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Monteure arbeiten in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) auf einem Strommast an neuen Leitungen.

© dpa / Carsten Rehder

Proteste, Genehmigungsstau, Fachkräftemangel: Stromnetze werden zum Nadelöhr der Energiewende

Der Strombedarf in Deutschland wird sich bis 2045 vermutlich verdoppeln. Neben Windrädern und Solaranlagen braucht es Netze, um ihn zu decken. Doch deren Bau verzögert sich oft.

Robert Habeck wird bei seinem Besuch in Leingarten nicht viel zu sehen bekommen. Ein paar Bodenplatten, Baufahrzeuge und Container stehen wohl schon auf der Baustelle, die der Bundeswirtschaftsminister am Donnerstag nahe Heilbronn besuchen will. Doch vom eigentlichen Bauvorhaben, das sogar Eingang in den Ampel-Koalitionsvertrag gefunden hat und als größtes Projekt der Energiewende gilt, wird Habeck noch nichts sehen.

Bis 2028 soll sich das Kabel der Suedlink-Stromtrasse 700 Kilometer von Schleswig-Holstein bis nach Leingarten in Baden-Württemberg ziehen. Ein Mega-Projekt, das weitgehend unter der Erde durch 20.000 Grundstücke verläuft, mit einem Kabel so breit wie ein Handball und rund 43 Kilogramm pro Meter schwer.

Wir haben das Dilemma im Land, dass wir Großprojekte verzögern.

Andreas Schell, EnBW-Chef

Für Habecks Pläne einer klimaneutralen Wirtschaft ist genau dieses Kabel ein Schlüssel zum Erfolg. Bis 2030 soll Deutschland zu 80 Prozent mit Erneuerbaren versorgt werden, 2045 dann komplett. Der grüne Windstrom aus dem Norden soll über Stromautobahnen wie die Suedlink in die Industriezentren in Baden-Württemberg und Bayern gelangen. 2022 sollte das Vorhaben eigentlich fertig werden, nun rechnen die Betreiber mit 2028. Doch bislang sind lediglich 17,6 von 700 Kilometern genehmigt.

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„Wir haben das Dilemma im Land, dass wir Großprojekte verzögern“, konstatierte in dieser Woche EnBW-Chef Andreas Schell. Über das Tochterunternehmen TransnetBW ist der Energieversorger direkt am Suedlink-Vorhaben beteiligt. Vor allem mit Blick auf die Genehmigungen macht sich Shell Sorgen. „Der erfolgreiche Ausbau ist eine Grundvoraussetzung, um bereits 2028 aus der Kohle aussteigen zu können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

14.000
Kilometer Stromleitungen müssen laut Bundeswirtschaftsministerium in den kommenden Jahren gebaut werden.

Tatsächlich drohen die Stromnetze zum Nadelöhr der Energiewende zu werden. Zahlreiche Gesetze hat Habecks Haus inzwischen auf den Weg gebracht, um mehr Flächen für Windräder und Solarpanels bereitzustellen, die Planung zu vereinfachen und den Bau zu beschleunigen.

Doch bei den Stromnetzen hinkt Deutschland weiter hinterher. Mit insgesamt fast 14.000 Kilometern neuen Netzen rechnet das Wirtschaftsministerium, um die Stromversorgung in Zukunft sicher und bezahlbar zu halten – gebaut sind jedoch erst 1900 Kilometer.

Die Probleme beim Ausbau sind bekannt. Stromtrassen, vor allem Hochspannungsleitungen, sind in der Bevölkerung umstritten –auch deshalb soll ein Großteil der Suedlink-Kabel vergraben werden. Dadurch verdoppeln bis verdreifachen sich jedoch die Kosten. Zudem sind die Genehmigungsbehörden vielerorts überfordert und unterbesetzt. Und schließlich sind auch die Fachkräfte für den Bau von Stromleitungen rar.

Dezentralisierung könnte Alternative sein

Auch viele Umweltverbände haben Bedenken angesichts der zahlreichen Eingriffe in die Natur. Beim BUND sieht man Alternativen: „Die Dezentralität der erneuerbaren Stromerzeugung wird viel zu wenig diskutiert“, sagt BUND-Energieexperte Oliver Powalla.

Mit Balkonkraftwerken, Agri-PV und einer Solarpflicht auf neuen oder renovierten Dächern könne man sich den aufwendigen Transport von Strom häufig sparen. „Jedes neu gebaute Haus müsste eigentlich Teil der Energieversorgung werden“, sagt Powalla. Die Investitionen würden sich rasch amortisieren.

Doch ganz ohne Netzausbau werde es nicht gehen, sagen Umweltschützer. Und scheitert der Ausbau, scheitert auch die Energiewende. Denn durch die zunehmende Elektrifizierung des Wärme-, Verkehrs- und Industriesektors verdoppelt sich der Stromverbrauch bis 2045 im Vergleich zu heute auf voraussichtlich 1300 Terawattstunden, so eine Berechnung der vier großen Übertragungsnetzbetreiber. Weil erneuerbare Energien zudem nicht so gleichmäßig Strom produzieren wie etwa Atom- oder Kohlekraftwerke, müssen die Netze zudem flexibler genutzt werden können.

„Wir müssen das Energiesystem klüger fahren und managen“, sagte Habeck bereits vor Monaten. Neben verpflichtenden intelligenten Stromzählern sollen Stromversorger ab 2025 deshalb ihren Kunden variable Strompreise anbieten. Die Idee: Wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, wird der Strom billiger und damit attraktiver für Kunden zu nutzen. „Das spart Geld und der Energieverbrauch kann sich der Produktion anpassen“, sagte Habeck.

Der Wirtschaftsminister wähnt sich bei seiner Energiewende weiterhin im Rückstand wegen der Versäumnisse seiner Vorgänger: „Wir leiden bitterlich darunter, dass wir alles ausgesessen haben“, sagte er zuletzt im ZDF. In Leingarten, wo Habeck dem offiziellen Baubeginn eines sogenannten Konverters beiwohnt, der Gleich- in Wechselstrom umwandelt und umgekehrt, soll nun immerhin ein Trippelschritt bei der Energiewende gelingen.

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