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Björn Höcke, AfD-Landesvorsitzender und Fraktionschef im Thüringer Landtag, spricht während einer Kundgebung der AfD in Thüringen.

© picture alliance/dpa/Martin Schutt

Kampf gegen Demokratie-Feinde: Kann man Höcke & Co. ihre Grundrechte nehmen?

Neben einem Parteiverbot wird derzeit diskutiert, einzelnen AfD-Funktionären ihre Grundrechte abzuerkennen. Es wäre ein juristisches Novum, aber keineswegs aussichtslos.

Forderungen nach einem Parteiverbot werden nach den jüngsten Enthüllungen im Umfeld der AfD immer lauter. Doch es gibt weitere juristische Hebel, die in Bewegung gesetzt werden können.

Geradezu folgerichtig erscheint die Idee, denjenigen, die die Demokratie unterwandern wollen, ihre Grundrechte zu nehmen. Für einen Rechtsstaat klingt das abenteuerlich − unmöglich ist es aber nicht.

Die wehrhafte Demokratie

Das Grundgesetz sieht verschiedene Wege vor, die Verfassungsordnung zu schützen. Zusammengefasst werden sie gemeinhin unter dem Schlagwort „wehrhafte Demokratie“.

Neben dem derzeit viel diskutierten Parteiverbot gibt es etwa die Möglichkeit eines Vereinsverbots. Damit könnte zwar nicht die AfD selbst verboten werden, wohl aber ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“.

Die Maßnahmen schließen sich dabei nicht aus: So wäre es etwa möglich, zugleich ein Parteiverbot zu beantragen und ein Verfahren zur Grundrechtsverwirkung einzelner AfD-Funktionäre anzustrengen. Auch strafrechtliche Ermittlungen, etwa wegen Volksverhetzung, könnten parallel dazu laufen.

Ex-Verfassungsrichterin regte Grundrechtsverwirkung an

Die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hat für AfD-Politiker im Oktober des vergangenen Jahres eine Grundrechtsverwirkung, also den Entzug einzelner Grundrechte, ins Spiel gebracht. Das sei zielgenauer als ein Parteiverbot, dessen Erfolgsaussichten ohnehin offen seien, argumentierte sie auf dem „Verfassungsblog“.

Bei jemandem wie Höcke wäre ein solches Verfahren durchaus aussichtsreich.

Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster

Denn: Es werden nur einzelne Akteure eingeschränkt. Das Verfahren zur Grundrechtsverwirkung erfordere in tatsächlicher Hinsicht auch weniger umfangreiche Ermittlungen als ein Parteiverbot, argumentierte Lübbe-Wollf. Wenn es zügig betrieben wird, ist es also schneller durchführbar als ein Parteiverbotsverfahren.

Petition will Verfahren gegen Höcke ins Rollen bringen

Die Petitionsplattform „Campact“ griff die Idee auf. Sie sammelt erfolgreich Unterschriften für eine Petition, die auf ein Verfahren zur Grundrechtsverwirkung bei Björn Höcke abzielt.

Der Thüringer AfD-Chef ist nicht nur die wohl lauteste Person in der Partei, sondern auch die radikalste. Er warnte etwa vor dem „lebensbejahende(n) afrikanische(n) Ausbreitungstyp“ und bezeichnete das Holocaust-Mahnmal als ein „Denkmal der Schande“. Nach einer Gerichtsentscheidung darf er als Faschist bezeichnet werden.

Wer Grundrechte missbraucht, kann diese verlieren

Doch was hat es mit der sogenannten Grundrechtsverwirkung auf sich? Nach Artikel 18 des Grundgesetzes kann derjenige, der die Meinungs-, die Versammlungs- oder die Vereinigungsfreiheit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (s. Infokasten) missbraucht, diese Grundrechte verwirken.

Die AfD versuchte vor einigen Jahren selbst, Artikel 18 für ihre Zwecke zu nutzen. Ihr Vorschlag: die Religionsfreiheit in den Katalog der Freiheitsrechte, die verwirkt werden können, aufzunehmen. Sie wollte damit die Grundrechte islamistischer Hassprediger beschneiden.

Die Norm ist als Antwort auf Entwicklungen zur Zeit der Weimarer Republik und unter Hitler zu sehen: die allmähliche Unterwanderung des Staates und seiner Institutionen sowie eine Aushöhlung der Verfassungsordnung von „innen heraus“. Kurzum: Verfassungsfeinde sollen nicht unter Ausnutzung der Demokratie die Demokratie abschaffen können.

Goebbels hatte dieses Vorgehen damals so beschrieben: „Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir.“

Entscheidung liegt beim Bundesverfassungsgericht

Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, hält ein Vorgehen, das auf den Entzug einzelner Grundrechte bei bestimmten AfD-Politikern gerichtet ist, für möglich: „Bei jemandem wie Höcke wäre ein solches Verfahren durchaus aussichtsreich“, sagte er dem Tagesspiegel. 

Ähnlich wie bei einem Parteiverbot kann auch über die Grundrechtsverwirkung nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Es wird nicht von sich aus tätig, sondern auf Initiative von Bundestag, Bundesregierung oder einer Landesregierung.

Auch wenn jemandem einzelne Grundrechte entzogen werden, wird er insofern nicht rechtlich auf null gestellt.

Fabian Wittreck

Das Verfahren läuft − insofern ist der Begriff „Grundrechtsverwirkung“ etwas irreführend − nicht darauf hinaus, dass der Betroffene vollumfänglich seine Grundrechte verliert. Das wäre in einem Rechtsstaat undenkbar. Vielmehr stellt das Bundesverfassungsgericht fest, welches spezifische Grundrecht dem Betroffenen entzogen wird.

Kein vollständiger Verlust eines Rechts

Ein Beispiel: Das Gericht könnte Höcke seine Versammlungsfreiheit entziehen. Würde er dann eine Versammlung anmelden, könnten die Behörden diese leichter verbieten. Ganz „verlieren“ kann Höcke seine Versammlungsfreiheit aber auch nicht.

„Selbst wenn jemandem einzelne Grundrechte entzogen werden, wird er insofern nicht rechtlich auf null gestellt“, gibt Professor Wittreck zu bedenken.

Denn in Deutschland werden Einzelne nicht nur durch das Grundgesetz geschützt, auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechte-Charta folgen Rechte.

„Dazu kommen die Landesverfassungen. In diesen gibt es teilweise ähnliche Grundrechte wie im Grundgesetz“, erklärt Professor Wittreck. Die Thüringer Landesverfassung etwa, auf die sich Höcke berufen kann, gewährt wie das Grundgesetz Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Höcke könnte von Wahlen ausgeschlossen werden

Das Bundesverfassungsgericht kann darüber hinaus entscheiden, dass der Betroffene das aktive und passive Wahlrecht und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verliert. Im Fall Höckes würde das heißen, dass er nicht mehr ins Parlament gewählt werden kann.

Die Grundrechtsverwirkung muss sich allerdings noch in der Praxis bewähren. Seit Bestehen der Bundesrepublik ist Artikel 18 des Grundgesetzes noch nie angewandt und sind niemandem die Grundrechte entzogen worden.

„Über mögliche Folgen haben sich die Juristen bisher wenige Gedanken gemacht, weil die Norm ohne praktische Bedeutung war“, meint Professor Wittreck. Das aber könnte sich schon bald ändern.

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