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Kommissionschefin Ursula von der Leyen unterstützt die Reformvorhaben der Zukunftskonferenz.

© Ludovic Marin/AFP

Zukunftskonferenz fordert EU-Reform: Europa neu denken

Die „Konferenz zur Zukunft Europas” stellte heute ihre Ergebnisse vor. Es könnte zu einer rundum erneuerten EU kommen, doch es gibt bereits Widerstand.

Es war eine Rede, die Europa veränderte. Am 9. Mai 1950 trat der damalige französische Außenminister Robert Schuman in Paris vor die Presse. Im Quai d’Orsay – dem französischen Außenministerium - sprach er von der „Vereinigung der europäischen Nationen“. Damit legte er den Grundstein für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), einer der Vorgängerorganisationen der Europäischen Union.

Heute rückte der 9. Mai, mittlerweile als Europatag gefeiert, wieder in den Fokus. Nicht nur, weil Russland seine Militärparade zum Tag des Sieges abhielt, sondern auch, weil diesen Montag die Forderungen der „Konferenz zur Zukunft Europas” den EU-Chefs im Europäischen Parlament in Straßburg übergeben wurden. Falls das Papier auch nur teilweise umgesetzt werden sollte, dann stünde die EU demokratischer und souveräner da als je zuvor.

Zu den insgesamt 49 Forderungen gehören etwa die Absenkung des Wahlalters, transnationale Wahllisten, die Direktwahl des Kommissionspräsidenten oder ein Gesetzesinitiativrecht fürs EU-Parlament. „Wenn man all die Forderungen umsetzen würde, dann würde sich das institutionelle Gefüge stark verändern. Parlament und Kommission bekämen deutlich mehr Macht, der Einfluss der Mitgliedstaaten hingegen würde geschwächt”, erklärt EU-Experte Thomas Malang von der Universität Konstanz dem Tagesspiegel.

Die nun beendete Zukunftskonferenz war einzigartig: Über ein Jahr hinweg arbeiteten zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe mit Abgeordneten, Vertretern der nationalen Regierungen und der Kommission. Dabei diskutierten sie, was in der EU gut läuft, was schlecht läuft, und vor allem; wie es in Zukunft laufen soll.

„Konferenz fand im Schatten der Berichterstattung statt“

Das Herzstück des Projektes war das Konferenzplenum, das nun die 49 konkreten Vorschläge erarbeitet hat. Neben dem Plenum beteiligten sich über eine öffentliche Online-Plattform mehr als 53.000 Menschen und reichten knapp 19.000 Ideen ein. Gemessen an rund 450 Millionen Menschen in der EU aber war die Teilnahme gering.

Die Abschlusskonferenz fand im Europäischen Parlament in Straßburg statt.

© Ludovic Marin/AFP

Ein Grund dafür ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger schlichtweg nichts von der Konferenz wussten. Auch Gunther Krichbaum (CDU), der als einer von zwei Bundestagsabgeordneten an der Konferenz teilnahm, hätte sich ein größeres mediales Interesse gewünscht. „Die Beteiligung hätte höher ausfallen müssen, aber die Konferenz fand einfach im Schatten der Berichterstattung statt“, sagte der ehemalige Europaausschuss-Vorsitzende dem Tagesspiegel.

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Ein positives Fazit ziehe er dennoch, da es „in der Konferenz unglaublich viele engagierte Bürger gab, die sich mit tollen Ideen eingebracht haben“. Ähnlicher Meinung ist Bundestagskollege und Konferenzteilnehmer Axel Schäfer (SPD). „Die Zukunftskonferenz ist ein Meilenstein im europäischen Einigungsprozess und eine maßgebende Innovation für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern”, erklärt der Europapolitiker.

Eine EU-Reform ist schwer umzusetzen

Eine Vielzahl der Vorschläge aber gehen ans Eingemachte, sie benötigten eine Änderung der EU-Verträge. Große EU-Reformen jedoch sind rar, die letzte gab es im Jahre 2007 durch den Vertrag von Lissabon. Besonders kontrovers dürfte darüber hinaus eine Forderung sein: Die Konferenz möchte, dass die EU künftig auch in der Außen- und Sicherheitspolitik per Mehrheitsvotum entscheidet – und nicht mehr einstimmig.

Die Mitgliedsstaaten verlören dadurch ihr Veto und könnten gemeinsame Entscheidungen, beispielsweise Sanktionen, nicht mehr blockieren. Einige Staaten sehen ihre nationale Souveränität dadurch gefährdet. Das Europäische Parlament und die Kommission hingegen signalisieren ihre Unterstützung – denn auch sie würden von vielen der Reformvorschlägen profitieren.

Macron initiierte die Konferenz, wie auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola befürwortet er einen Verfassungskonvent.

© Ludovic Marin/Reuters

„Eure Nachricht ist angekommen und nun ist es Zeit, zu liefern“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu den Konferenzteilnehmern in Straßburg. Dem stimmte das Europäische Parlament zu: „Die Abgeordneten unterstützen die ehrgeizigen Vorschläge des Plenums der Konferenz zur Zukunft Europas, die EU tiefgreifend zu reformieren“, steht auf der Homepage.

Die EU-Abgeordneten kündigten außerdem an, einen sogenannten Europäischen Verfassungskonvent einzuleiten, der eine grundlegende EU-Reform herbeiführen könnte. Noch aber ist das ein langer Weg: Erst muss der zuständige EU-Ausschuss den Prozess offiziell starten und dann muss die Mehrheit der Mitgliedstaaten ihn billigen.

13 Staaten stellen sich gegen einen Verfassungskonvent

Erfahrungsgemäß gehe ein solcher Konvent ungefähr ein Jahr, bevor ihn dann noch die Mitgliedsstaaten ratifizieren müssen, erklärt Politologe Malang.  „Dies kann sich zwar über mehrere Jahre hinweg ziehen. Wenn es aber schnell geht, könnte schon die nächste EU-Wahl unter neuen Voraussetzungen stattfinden.“

Vor allem Ministerrat und Europäischer Rat könnten die Reformbemühungen allerdings blockieren. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es zwar, man begrüße die Vorschläge der Konferenz und wolle sich auch für Mehrheitsentscheide in der Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen. Andere Staaten aber sind verhaltener. Zeitgleich zur heutigen Abschlusskonferenz in Straßburg veröffentlichten 13 Mitgliedsstaaten eine Erklärung, in der sie sich gegen einen Verfassungskonvent aussprachen.

„Wir haben bereits ein Europa, das funktioniert“, heißt es in der Stellungnahme, an der vor allem nördliche und östliche EU-Länder beteiligt sind. Darunter ist auch Tschechien, das im zweiten Halbjahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernimmt und so versuchen könnte, den Prozess zu verschleppen. Noch aber führt EU-Enthusiast Emmanuel Macron den Vorsitz an, er hat seine Unterstützung für Reformen heute bekräftigt. Vielleicht also wird er Europa entscheidend prägen – wie es sein Landsmann Robert Schuman vor 72 Jahren tat.

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