zum Hauptinhalt
Auch afghanische Frauen sind häufig Opfer brutaler Übergriffe.

© dpa

Afghanistan: Nur eine Ware

Auch in Afghanistan wird über Gewalt gegen Frauen debattiert – und über Traditionen, die offiziell längst verboten sind.

Berlin - Lal Bibi hat ihr Martyrium überlebt. Und sie hat eine Familie, die hinter ihr steht und die Peiniger der 18-jährigen jungen Frau vor Gericht gebracht hat. Das ist nicht selbstverständlich in Afghanistan. Denn ähnlich wie in Indien galt Gewalt gegen Frauen dort lange als Tabuthema. Der Fall von Lal Bibi hat aber auch in Afghanistan eine Debatte angestoßen, die erste Früchte trägt. „Es gibt endlich Aufmerksamkeit und Verurteilungen“, sagt Wazhma Samandary, die für ein unabhängiges Netzwerk von Afghanistanexperten (Afghan Analyst Network) arbeitet.

Die lokalen Medien berichteten ausführlich über das Schicksal von Lal Bibi. Sie wurde im vergangenen Jahr von Milizionären entführt und fünf Tage lang vergewaltigt und gequält. Die Männer ketteteten sie in einem dunklen Raum an eine Wand und warfen sie später wie Abfall vor die Haustür ihrer Familie. Sie selbst geht davon aus, Opfer eines Racheaktes zu sein. Ihr Cousin habe zuvor Streit mit der Familie des Milizenkommandeurs gehabt, sagte sie nach ihrer Freilassung aus.

Lal Bibi ist kein Einzelfall. Allein im Raum Kundus, wo die Bundeswehr Verantwortung für die Sicherheit trägt, sind nach Angaben der afghanischen Menschenrechtskommission im vergangenen Jahr 13 ähnliche Fälle bekannt geworden. Auf der Internetseite der Kommission sind Fotos misshandelter Frauen zu sehen: Frauen mit verbrannten Gesichtern, abgeschnittenen Ohren, Stichwunden.

Zuletzt wurde ein 15-jähriges Mädchen von ihrem Cousin vergewaltigt und ermordet, nachdem ihre Eltern sich geweigert hatten, die Tochter mit dem Cousin zu verheiraten. Die Dunkelziffer bei Gewalttaten gegen Frauen dürfte allerdings deutlich höher sein, denn nur wenige Familien erstatten Anzeige. Aus ihrer Sicht haben die Frauen Schande über die Familie gebracht.

So werden die Frauen auch Opfer von Traditionen, die Menschenrechte allenfalls für Männer gelten lassen. „Aber auch Armut und die allgemeine Unsicherheit tragen zu dem Klima der Gewalt bei“, sagt Wazhma Samandary. In Kundus sei die Lage besonders schlimm. Denn ausgerechnet die Nato, die die internationale Schutztruppe stellt, hat dort lokale Hilfstruppen zur Unterstützung der regulären Armee ausgebildet, die nach Ansicht vieler Kritiker nichts anderes als private Milizen sind. Die Peiniger von Lal Bibi gehören einer dieser halb offiziellen Truppen an. Immerhin sind sie inzwischen verurteilt worden. „Der Prozess und der Mut der Familie hat hohe Wellen geschlagen“, sagt Wazhma Samandary.

Einer der Täter rechtfertigte sich vor Gericht, die junge Frau sei dem Milizenkommandeur von ihrer eigenen Familie als Wiedergutmachung für einen Streit überlassen worden – eine in Afghanistan verbreitete Praxis. Ein Geistlicher habe das Opfer dann mit gleich mehreren Milizionären verheiratet, weshalb von einer Vergewaltigung nicht die Rede sein könne. Doch damit kamen die Männer nicht durch, denn offiziell sind solche „Geschäfte“ nach einem 2009 verabschiedeten „Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen“ verboten. Auch das ist ein Hoffnungsschimmer, findet Wazhma Samandary.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false