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Schuhe an: Eine Erzieherin hilft einem Kita-Kind.

© imago/Westend61

Für die Kleinsten zu wenig: Es fehlen 384.000 Kita-Plätze in Deutschland – und echte Lösungen

Die Lage war miserabel, dann wurde sie noch schlechter: Es gibt neue Zahlen zum Kitaplatzmangel. Das System stehe „kurz vor einem Kollaps“, warnt eine Expertin.

Eine deutliche Verschlechterung einer ohnehin miserablen Lage konstatiert eine aktuelle Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zum Kitaplatzmangel in Deutschland. Den Daten zufolge fehlen bundesweit rund 384.000 Kita-Plätze. Dabei ist das Land gespalten: Im Osten ist nach Aussage von Anette Stein, Director „Bildung und Next Generation“ bei der Bertelsmann-Stiftung, der Platzbedarf „annähernd gedeckt“. Dafür muss jede Fachkraft deutlich zu viele Kinder betreuen. „Den Erzieher:innen ist es nicht möglich, eine Bildungsarbeit zu leisten, sondern maximal eine Betreuung“, sagt Stein.

Im Westen ist es umgekehrt: Die Plätze, die es gibt, sind qualitativ deutlich besser, dafür ist der Platzmangel dramatisch. „Klar ist, dass bundesweit der bestehende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz in der Praxis nicht erfüllt wird“, sagt Stein.

Den Daten zufolge fehlen im Osten gut 21.000 und im Westen gut 362.000 Plätze. Um den Bedarf zu decken, müssten 98.600 Personen eingestellt werden, was Personalkosten in Höhe von 4,3 Milliarden Euro pro Jahr verursachen würde. Betriebs- und Baukosten kämen hinzu.

Wegen des Umgangs mit der Pandemie verlassen viele Fachkräfte den Beruf

Politisch ist mittlerweile unstrittig, dass in Kitas investiert werden soll. Jedoch: Geld allein kann das Problem nicht lösen. Denn die größte Schwierigkeit ist es, Personal zu gewinnen. Das System der frühkindlichen Bildung und Betreuung stehe „kurz vor einem Kollaps“, warnt Stein. Zwar sei schon enorm investiert worden und die Zahl der Fachkräfte sei in den vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen.

Aber alle Anstrengungen seien nicht genug, denn der Bedarf an Betreuungsplätzen steige schneller, als die Politik Plätze schaffe. Aufgrund der enormen Drucksituation durch die Corona-Pandemie würden derzeit viele Fachkräfte ihren Beruf verlassen, was die Lage verschlimmere.

Die Schätzung der Bertelsmann-Stiftung beruht auf einem Abgleich zweier Datenquellen: einerseits den tatsächlich in Anspruch genommenen Kitaplätzen, andererseits dem Betreuungsbedarf, den Eltern in der jüngsten Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts nannten. Für diese wurden bundesweit rund 33.000 Eltern befragt.

Als kindgerecht wird in der Bertelsmann-Studie für Kinder unter drei Jahren angesehen, dass eine Fachkraft drei Kinder zu betreuen hat. Real liegt der Wert in Westdeutschland mit rechnerisch 3,3 nur knapp darüber, in Ostdeutschland aber noch bei 5,3. Für Kinder über drei Jahren wird eine Relation von eins zu 7,5 empfohlen. Real liegt der Wert bei 7,8 in Westdeutschland und 10,7 in Ostdeutschland.

Das Land Berlin sieht Bertelsmann-Forscherin Stein angesichts des bundesweit festzustellenden Ost-West-Gefälles in einer Mischsituation: Einerseits sei die Personalausstattung „zum Teil weit weg von kindgerecht“, andererseits mangele es auch noch an Plätzen. Das allerdings weit weniger als beispielsweise in manchen Regionen in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, wo der Platzmangel weitaus massiver sei.

Das deckt sich mit der Einschätzung von Anja Kettgen-Hahn, Vize-Landesvorsitzende des Landeselternausschusses Kita Berlin. Sie sagt, am Ende würden die Eltern meist einen Platz finden, der Weg dahin sei aber für viele mit enormem Stress, großer Unsicherheit und gigantischem Aufwand verbunden. Zudem sei der gefundene Platz oft weder der Wunschplatz noch in direkter Wohnortnähe, was Eltern im Alltag vor logistische Herausforderungen stelle.

Bertelsmann-Forscherin Stein fordert, als Notbehelf das Aufgabenspektrum der Kitas zu reduzieren, etwa bei den Beobachtungs- und Dokumentationspflichten. Die Arbeit am Kind müsse im Mittelpunkt stehen, solange das Personal zu knapp sei. Auch müsse das Berufsfeld dringend aufgewertet werden, etwa durch Aufstiegschancen, und es brauche gesetzlich verankerte Stufenpläne zum Personalaufbau. Karin Christmann

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