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Deutschland braucht eine neue Willkommenskultur, fordert Michael Löcher vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge.

© imago/Müller-Stauffenberg

135 Jahre Deutscher Verein: Lobby des Sozialen

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge feiert sein 135-jähriges Jubiläum. Seit der Gründung 1880 kümmert er sich um Menschen in Notlagen.

Miserable Wohnverhältnisse, zerrüttete Familien, verwahrloste Kinder: Wie jeder Fortschritt hatte auch die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert ihre Schattenseiten. Vor allem in den Städten, in die Massen auf der Suche nach Arbeit strömten, war die soziale Not enorm – genau wie der Druck auf die Kommunen. „Eine sozialrechtliche Unterstützung, wie wir sie heute kennen, gab es nicht“, sagt Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge.

Doch plötzlich tut sich etwas: 1879 wirbt der Senator der Stadt Gotha, Albert Doell, in einer Denkschrift für die Gründung eines „Centralvereins der Armenpflege“. Seine Vision: die zersplitterten Armenverbände und die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteure zusammenzubringen, um wirksame Methoden der Armenhilfe zu diskutieren. „Heute würden wir es Best-Practice-Austausch nennen“, sagt Löher. Doells Idee fällt auf fruchtbaren Boden. 1880 findet in Berlin die erste deutsche „Armenpflegerkonferenz“ statt. Ihre Teilnehmer gründen den Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit. Und schreiben damit das erste Kapitel einer eindrucksvollen Erfolgsgeschichte.

Heute ist der Deutsche Verein, der aus Doells Initiative hervorgegangen ist, mit seinen 2000 Mitgliedern – darunter Kommunen, Landkreise, Bundesländer, die Freie Wohlfahrtspflege, Hochschulen und Einzelpersonen – eine einzigartige Plattform des Sozialen. „Es gibt in Europa keine vergleichbare Organisation“, sagt Löher. Bereits zum 80. Mal veranstaltet der Verein in diesem Jahr den Deutschen Fürsorgetag.

"Wir müssen Deutschland zu einem inklusiven Land entwickeln"

So bunt wie die Mitgliederschar ist auch die Themenpalette – und reicht von der Babyklappe bis zur Demenz. Kann man bei dieser Problemfülle noch passgenaue Lösungen anbieten? „Soziale Fragestellungen bedingen sich gegenseitig“, sagt Löher. Wer arbeitslos sei, habe mit vielen Problemlagen zu kämpfen. Behinderung, Drogenabhängigkeit, Erziehung, häusliche Gewalt: „Die realen Familiendramen lassen sich nie in einem einzigen System erfassen.“ Dafür hatte der Verein schon immer ein feines Gespür. Und hat sich im Laufe der Jahre als Seismograf und Impulsgeber im sozialen Bereich zunehmend professionalisiert.

2004 zog die Geschäftstelle von Frankfurt am Main nach Berlin, zurück zu ihren Ursprüngen. Näher ran an die Politik war das Ziel. Inzwischen sind hier 86 Mitarbeiter tätig, davon 40 wissenschaftliche Referenten, die auch das Parlament beraten. „Wir sind keine Lobbyisten, die Lobby des Sozialen trifft das eher“, sagt Löher. Regelsätze in der Sozialhilfe, Einführung der Pflegeversicherung oder die Reform des Jugendhilferechts sind nur einige Beispiele für Gesetze, die von dem Verein angeregt wurden. Auch bei der Arbeit vor Ort ist seine Expertise gefragt. „Es gibt kein Sozialamt, kein Jugendamt in Deutschland, das sich nicht nach unseren Empfehlungen richtet.“

In diesem Jahr feiert der Verein sein 135-jähriges Jubiläum. Der bisher größte Erfolg? „Dass es uns stets gelungen ist, die einzelnen Mitgliederinteressen zurückzustellen und scheinbar unvereinbare Positionen unter einem Dach zusammenzubringen“, sagt Michael Löher. Und so soll es weitergehen. „Wir müssen Deutschland zu einem inklusiven Land entwickeln und eine Willkommenskultur für Menschen aus anderen Ländern schaffen.“ Das gilt besonders für die Flüchtlinge: Es gehe darum, Perspektiven zu öffnen und ihr Potenzial besser zu nutzen.

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