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China rüstet seine Armee seit Jahren auf.

© Getty Images / Jia Fangwen

Kein Handel, kein Krieg?: Habecks umstrittene China-Strategie überrascht die Koalition

China könnte bis 2027 in Taiwan einmarschieren, befürchten Experten des Wirtschaftsministeriums und fordern weniger Handelsbeziehungen. Daran gibt es Kritik.

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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant offenbar einen Bruch mit der bisherigen China-Politik und will eine stärkere Unabhängigkeit der deutschen Wirtschaft von diesem wichtigen Exportmarkt erreichen.

Der Grünenpolitiker beabsichtige, deutschen Firmen mit starkem Chinageschäft neue Berichtspflichten aufzuerlegen und die politische Unterstützung für deutsch-chinesische Wirtschaftsprojekte herunterzufahren, berichtete das Nachrichtenportal „The Pioneer“ unter Berufung auf ein Papier des Ministeriums zu einer China-Strategie.

Das Erpressungspotenzial Deutschlands sei angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen hoch, heißt es demnach darin. Das fast 100-seitige Dokument, das auch dem Tagesspiegel vorliegt, sei nicht in der Bundesregierung abgestimmt worden, berichtete das Portal weiter.

Der grüne Minister habe es diese Woche in einer Leitungsrunde angenommen und eine zügige Umsetzung der Maßnahmen versprochen. Geplant seien etwa neue Berichtspflichten für deutsche Firmen mit starkem China-Geschäft.

Für die Öffentlichkeit war das Papier eigentlich nicht vorgesehen. „Interne Arbeitsstände und interne Prozesse kommentieren wir grundsätzlich nicht“, sagte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel.

Auch im Auswärtigen Amt wurde eine Strategie erarbeitet

Die Beamten des Ministeriums rechnen dem Bericht zufolge mit einer Annexion Taiwans durch China spätestens 2027 im 100. Gründungsjahr der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium schlägt demnach als Gegenmaßnahme unter anderem vor, den Fokus auf „alternative Zukunftsmärkte wie Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika sowie eine Neufassung der Außenwirtschaftsförderung“ zu legen.

2027

Bis zum 100. Gründungsjahr der Volksbefreiungsarmee rechnet das Wirtschaftsministerium mit einem Einmarsch Chinas in Taiwan.

Die Koalitionspartner SPD und FDP reagierten mit Verwunderung. Denn Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat eine eigene Vorlage für die geplante China-Strategie der Bundesregierung ausarbeiten lassen, deren Inhalt kürzlich bekannt wurde.

Darin benennt das Auswärtige Amt ebenfalls Risiken, betont aber zugleich die Notwendigkeit von einer weiteren Kooperation mit dem asiatischen Land. In Koalitionskreisen hieß es, Habecks Vorgehen sei nur mit der persönlichen Konkurrenz der beiden Grünen-Spitzenpolitiker im Kampf um die Spitzenkandidatur für die nächste Bundestagswahl erklärbar.

Robert Habeck auf dem Bundesparteitag der Grünen.
Arbeitet Robert Habeck schon an seiner Kanzlerkandidatur?

© Foto: IMAGO/Political Moments

„Ich halte es für sehr problematisch, wenn in einem Papier des Vizekanzlers ein Krieg zwischen der Volksrepublik China und Taiwan für das Jahr 2027 als nahezu unausweichlich angenommen wird“, sagte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Statt zu spekulieren, solle man besser deeskalierend wirken.

Ein Bruch von heute auf morgen ist angesichts der Wertschöpfungsketten kaum möglich.

Reinhard Houben, FDP-Wirtschaftsexperte warnt vor vorschnellen Schlüssen gegen China

„Die Feststellung, dass es sich bei China um einen systemischen Rivalen handelt, ändert wenig an dem Fakt, dass wir handelspolitischen eng verflochten sind“, sagte FDP-Wirtschaftsexperte Reinhard Houben dem Tagesspiegel. Ein Bruch von heute auf morgen sei angesichts der Wertschöpfungsketten kaum möglich. Allerdings zeige die Strategie, „dass die Zeit der außenpolitischen Blauäugigkeit vorüber ist“. Es müsse vorrangiges Ziel sein, sowohl die Abhängigkeit von China durch vertiefte Partnerschaften mit demokratischen Partnern zu verringern und in der Beziehung mit China auf mehr Reziprozität beim Marktzugang zu pochen.

Außenpolitik-Experten bewerten das Papier sehr unterschiedlich. Thorsten Benner, Co-Chef des Thinktanks Global Public Policy Institutes, sagte, das Papier biete „eine sehr realistische Bestandsaufnahme der Herausforderung Chinas und skizziert klare Handlungsoptionen“.

Die Autoren haben offensichtlich wenig Ahnung von China und stellen sich aus dem Wirtschaftsministerium heraus gegen die gesamte deutsche Wirtschaft.

China-Experte Eberhard Sandschneider kritisiert das Papier aus dem Ministerium

Es sei wichtig, dass der Entwurf „die heilige Dreifaltigkeit der Chinapolitik von China als ,Partner, Wettbewerber, Systemrivale‘ neu vermesse. Bislang habe man sich in der Illusion wiegen können, dass die drei Charakteristika gleichgewichtet seien. „Das Papier macht klar, dass die Systemrivalität heute klar im Vordergrund steht und Möglichkeiten zur Kooperation überformt“, meinte Benner.

Dagegen sagte China-Experte Eberhard Sandschneider: „Die Autoren haben offensichtlich wenig Ahnung von China und stellen sich aus dem Wirtschaftsministerium heraus gegen die gesamte deutsche Wirtschaft. Schon die geplante Berichtspflicht für Unternehmen ist weltfremd.“

Der frühere Chef der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik fügte hinzu: „Zwei grüne Politiker versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen in dem sicheren Wissen: Wer China kritisiert, hat innenpolitischen Applaus sicher. Bei Lichte besehen ist das ideologische getriebene, inkompetente Chinapolitik.“

17
Chinesische Investitionsvorhaben prüft das Wirtschaftsministerium aktuell

Kanzler Olaf Scholz hatte zuletzt eine deutlich weniger harte Politik gegenüber China verfolgt und etwa gegen den Widerstand der Grünen, den Verkauf von Teilen des Hamburger Hafens an eine chinesische Firma befürwortet.

Aktuell liegen im Bundeswirtschaftsministerium nach Tagesspiegel-Informationen noch 17 Investitionsprüfungsanträge, bei denen chinesische Investoren deutsche Unternehmen kaufen wollen. Bei einem Großteil handelt es sich offenbar um Informations- und Kommunikationstechnologie.

Um welche Unternehmen es sich handelt, ist unklar und soll auch geheim bleiben, damit die Prüfung nicht politisiert wird. Doch im Wirtschaftsministerium ist man besorgt. „Chinesische Unternehmen investieren in Deutschland nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus politischen Gründen“, hieß es aus Kreisen des Ministeriums.

„Man kann nur darauf hoffen, dass einige vernünftige Beamte im Wirtschaftsministerium dafür gesorgt haben, dass dieses Papier so rechtzeitig geleaked wurde, dass es in der Öffentlichkeit zerrupft werden kann, bevor es Wirkung zeigt“, sagte Sandschneider und fügte hinzu: „Zur Not muss das Kanzleramt dafür sorgen, dass nicht solche kruden Gedanken die künftige China-Strategie der Bundesregierung bestimmen.“

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