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Soldaten des deutschen Heeres sind vor einem Schützenpanzer Puma angetreten.

© Imago Images/Björn Trotzki

Personalnot der Bundeswehr: General fordert radikales Umdenken beim Umgang mit Rekruten

Die Bundeswehr soll wachsen, schrumpft aber. Ein Kommandeur sagt, junge Leute könne man nur mit einem höheren Sinn locken – und verweist auf die „Letzte Generation“.

2022 hat die Bundeswehr zum zweiten Mal in Folge mehr Soldaten verloren, als in die Truppe eintraten. Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr, Generalmajor Markus Kurczyk, fordert als Konsequenz daraus auch einen anderen Umgang mit Rekruten. „Ich glaube, wir haben manchmal noch nicht verstanden, dass niemand dankbar sein muss, eine Uniform anziehen zu dürfen“, sagte der General dem „Spiegel“. „Anders als vor 20, 30 Jahren ist es heute viel herausfordernder geworden, junge Menschen für die Bundeswehr zu gewinnen, aber das ist bei uns gedanklich noch nicht überall angekommen.“

Im Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz durchlaufen alle Führungskräfte vom Kompaniefeldwebel bis zum Bataillonskommandeur Lehrgänge für Unternehmenskultur, Führungsphilosophie und soldatisches Selbstverständnis. Dort sollen auch die Führungskonzepte der Truppe weiterentwickelt werden.

Ende März war bekannt geworden, dass 2022 mehr als 19.500 Soldaten aus der Bundeswehr ausgeschieden sind – der höchste Wert seit 2017. Damit die Bundeswehr das politisch gesteckte Ziel von 203.000 Soldaten bis 2031 erreichen könne, müssten jährlich 21.000 Rekruten für den Dienst gewonnen werden, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.

203.000
Soldaten strebt die Bundeswehr bis 2031 als Truppenstärke an. Derzeit sind es 183.000.

Kurczyk sagte in dem Interview weiter: „Wir müssen uns von der Erwartungshaltung verabschieden, dass ausschließlich fitte, leistungsfähige, junge Menschen kommen, die ich vom ersten Tag an robust anpacken und am dritten Tag über eine Hindernisbahn schicken kann.“ Das Risiko, dass diese Personen die Anforderungen nicht erfüllten, sei aber groß. „Nicht wenige junge Menschen, die scheitern, neigen heute dazu, auszuweichen und sich eben nicht durchzubeißen. Sie sagen sich eher, wenn die hier von mir etwas verlangen, was ich nicht leisten kann, suche ich mir einen anderen Arbeitgeber.“

Kurczyk wandte sich auch gegen eingeschliffene Muster bei der Truppe. Der 58-Jährige sagte, er habe noch nie verstanden, warum erwachsene Menschen nicht der Lage sein sollten, selbstständig den Weg vom Unterkunftsgebäude zum Frühstück in der Truppenküche zu finden.

„Stattdessen müssen sie da warten, bis auch noch der Kleinste fertig gefrühstückt hat, um dann gemeinsam zurückzugehen.“ Das habe aus seiner Sicht aber nichts mit Erziehung zu tun, wie es manche in der Bundeswehr argumentierten, sondern es handele sich um „klassisches Konditionieren“.

Da helfe auch das Gebrüll in den Kasernen nicht. Dies funktioniere aber heute nicht mehr. „Die jungen Leute haben ein anderes Rollenverständnis als früher. Was nicht verstanden wird, nicht erklärt werden kann – das kann weg.“

Die jungen Männer und Frauen kämen aus einer Gesellschaft, „in der Gendern selbstverständlich ist, in der es um Gleichberechtigung geht, um Interessenausgleich, Emanzipation, Individualität und um Selbstverwirklichung. Die sind doch schon von ihrer Erziehung her ganz anders, als wir das in den Achtzigerjahren waren.“

Die jungen Leute haben ein anderes Rollenverständnis als früher. Was nicht verstanden wird, nicht erklärt werden kann – das kann weg.

 Markus Kurczyk, Kommandeur des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr

In diesem Zusammenhang drückte der Afghanistan-Veteran durchaus seine Bewunderung für die Klima-Kleber aus, die zum großen Teil zur Aktivistengruppe „Letzte Generation“ gehören. „Nehmen Sie die vielen jungen Menschen, die sich aus Überzeugung auf den Straßen festkleben und sagen, wir sind die letzte Generation, und wenn wir jetzt nichts tun, geht die Erde kaputt. Das ist doch sensationell.“

Es sei auch eine Generation, die empfänglich sei für einen übergeordneten Sinn. Diese jungen Menschen dächten eben nicht an ihr Gehalt, hätten noch nicht einmal Angst vor Strafverfolgung. „Die stehen zu ihrer Überzeugung. Diese Entschiedenheit gefällt mir. Diese Menschen will ich gewinnen“, sagte Kurczyk. Die Mitglieder der „Letzten Generation“ seien „junge Menschen, die eine starke Gruppe finden und, jetzt kommt’s, ein höheres Ziel für ihr Leben suchen. Genau da kommen wir als Bundeswehr ins Spiel. Das können wir.“

Die Bundeswehr mache den Einzelnen oder die Einzelne stärker. „Wir haben eine starke Gruppe, mit Kameradschaft, Loyalität, mit Vertrauen und Zusammengehörigkeit durch dick und dünn. Und wir haben einen höheren Wert, weil wir die freiheitlich demokratische Grundordnung verteidigen. Wir sind die Verteidiger unseres Vaterlandes. Ohne uns gibt es kein Deutschland und kein Bündnis“, sagte Kurczyk.

Der Generalmajor der Luftwaffe gestand ein, dass es auch der Ukraine-Krieg ein Grund sei, dass es an neuen Bewerbern mangele. „Glauben Sie, dass in diesen Kriegszeiten viele Mütter ihrem Kind den Rat geben, wie wär’s denn mit der Bundeswehr? Da kannst du was Sinnvolles tun und mich verteidigen? Nein, natürlich nicht.“ Allerdings sei aus seiner Sicht auch die Ausrüstung und Materiallage der Truppe ein weiterer Grund für die Personalnot. Die Herausforderung sei, den jungen Menschen in dieser Situation klarzumachen, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sei.

Kurczyk kritisierte allerdings auch, dass aus seiner Sicht zu sehr über die materielle Ausstattung der Bundeswehr debattiert werde. Es gehe zu wenig um die Soldaten. „Es geht nicht darum, welche Waffensysteme wir haben“, so Kurczyk. „Es geht darum, ob wir Menschen haben, die bereit sind, für Deutschland in den Krieg zu ziehen, die bereit sind, für ihre Überzeugung, für unsere Werteordnung bis ans Ende der Welt zu gehen. Haben wir diese Menschen? Das ist die Frage, die mich umtreibt.“

Die Bundeswehr brauche einen bestimmten Anteil sehr robuster, sehr resilienter Menschen, die bereit seien, zu töten und notfalls auch getötet zu werden. „Und die müssen Sie bekommen. Aus einer Gesellschaft, die seit 30 Jahren festgestellt hat, dass Gewalt nicht hilft. Die vom Kindergarten an jegliche Gewalt unterbindet.“ Den jungen Menschen müsse beigebracht werden, wie es funktioniere, wenn man Gewalt einsetzt.

„Und wir sind uns einig, dass Menschen, die lernen sollen, Gewalt auszuüben, zwingend an moralische, ethische Werte gebunden werden müssen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich“, sagte Kurczyk. Und weiter: „Keiner will gerne andere Menschen erschießen, zumindest keiner, den ich in Uniform sehen möchte. Das funktioniert nur, wenn es diese zweifelsfreie Bindung an etwas Höheres gibt.“

Am vergangenen Wochenende hatte bereits die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD) gefordert, sich bei der Stärkung der Bundeswehr neben dem Material auch auf die Personalgewinnung zu fokussieren. „Das Verteidigungsministerium verfolgt das Ziel, dass die Bundeswehr von aktuell rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 bis zum Jahr 2031 wächst“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Ich halte das für nicht erreichbar.“

Högl verwies auf einen Rückgang bei den Bewerbungen und eine hohe Abbrecherquote bei den Rekruten. „Die Herausforderung beim Personal ist noch größer als beim Material“, sagte sie. Auf einem Arbeitsmarkt, der dringend Leute suche, sei die Bundeswehr schwer unter Druck.

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