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Bauernprotest in Berlin

© dpa/Sebastian Gollnow

Großdemonstration in Berlin: „Bin kein Bauer, aber sauer!“

Am Montagvormittag sammelten sich Landwirte aus ganz Deutschland zum Protest in Berlin. Auch andere Kreise nutzten die Versammlung für eine Abrechnung mit der Bundesregierung.

Unter den Linden liegt am Montagmorgen der Rauch von Holzfeuern in der Luft. Abgestellte Traktoren auf der gesperrten Straße, Bierzelte und Feuerschalen auf dem Mittelstreifen. Viele, die am frühen Morgen oder am Vorabend aus ganz Deutschland angereist sind, stehen hier zusammen und wärmen sich mit heißen Getränken auf. „Nehmt euch was zur Stärkung mit“, rufen Männer, die Verpflegung aus Kleinbussen kostenlos herausreichen.

Hinter dem Brandenburger Tor zieht sich die Traktorkolonne bis zum Großen Stern. Viele, die hier in Grüppchen auf und abgehen, sind gemeinsam nach Berlin gekommenMan kennt sich, trägt oft die gleiche Montur. Seine ganze Firma sei hier, sagt ein Mann und deutet auf eine unübersehbare Menge. Landesfahnen und Schilder aus Ostfriesland oder Bayern geben angereisten Gruppen Orientierung. Männer in grober Arbeitskleidung scheinen in der Überzahl zu sein. Die Stimmung ist gut, man freut sich an dem Zusammentreffen. 

Die Ursachen sitzen tiefer

Landwirt Georg Neubauer ist mit Freunden um drei Uhr in Oberfranken nach Berlin aufgebrochen. Nun sitzt er fröhlich auf einem Kindertrecker: „Der Bauer macht den ersten Zug, am Ende fällt der König“, dieses Schach-Zitat steht auf dem Anhänger. Die Agrar-Kürzungen der Ampel, sagt Neubauer, seien nur der Anlass für ihren Protest. Die Ursachen sitzen tiefer, in einer seit Jahrzehnten verfehlten Agrarpolitik der EU. Besonders Bayern gegenüber, von wo aus viel Geld in den Europahaushalt fließt.

Landwirt Georg Neubauer aus Bayern

© Henning Onken/TSP

Uns allen geht es schlecht.

Christian aus Flensburg, Garten- und Landschaftsbauer

„Unsere Arbeit ist auf dem Feld“, sagt Reinhold Baumann, der mit seiner Frau Gertrud am Morgen aus der Bodenseeregion nach Berlin gefahren ist. Die beiden betreiben einen kleinen Bio-Bauernhof, auf dem unter anderem Hopfen angebaut wird. Sie leiden unter einer „irrsinnigen Bürokratie“, die sie mindestens zwei Tage in der Woche ins Büro zwingt. Das Thema Subventionen habe das Fass zum Überlaufen gebracht, sagen die beiden. Jetzt sind sie gekommen, um für bäuerliches Leben in ihrer Heimat einzustehen.

Die Bio-Bauern Gertrud und Reinhold Baumann

© Henning Onken/TSP

Je näher die für 11.30 Uhr angekündigte Rede von Finanzminister Christian Lindner rückt, desto größer wird das Gedränge um den Platz des 18. März. Die gute Stimmung ist dahin, man ist wütend: Man hupt, trommelt und pfeift seinen Ärger über „die Ampel“ hinaus. „Uns allen geht es schlecht“, sagt Christian aus Flensburg. Der Garten- und Landschaftsbauer hat Existenzängste, sieht das ganze Land am Abgrund.

Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker unter den Teilnehmern

Hier zeigt sich, wie heterogen sich die Massenkundgebung zusammensetzt: Zwischen Landwirten und Spediteuren drehen Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker mit Flyern ihre Runden. „Bin kein Bauer, aber sauer“, steht als solidarischer Gruß auf Warnwesten einiger Teilnehmer. Ein stummer Sensenmann hält drei Schlingen aus „Lügen, Schulden und Krieg“ für die Ampel-Regierung bereit. „Volksverräter“, haben Marlis und Hartmut Nehmer auf ihr Transparent geschrieben, neben das Symbol einer Ampel. Die Rentner und „Hobbygärtner“ aus einem Dorf nahe Neuruppin ärgern sich über Vieles, allem voran die Asyl- und Migrationspolitik.

Norman ist zwar kein Landwirt, aber gestern extra aus Stuttgart nach Berlin gekommen. „Zeit es zu beenden“, steht auf seinem Schild, das er bereits im Jahr 2020 bei einem Querdenker-Protest gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin gehalten hat. Noch immer gebe es politische Gefangene aus jener Zeit, sagt er. „Die Regierung muss weg!“ Und wer sollte stattdessen das Land regieren? „Jedenfalls kein Kaiser oder König“, sagt Norman. „Schade, dass die Bauern jetzt erst aufwachen.“

Christian Lindner von der „Falschen Demokraten-Partei“will man am liebsten nicht zu Wort kommen lassen. Als er schließlich vor die Menge tritt, ist seine Rede im Tiergarten nicht zu verstehen. „Hau ab, hau ab“, immer wieder verstärken tausende Menschen dieses Echo in Richtung Bühne. Sie wollen ihn nicht hören. Es klingt wie im Fußballstadion: Tröten, Pfeifen, vereinzelt werden Böller und Bengalos gezündet.

Im Lärm schallen einzelne Satzfetzen von Lindners Rede durch den Tiergarten: „Die Vorgängerregierung...“, ruft der Minister. Und: „Lassen Sie uns gemeinsam...“, doch wird er schon wieder ausgebuht. „Von wegen gemeinsam“, brüllt jemand und stößt ein spöttisches Lachen aus. Man glaubt Lindner nicht.

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