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Die Beschuldigten wurden dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt.

© dpa/Waldemar Gess

Update

Offenbar Anschlagsziele ausgekundschaftet: Sieben Männer in Nordrhein-Westfalen unter Terrorverdacht festgenommen

In NRW ist eine mutmaßliche islamistische Terrorzelle aufgeflogen. Der Verfassungsschutz-Chef warnt vor einer neuen Anschlagsgefahr in Deutschland.

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Die Bundesanwaltschaft hat in Nordrhein-Westfalen eine mutmaßliche islamistische Terrorzelle aufgedeckt und sieben Verdächtige festnehmen lassen. Den Männern wird vorgeworfen, in Deutschland eine terroristische Vereinigung gegründet und Anschläge geplant zu haben, wie die oberste deutsche Anklagebehörde am Donnerstag mitteilte.

Außerdem sollen sie die Terror-Organisation „Islamischer Staat“ (IS) unterstützt haben. Ein weiterer Mann und dessen Frau wurden den Angaben zufolge von niederländischen Behörden festgesetzt.

Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sind die Festnahmen „ein bedeutender Schlag gegen den islamistischen Terrorismus“. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, warnte zudem vor einer neuen Anschlagsgefahr durch den aus Afghanistan operierenden IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK).

Man sieht den grundsätzlichen Willen des ISPK, Anschläge gegen westliche Länder, auch gegen Deutschland, zu planen und durchzuführen, um sich zu profilieren.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)

Bei den in Deutschland festgenommenen Männern handelt es sich um Beschuldigte aus Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan. Sie hätten eine radikal-islamische Einstellung. Wie Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf berichtete, sind die in NRW Festgenommenen zwischen 20 und 46 Jahre alt.

Öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS geplant

Kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine seien sie gemeinsam nach Deutschland eingereist und hätten sich zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen. Ziel sei gewesen, „in Deutschland öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS zu verüben“, hieß es weiter.

„Daran sehen wir leider auch: Unter der enorm großen Zahl an Schutzsuchenden, die vor Krieg fliehen und bei uns Obhut suchen, sind Schwarze Schafe dabei“, sagte Reul. Die Beschuldigten aus NRW seien allesamt als Gefährder oder als „relevante Personen“ eingestuft.

In den frühen Morgenstunden seien Razzien in NRW, Niedersachsen und in den Niederlanden angelaufen. Allein in NRW seien 15 Objekte durchsucht worden: in Bielefeld, Bornheim, Düsseldorf, Ennepetal, Gelsenkirchen, Gladbeck, Kamen, Lippstadt, Warendorf und Witten. Reul berichtete, die Beschuldigten seien regelmäßig zwischen Deutschland und den Niederlanden hin- und hergereist.

Der Vereinigung habe auch einer der in den Niederlanden festgenommenen Männer angehört. Die Gruppe habe in Kontakt gestanden mit Mitgliedern des regionalen IS-Ablegers ISPK.

Mögliche Ziele von Anschlägen in Deutschland seien bereits ins Visier genommen und mögliche Tatorte ausgekundschaftet worden. Zudem hätten die Beschuldigten versucht, sich Waffen zu beschaffen. Einen konkreten Anschlagsplan habe es aber noch nicht gegeben.

Vier der festgenommenen mutmaßlichen Terroristen sind nun in Untersuchungshaft. Das sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft am Donnerstagabend. Betroffen seien drei tadschikische Staatsangehörige und ein Turkmene. Drei weitere Beschuldigte sollen an diesem Freitag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt werden.

Die Maßnahmen zeigen deutlich, dass die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus weiterhin fest im Fokus unserer Sicherheitsbehörden steht“, sagte Faeser. Die zeitgleich erfolgten Festnahmen in den Niederlanden belegten, dass man international und national eng vernetzt handle.

Einen konkreten Attentatsplan soll es noch nicht gegeben haben

Sie verwies zudem auf die bereits in diesem Jahr verhinderten Anschläge in Castrop-Rauxel und Hamburg sowie das Ende Mai aufgedeckte IS-Finanzierungsnetzwerk. „Auch im heutigen Fall ging es darum, neben möglichen Anschlagsplanungen auch die Terrorismusfinanzierung für den „IS“ konsequent zu unterbinden“, sagte die Innenministerin.

Faeser zufolge sind die Festnahmen von sieben Terrorverdächtigen in Nordrhein-Westfalen „ein bedeutender Schlag gegen den islamistischen Terrorismus“. Man setze die harte Gangart gegen Islamisten fort, sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag laut einer Mitteilung.

Die Bedrohung bleibe akut. „Deutschland steht weiterhin im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen und von islamistisch motivierten Einzeltätern“, sagte Faeser.

BfV-Chef Haldenwang, bezeichnete im Gespräch mit der „Welt“ die Razzia als einen „wichtigen Schlag gegen islamistische Netzwerke in unserem Land“. Haldenwang warnte zudem vor einer neuen Anschlagsgefahr durch den aus Afghanistan operierenden IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK).

„Ich habe zuletzt bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2022 auf die Gefahr hingewiesen, die von diesem Ableger des IS für Europa und auch für Deutschland ausgeht. Das Erstarken dieser Gruppe in Afghanistan verstärkt die Gefährdungslage in Deutschland“, so Haldenwang. 

Man sehe „den grundsätzlichen Willen des ISPK, Anschläge gegen westliche Länder, auch gegen Deutschland, zu planen und durchzuführen, um sich zu profilieren“, sagte Haldenwang weiter. 

Mehr als 200 Polizeikräfte an Festnahmen beteiligt

Das BfV werde die Strukturen und Anhänger des ISPK in Deutschland in enger Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden weiterhin aufklären. „Die Gefahr des islamistischen Terrorismus ist nicht gebannt. Auch in Deutschland kann jeden Tag ein islamistischer Anschlag verübt werden. Die Sicherheitsbehörden sind daher wachsam und haben alle möglichen Szenarien auf dem Schirm“, sagte Haldenwang.

Reul sagte, er kenne keine Liste mit Anschlagszielen und könne auch nicht sagen, ob bei den Durchsuchungen Waffen gefunden worden seien. Klar sei: „Die Anhänger des Islamischen Staats glauben offenbar, bei uns ganz unbehelligt ihrem terroristischen Tagwerk nachgehen zu können: Auskundschaften, Ziele suchen, Waffen und Geld beschaffen – alles im Verborgenen.“ Die Festnahmen zeigten aber, dass die Sicherheitsbehörden die Szene auf dem Radar habe.

Der Verfassungsschutz habe im vergangenen Jahr allein in NRW 4070 Islamisten gezählt – im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um fast zwölf Prozent. Die Zahl der gewaltbereiten Islamisten sei von 780 auf 600 Personen gesunken. „Wie die heutigen Durchsuchungen und Festnahmen zeigen, gibt dieser zahlenmäßige Rückgang aber keinen Anlass zur Entwarnung“, sagte Reul.

An dem Einsatz waren seinen Angaben zufolge über 200 Polizeikräfte des Bundes und der Länder beteiligt – davon etwa 90 aus NRW. Auch die Spezialeinheit GSG9, die Fliegerstaffel des Bundes, der Staatsschutz und mehrere weitere Einheiten seien beteiligt gewesen.

Darüber hinaus sei die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Eurojust, eingebunden. (dpa, lem)

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