zum Hauptinhalt
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) besucht eine temporäre Container-Wache der Polizei.

© dpa/ Thomas Banneyer

Update

Innenminister Reul sieht „keine Wahl“: Polizei blickt „sorgenvoll“ auf Räumung von Lützerath

Hunderte Demonstranten befinden sich in Lützerath, um eine Räumung des Ortes für den Kohleabbau zu verhindern. Die Räumung dürfte eine Herausforderung für die Polizei werden.

Die Aachener Polizei schaut „sorgenvoll“ auf die kommenden Tage und Wochen, in denen die Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Dorfes Lützerath beginnen könnte. „Das wird ein herausfordernder Einsatz mit vielen Risiken“, sagte Polizeipräsident Dirk Weinspach am Montagmorgen im WDR.

In der vergangenen Woche sei es bei den Lützerath-Protesten überwiegend friedlich geblieben - am Sonntag aber sei es „das erste Mal wieder eskaliert“. Unter anderem seien Steine geflogen. „Das ist erstmal kein gutes Zeichen“, sagte Weinspach. „Ich hoffe, dass das sich nicht wiederholen wird in der nächsten Woche.“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach bereits die eventuell folgende Diskussion über den entsprechenden Polizeieinsatz an. Er hoffe, dass „das Ganze“ nachher nicht „wie immer“ in eine Debatte ausarte, ob die Polizei das habe tun müssen, sagte Reul am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Es bleibt uns keine Wahl. Wenn wir Zustände wie in anderen Staaten nicht haben wollen - dass Menschen wild auf die Straße gehen, dass Unruhen entstehen - dann müssen Regeln auch eingehalten werden“, sagte er

Im Anschluss an eine Versammlung und ein Konzert im Braunkohleort Lützerath war es am Sonntag zu Übergriffen gekommen. Die Veranstaltungsfläche sei von Aktivisten gestürmt worden, teilte die Polizei in Aachen auf Twitter mit.

Auch habe es Sachbeschädigungen und Eigentumsdelikte gegeben. Eine Person sei in Gewahrsam genommen worden.

Mehrheit der Aktivisten „friedlich orientiert“

Es handle sich bei den Aktivisten in Lützerath um eine „gemischte Szene“, sagte Weinspach am Montag im WDR. Überwiegend sei sie „bürgerlich und friedlich orientiert“. Ein kleiner Teil sei zu Gewaltstraftaten bereit. „So war es zumindest in der Vergangenheit“, sagte Weinspach.

Aktivisten stehen vor einem Schriftzug am Braunkohleort Lützerath.

© AFP/ INA FASSBENDER

Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur erklärte nach den Vorfällen am Sonntag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, Gewalt als Mittel der Wahl, eigene Ziele durchzusetzen, könne sie überhaupt nicht akzeptieren.

„Wer Einsatzkräfte bedroht oder gar verletzt, überschreitet eine Linie“, sagte die Grünen-Politikerin. Gewalt sei immer die schlechteste aller Lösungen. „Deshalb bitte ich alle Beteiligten in und um Lützerath, sich friedlich zu verhalten und nicht an der Eskalationsschraube zu drehen“, teilte Neubaur mit.

Die Polizei hatte sich den Tag über im Hintergrund gehalten. Nach ihrer Einschätzung hatten etwa 2000 Teilnehmer in Lützerath an einem Sonntagsspaziergang in dem Ort am Tagebau teilgenommen. Die Veranstalter hatten eine höhere Zahl angegeben. 

Aktivisten wollen sechs Wochen bleiben

Das Aktionsbündnis „Lützerath unräumbar“ lud zu verschiedenen Protestaktionen ein, an denen auch die bekannte Aktivistin Luisa Neubauer teilnahm. Luka Scott, Sprecherin der Gruppe Ende Gelände, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von „unglaublich vielen Menschen“, die vor Ort seien. 

Die Aktivisten wollen die geplante Räumung wochenlang verzögern. „Wir hoffen, dass wir Lützerath sechs Wochen lang halten können“, sagte Dina Hamid, Sprecherin der Initiative Lützerath. Derzeit befänden sich 700 Menschen in dem Erkelenzer Ortsteil.

Klimaschutzaktivisten stehen am Rand des Tagebaus.

© Henning Kaiser/dpa

Geplant seien unter anderem weitere Sitzblockaden sowie die Besetzung von Baumhäusern und Hütten. Die aus wenigen Häusern bestehende Ortschaft liegt unmittelbar an der Abbruchkante des Tagebaus. Die Räumung wird in naher Zukunft erwartet.

Vertreter eines aus mehreren Gruppen bestehenden Aktionsbündnisses „Lützerath unräumbar“ bekräftigten ihre Entschlossenheit, der Räumung entgegenzutreten. In dem Bündnis haben sich unter anderem Organisationen und Initiativen wie Ende Gelände, Fridays for Future, Alle Dörfer bleiben und Letzte Generation zusammengeschlossen.

In Lützerath ist die Grenze des Weiter-so erreicht.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer

Ein von den „Parents for Future“ auf Twitter verbreitetes Video zeigte Luisa Neubauers Rede in Lützerath, in der sie sagte: „Irgendwann muss Schluss sein. Wenn man weniger Zerstörung will, dann braucht man weniger Weiter-so.“

Die Kohle müsse im Boden bleiben. „Seit Jahren erleben wir die Klimafolgen, im Sommer 2022 wüteten in ganz Europa die gravierendsten Waldbrände, die Zerstörung muss aufhören, die bisher durch die deutsche Politik und Wirtschaft befeuert wird.“

Die Kohle müsse im Boden bleiben, sagt Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

© Annette Riedl/dpa

In Lützerath haben sich Kohlegegner niedergelassen. Sie leben in besetzten Gebäuden, Zelten und Baumhäusern. Die ursprünglichen Bewohner sind längst weggezogen. Die Umsiedlung von Lützerath und umliegender Orte begann im Jahr 2000.

Boden und Häuser des von Ackerbau geprägten Ortes gehören längst der Tagebaubetreiberin RWE. Mit dem Energieunternehmen haben die grün geführten Wirtschaftsministerien in Bund und NRW im Oktober 2022 einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg im Rheinland vereinbart.

Fünf zuvor vom Abriss bedrohte Dörfer im Umfeld des Tagebaus sollen erhalten blieben. Der Ort Lützerath mit nur noch wenigen Häusern soll aber weichen, um die darunter liegende Kohle abzubauen.

Konzert wegen Unterspülung verlegt

Am Sonntag kam es am Rande von Lützerath zu einer Unterspülung der Tagebaukante mit Wasser. Dadurch bestehe in dem darüber liegenden Areal akute Lebensgefahr, warnte die Polizei. Das Konzert der Kölner Band AnnenMayKantereit war deshalb in Absprache mit dem Veranstalter in einen anderen Bereich verlegt worden, sagte eine Polizeisprecherin.

Ausgelöst worden sei die Unterflutung durch einen Wasseraustritt aus einem Rohr. Wie es dazu gekommen sei, werde derzeit geprüft.

In den sozialen Netzwerken riefen Initiativen unter anderem mit dem Hashtag #LuetzerathUnraeumbar dazu auf, sich am Widerstand gegen die Räumung zu beteiligen. Auf den Straßen von Lützerath wurden weitere Barrikaden errichtet, unter anderem betonierten Aktivisten Gasflaschen in die Fahrbahnen ein, um diese unpassierbar zu machen.

Der Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid sagte der dpa, in Lützerath entscheide sich, ob es die Ampel-Regierung mit dem Klimaschutz ernst meine. „Die Kohle unter Lützerath zu verfeuern, bedeutet den Bruch mit den Pariser Klimazielen. Wir brauchen die Kohle unter dem Dorf nicht mehr und können es uns schlichtweg nicht leisten, diesen klimaschädlichsten aller Energieträger weiter zu verbrennen.“ Das Profitinteresse von RWE dürfe keinen Vorrang vor dem Allgemeinwohl, dem Schutz des Planeten und dem Erhalt der Lebensgrundlagen haben. (dpa, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false