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Tobias Hans (CDU), Ministerpräsident des Saarlandes.

© Oliver Dietze/dpa

Saar-Ministerpräsident Tobias Hans: „Mit einer vierten Welle nicht zu rechnen, wäre blauäugig“

Tobias Hans spricht im Interview über Vorsorge für die vierte Welle, Markus Söder im Wahlkampf und Säle voller Männer

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Beim Impfgipfel haben die Länder dem Bundesgesundheitsminister ein Impfkontingent für Kinder und Jugendliche abgeschlagen. Hat Jens Spahn vorher den Mund zu voll genommen?
Nein, man muss ganz im Gegenteil den Minister ausdrücklich dafür loben, wie in den letzten Wochen das Impftempo zugenommen hat. Es ist auch richtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir für Kinder und Jugendliche ein Impfangebot machen können. Aber das Dilemma ist doch: Wir haben begrenzte Impfdosen und zugleich eine Ausweitung der Gruppen, für die eine Impfung in Frage kommt. Ich muss also entweder älteren Menschen, die anderweitig priorisiert sind, den Impfstoff wegnehmen zugunsten einer Priorisierung von Kindern und Jugendlichen. Oder wir gehen das jetzt erst einmal vorsichtig an und sagen: Eltern können sich ab dem 7. Juni um einen Impftermin für ihre Kinder bemühen – aber eben genauso wie alle anderen Impfwilligen.

Lastet das nicht den Eltern zu viel Verantwortung auf für einen Eingriff mit kaum bekannten Nebenfolgen?
Wir haben uns beim Gipfel mit dem Leiter der Ständigen Impfkommission (StIKo) darüber unterhalten. Kinder und Jugendliche sind von schweren Krankheitsverläufen deutlich unterproportional betroffen. Deshalb macht es Sinn, dass wir zunächst die Ergebnisse von Studien aus den USA und Kanada abwarten, wo Kinder schon länger geimpft werden, und ansonsten jetzt erst mal alle Kraft daransetzen, die stärker gefährdeten Teile der Bevölkerung zu schützen. Eine Sache ist allerdings in der Kommunikation etwas schräg gelaufen: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Impfung und Schulbesuch. Für die Rückkehr zum Präsenzunterricht ist es nicht erforderlich, dass alle geimpft sind.

Aber entsteht nicht ganz automatisch auf dem Schulhof eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn Geimpfte alle Freiheiten erhalten?
Wir werden an den Schulen keine unterschiedlichen Regelungen haben. Klar, wenn jemand vollständig geimpft ist, dann braucht man sich auch als Schüler:in nicht mehr testen zu lassen. Aber wenn wir bei sehr, sehr niedrigen Inzidenzen ankommen, wird es generell ohnehin keine Testpflicht an Schulen mehr brauchen. Und sobald genügend Studien belegen, dass der Impfstoff gut vertragen wird und es nicht zu schweren Nebenwirkungen kommt, wird man sicherlich eine aktive Kampagne für die Impfung von Kindern machen. Aber wir sollten jetzt keinen Druck auf Eltern ausüben.

Sie sind selbst in der Pandemie zum dritten Mal Vater geworden. Haben Sie da politische Entscheidungen persönlich erlebt?
Ja, natürlich. Ich konnte viele meiner Vorschriften am eigenen Leib erfahren. Viele Dinge, die ich bei der Geburt unserer Zwillinge als wohltuend empfunden habe, waren nicht mehr möglich. Es gab zum Beispiel keine Geburtsvorbereitungskurse - mein Respekt allen Eltern in Deutschland, die ihr erstes Kind in der Pandemie bekommen haben und das ohne unsere Vorerfahrung machen mussten! Ein Online-Kurs kann keine Krabbelgruppe ersetzen, auch Kleinkinder müssen zusammenkommen können. Meine Kinder haben darunter gelitten, als die Kita geschlossen war.

Was hat Ihnen am meisten gefehlt?
Der Kontakt mit anderen Eltern. Selbst engste Familienangehörige konnten nicht zusammenkommen. Das hat auch bei mir und meiner Familie für eine große Traurigkeit gesorgt. Auch deswegen ist es mir ein großes Anliegen, diese Kontakte wieder zu ermöglichen.

Das Saarland ist in der Pandemie ja einen Sonderweg gegangen: Ein „Saarland-Modell“ - Testen statt Lockdown. Nach vier Wochen mussten Sie die Bundesnotbremse ziehen. Gescheitert?
Ich habe mich gegen die Bundesnotbremse ausgesprochen in dieser Form. Ein einheitlicher rechtlicher Rahmen für Deutschland macht durchaus Sinn. Aber den ausschließlich an Inzidenzen festzumachen, macht keinen Sinn. Im Übrigen war das Saarland-Modell nie außer Kraft, ganz im Gegenteil. Wir haben teilweise auch viel strengere Regelungen als die Bundesnotbremse. Bei uns ist zum Beispiel in Gartencentern oder Buchhandlungen immer ein Negativtest notwendig. Mittlerweile sind wir in allen Landkreisen wieder unter der 100er Marke, ab der die Bundesnotbremse greift.

Testen, testen, testen - Tobias Hans besucht eine Teststation

© Harald Tittel/dpa

Wäre es nicht besser gewesen, eine solche Strategie jetzt zu starten und nicht mitten in der anschwellenden Welle?
Wenn die Zahlen generell im Sinkflug sind, erwarten die Menschen, dass Geschäfte und Freizeiteinrichtungen wieder aufgehen. Dann kann man sie nicht mehr so gut von Einschränkungen überzeugen. Wir haben deshalb frühzeitig ein langfristiges Steuerungsmodell entwickelt, das aus dem ewigen „Lockdown - Kein Lockdown - wieder Lockdown“ herausführt. Wir sagen: Testen, testen, testen.

In Berlin wird das auch gemacht, aber oft gar nicht kontrolliert.
Das ist nur ein weiteres Argument dafür, frühzeitig anzufangen. Für die Saarländer:innen ist das Testen längst zur Gewohnheit geworden. Kein Bundesland testet mehr als wir – bis zu 400 000 Tests pro Woche in einem Land mit knapp einer Million Einwohner. Wir sind teilweise auch strenger als andere Bundesländer, etwa mit der generellen Testpflicht für den Einzelhandel in der Stufe Gelb des Saarland-Modells, weil uns das auf der anderen Seite mehr Freiheiten etwa in der Gastronomie erlaubt, schließlich ist das Saarland ein Genussland. Trotzdem sind die Inzidenzen lange und die Belegung der Intensivstationen immer unter dem Bundesschnitt geblieben.

Am Tag, an dem wir dieses Interview führen, steht Ihr Land weit oben auf Platz Drei hinter Thüringen und Baden-Württemberg.
Wir entdecken durch das Testen natürlich mehr Fälle. Wer viel testet, bekommt höhere Inzidenzen. Hinzu kommen einige Randbedingungen, durch die eine Bekämpfung der Pandemie erschwert wird, wie zum Beispiel weit über 20 000 Einpendler täglich aus angrenzenden Hochinzidenzgebieten, eine hohe Bevölkerungsdichte und riesige Industriebetriebe. Insgesamt ist auch bei uns die Tendenz stark fallend. Aber uns ging es auch gar nicht in erster Linie darum, Spitzenreiter bei der Reduzierung der Inzidenzen zu sein, sondern unentdeckte Infektionen aufzuspüren. Wir wollen unseren Bürgern einen Anreiz geben, sich testen zu lassen, und ihnen damit eine Perspektive jenseits des Lockdowns verschaffen. Wir müssen ja auch für den Fall gerüstet sein, dass im Herbst die Zahlen noch einmal in die Höhe gehen. Und dafür haben wir unser Saarland-Modell als vorausschauendes Steuerungsmodell.

Rechnen Sie denn mit einer vierten Welle?
Es wäre blauäugig, damit nicht zu rechnen. Wir sehen neue Corona-Varianten wie die indische, die uns beunruhigen. Wir wissen noch nicht, wie lange der Impfschutz anhält, auch mit Blick auf solche Varianten. Deshalb ist es wichtig, weiter vorsichtig zu sein und nicht, vorschnell, weil die Zahlen jetzt sinken, alles wieder zurückzunehmen. Wir werden weiterhin an Testpflichten festhalten, auch wenn diese natürlich im Umfang mit sinkenden Infektionen genauso zurückgenommen werden müssen wie andere Einschränkungen. Umgekehrt müssten wir beides wieder anziehen, wenn die Zahlen steigen sollten. Aber mit unserem Modell ist der Lockdown nicht mehr die einzige Lösung, sondern nur noch allerletztes Mittel.

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Das Saarland hat früh die Schulen geschlossen und war dann beim Öffnen vorne dabei. In Bayern gab es ein ähnliches Tempo. Ist Markus Söder für Sie da ein Vorbild?
Er ist ein sehr geschätzter Kollege von mir und wir stimmen uns ab. Aber in der Regel suchen sich Ministerpräsident:innen keine Vorbilder.

Er war aber ihr Favorit in der K-Frage!
Wir hatten zwei hervorragende Kandidaten. Es ging darum, wer größere Chancen hat, die Wahl für die Union zu entscheiden. Wir gehen aber jetzt geschlossen in diesen Wahlkampf, und ich unterstütze auch persönlich und aus voller Überzeugung unseren Kanzlerkandidaten Armin Laschet.

Aber bleibt der Zweikampf Söder-Laschet nicht eine Hypothek?

Wie gesagt, wir hatten zwei hervorragende Kandidaten und insofern ein Luxusproblem. Unser Hauptwettbewerber, die Grünen, stehen da zum Beispiel vor ganz anderen Konflikten. Die Kommunikation ihrer Inhalte war in den letzten Wochen recht chaotisch und von Uneinigkeit geprägt. So möchte zum Beispiel auf einmal Robert Habeck Waffen an die Ukraine liefern. Ich glaube, das ist nur ein zarter Vorgeschmack auf das, was an Konflikten bei den Grünen noch kommt. Für uns als Union ist es jetzt wichtig, dass wir uns auf Inhalte konzentrieren und ein gemeinsames Wahlprogramm erstellen.

… plus ein „Bayern-Programm“. Sieht so Geschlossenheit aus?
Die CSU ist eine eigenständige Partei. Sie bringt auch eigene Ideen vor. Das war noch nie anders. Sonst bräuchte man die CSU ja auch nicht.

Hätte sich die Union mit Söder besser von den Grünen abgrenzen können?
Wir müssen uns mit unserer jetzigen Aufstellung gut von den Mitbewerbern abgrenzen. Um die Bundestagswahl gewinnen zu können, brauchen wir neben unserem Kanzlerkandidaten natürlich auch Markus Söder als Parteivorsitzenden unserer Schwesterpartei. Ich bin sicher, er wird sich voll einbringen, damit wir die Wahlen gewinnen können.

Manche Mitglieder Ihrer Partei haben das Gefühl, dass seit der Kür des Kanzlerkandidaten wenig passiert ist - kein Programm, das Team besteht bisher aus Friedrich Merz …
Natürlich muss da jetzt schnell was folgen. Das wird es aber auch. Es ist doch selbstverständlich, dass wir erst die Personalien klären müssen, bevor wir das Wahlprogramm erarbeiten. Seitdem Armin Laschet Kanzlerkandidat ist, gab es keine Präsidiumssitzung, in der wir nicht über ein Schwerpunktthema gesprochen haben. Die Menschen werden sich rechtzeitig vor der Bundestagswahl ein genaues Bild über Programm und Team der Union machen können. Da wird es auch bestimmt noch die eine oder andere Überraschung geben.

Eine unangenehme Überraschung könnte am nächsten Sonntag in Sachsen-Anhalt passieren. Wenn die AfD die Landtagswahl gewinnt – droht der CDU dann ein zweites Thüringen?
Nein, das wird nicht passieren. Wir haben mit Reiner Haseloff einen Ministerpräsidenten, der klare Kante gegen die AfD fährt. Er ist ein aufrechter Demokrat, der die radikale Rechte niemals dulden wird und mit ihnen nicht kooperieren will. Es geht bei dieser Landtagswahl für ganz Deutschland um sehr, sehr viel, weil wir sehen werden, ob sich Haseloff durchsetzen kann oder das Land mit einer AfD im Chaos versinkt, die sich nicht von rechtsradikalem Gedankengut abgrenzt. Ich hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger der CDU das Vertrauen schenken.

Im Zweifel lieber eine Koalition unter Einschluss von Linken?
…das wird nicht notwendig sein. Die Zusammenarbeit mit AfD und Linke spielt für uns keine Rolle. Ich bin guter Dinge, dass mit Reiner Haseloff an der Spitze eine Regierung mit demokratischen Kräften gebildet werden kann.

Uns fällt auf, dass Sie beim Sprechern oft gendern. Merz macht sich über solche Sprachformen lustig, der Hamburger Landeschef will sie amtlich verbieten - was ist denn nun Sache in der CDU?
Das ist eine Scheindebatte. Wir haben sehr viel wichtigere Probleme, als uns darüber zu unterhalten, ob jemand gendergerechte Sprache verwenden darf. Es ist ja keiner verpflichtet, das zu tun. Das muss jeder und jede für sich selbst beantworten. Aber wenn Sie vor einer Gruppe von Studierenden der medizinischen Fakultäten, die teilweise zu 90 Prozent aus jungen Frauen bestehen, nur in der männlichen Form sprechen, dann geht Ihnen plötzlich ein Licht auf. Das fühlt sich komisch an. Unser wirkliches Problem gerade auch in der CDU ist, dass wir zu oft in Sälen sitzen, in denen 80 Prozent Männer sind. Das müssen wir ändern. Und wenn wir das erreicht haben, dann diskutiert auch keiner mehr über gendergerechte Sprache.

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