dem Aus“: In Hessen stemmt sich Tarek Al-Wazir gegen den grünen Abwärtstrend

Er ist seit Jahrzehnten in der Landespolitik verwurzelt und gilt als beliebtester Politiker Hessens. Doch bei der Landtagswahl könnte Al-Wazirs Parteibuch ihm zum Verhängnis werden.

Tarek Al-Wazir weiß schon, was ihn erwartet. „Jetzt wird gleich jemand mit der Versalzung der Werra kommen“, sagt Al-Wazir und trinkt einen Schluck Sprudel.

Mit hellblauem Hemd, Anzughose und dunklen Lederschuhen steht er auf der saftigen Auenwiese von Witzenhausen und schaut auf die Werra, die gemächlich vorbeifließt. Ein paar Enten treiben darauf. Der Grünen-Politiker im Idyll.

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„Es ist eine Kloake“, empört sich wenige Minuten später eine ältere Frau über den Zustand des Flusses. Jedes Jahr dürfe ein Kali-Konzern flussaufwärts in Thüringen Salzabwasser in den Fluss einleiten.

Zirkus

Tarek Al-Wazir über das Gebaren der Ampelregierung.

Chlorid, Magnesium, Kali, Salzlauge - alles wird in die Werra geleitet. „Und die Grünen stimmen den Ausnahmegenehmigungen permanent zu“, echauffiert sich die Anwohnerin.

Tatsächlich wurde die Genehmigung erst im vergangenen Dezember bis Ende 2027 verlängert. Al-Wazir schwitzt zwar auf der Bühne, doch das liegt am schwülen Spätsommerwetter, hier in Nordhessen.

Inhaltlich ist er vorbereitet. „Seit mehr als 100 Jahren wird Lauge im Bergwerk im Boden versenkt“, erklärt er. Dann erklärt er, man habe die Laugen-Verklappung beendet und die Grenzwerte für die Salzeinleitungen abgesenkt.

Mit Blick auf die vielen gutbezahlten Jobs im Bergbau sei in der strukturschwachen Region Augenmaß wichtig. Mehrere Minuten erklärt Al-Wazir alle Details: „Wir sind dabei, die Lage Schritt für Schritt zu verbessern“

Schritt für Schritt und mit Augenmaß, so versteht Tarek Al-Wazir seinen Politikstil. Er hat ihn weit gebracht. Der Sohn einer deutschen Lehrerin und eines jemenitischen Diplomaten hat sein Leben der hessischen Landespolitik verschrieben.

Die Grünen regieren geräuscharm mit der CDU

Vorsitzender der Grünen Jugend in Hessen, Stadtverordneter in seiner Heimatstadt Offenbach. Ab 1994 Landtagsabgeordneter, später Landesvorsitzender, dann jahrelang Fraktionschef.

Seit 2014 trägt er Verantwortung für sein Bundesland. Mit Volker Bouffier (CDU) gelang es ihm, ein kaum für möglich gehaltenes schwarz-grünes Bündnis zu schmieden, das auch unter Bouffiers Nachfolger Boris Rhein geräuscharm regiert.

Al-Wazir, dessen Nachname Minister bedeutet, ist nicht nur stellvertretender Ministerpräsident, sondern auch Minister für Wirtschaft, Verkehr, Wohnen und Energie.

Tarek Al-Wazir und Volker Bouffier waren Vorreiter.

© Boris Roessler/dpa

Doch der letzte und entscheidende Karriereschritt droht ihm verwehrt zu bleiben. „Da steht ein politisches Lebenswerk vor dem Aus“, sagt ein Grüner, der ihn lange kennt.

Dabei galt Al-Wazir lange als beliebtester Politiker Hessens. In der Parteizentrale in Berlin spekulierte man schon siegesgewiss, man werde nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg einen zweiten Ministerpräsidenten stellen können.

Selbst die AfD könnte an den Grünen vorbeiziehen

Bei seiner Nominierung als Spitzenkandidat schenkten ihm seine Parteifreunde grüne Turnschuhe für die Vereidigung als Landesvater - eine Reminiszenz an Joschka Fischer, der 1985 in eben diesem hessischen Landtag zum ersten grünen Minister vereidigt wurde.

Doch seine veganen Turnschuhe müssen wohl auf ihren Einsatz warten. In Umfragen liegen die Grünen weit abgeschlagen hinter der CDU auf Platz zwei oder drei, selbst die AfD könnte noch an Al-Wazirs Partei vorbeiziehen. Es wäre das totale Fiasko.

Stündliche Busverbindungen in jedes Dorf

Auf der Werra-Wiese in Witzenhausen, wo an diesem schwülen Mittag rund 50 Zuhörer zu dem Bio-Café in einem Bauwagen gekommen sind, schiebt Al-Wazir die schlechten Zahlen weit von sich.

„Wo war Olaf Scholz drei Wochen vor der Bundestagswahl?“, erinnert er an den überraschenden Wahlsieg der SPD. CDU-Kandidat Armin Laschet habe doch schon an seiner Kabinettsliste gearbeitet, witzelt er.

20.000
neue Kitaplätze verspricht Tarek Al-Wazir für Hessen.

Stattdessen spult er sein Programm runter: 10.000 neue Wohnungen, 20.000 neue Kitaplätze, sechs Milliarden Euro für einen landeseigenen Klima- und Transformationsfond für kleine Unternehmen, stündliche Busverbindungen in jedes Dorf.

Später geht es um eine neue Brücke, schlechte Radwege und eine Umgehungsstraße. Es gibt kein Thema, das Al-Wazir überraschen kann. Er ist seit Jahrzehnten im Stoff. „Es gibt noch eine Menge zu tun“, sagt er am Ende.

Vom Klimaschutz wenden sich immer mehr Menschen ab

Doch es sind Durchhalteparolen, das weiß auch Al-Wazir. Längst schielt er auf Platz zwei, den er möglichst deutlich vor Nancy Faesers SPD einfahren möchte.

Denn, wenn sich die Bundesinnenministerin wieder nach Berlin verabschiedet, dürfte es für Amtsinhaber Rhein attraktiver sein, mit dem alten Bekannten die Koalition fortzusetzen, statt mit den führungslosen Sozialdemokraten.

Wir erleben eine veränderungsmüde Gesellschaft.

Tarek Al-Wazir hält das Tempo der Veränderung zuletzt für zu hoch.

Doch sicher ist auch das nicht, denn der Ruf der Grünen hat schwer gelitten. CDU-Parteichef Friedrich Merz dürfte ein Bündnis mit der SPD lieber sein.

Von allen Seiten steht die Ökopartei im Kreuzfeuer, in der Ampel hat sie zunehmend einen schweren Stand, von ihrer Kernkompetenz - dem Klimaschutz - wenden sich immer mehr Menschen ab.

Besuch im Waschsalon

„Wir erleben eine veränderungsmüde Gesellschaft“, sagt Tarek Al-Wazir ein paar Stunden nach seinem Besuch in Witzenhausen in einem Waschsalon in Kassel.

Mit den beiden lokalen Direktkandidatinnen der Grünen tritt er zwischen Waschkörben und Maschinen im Schleudergang auf ein improvisiertes Podest. „Ich stehe für Feldhamster statt Nazis“, sagt die eine. Die andere erklärt: „Wir Grüne machen die ehrlichste Politik, denn wir sagen den Leuten, dass es eine Transformation geben wird.“

Paus brachte bei ihm das Fass zum Überlaufen

Es ist nicht der Ton, den Al-Wazir anschlägt. Er beobachte, dass die Menschen von der Geschwindigkeit der Veränderung überfordert seien. Bei der Verkehrswende etwa, einem großen Thema im autofreundlichen Kassel, müsse man die Menschen Schritt für Schritt überzeugen.

Es ist sein Mantra. Augenmaß und ruhiges Regieren. Das Gegenteil dessen, was seine Parteifreunde in Berlin praktizieren. „Zirkus“, nennt er seit der Blockade des Wachstumschancengesetzes durch die grüne Familienministerin das Gebaren der Ampel.

Es war die Aktion, die bei Al-Wazir das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Über das Vorgehen beim Heizungsgesetz hat er intern den Kopf geschüttelt, nach außen blieb er stets loyal gegenüber Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Die Heizungen erwähnt Al-Wazir weder in Witzenhausen, noch in Kassel. Er ist froh, dass das Thema nicht mehr im Fokus steht. Doch der Schaden bleibt, vom Bundestrend der Grünen konnte er sich bislang nicht entkoppeln.

Und so gibt er den Zuhörern - die meisten sind selbst Grünen-Mitglieder - zum Abschied eine seiner Lebensweisheiten auf den Weg. „Wenn du dein Ziel schneller erreichen willst, geh langsamer.“ Für das Ziel seines Lebenswerkes muss er wohl noch mindestens ein paar Extrameter einlegen.

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