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Bedingungen, wie hier in der Erstaufnahmestelle in Hannover, wollen die Grünen eigentlich nicht.

© dpa/Julian Stratenschulte

„Realitäten und Probleme anerkennen“: Die Grünen ringen um eine neue Migrationspolitik

Ein migrationspolitisches Thesenpapier einer Realo-Gruppe sorgt für Wirbel bei den Grünen. Auch Parteistrategen haben die offene Flanke ausgemacht.

Eigentlich ist es nur ein Thesenpapier von ein paar dutzend Grünen, die einem Großteil der Öffentlichkeit unbekannt sind. Doch mit ihren Forderungen eines Kurswechsels in der Migrations- und Integrationspolitik an die eigene Partei hat die Gruppe „Vert Realos“ um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und Ex-Europaparlamentarierin Rebecca Harms für Wirbel gesorgt.

Zustimmung für das Manifest kam am Sonntag selbst von der FDP. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schlug vor, über einen neuen Kurs in der Migrations- und Integrationspolitik zu sprechen.

„Wir brauchen dringend in Deutschland eine Migrations- und Integrationspolitik, die im Einklang mit der Realität ist, im Interesse unseres Landes ist und die Sorgen der Bürger nicht ignoriert“, sagte Djir-Sarai der Deutschen Presse Agentur. Und: „Die katastrophalen Fehler der Merkel-Jahre dürfen sich nicht wiederholen.“

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Die Vert-Grünen hatten zuvor bemängelt, dass die Kommunen mit der Unterbringung der Ukraine-Geflüchteten und anderen Asylbewerbern überfordert seien. Zudem gebe es kein klares Integrationskonzept und die Rückführungsquote sei zu niedrig. Zudem forderten sie „Aufenthaltszonen“ an den EU-Grenzen, wo über das Bleiberecht von Asylsuchenden entschieden werden solle.

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Vor allem Parteilinke, für die Palmer sowieso ein rotes Tuch ist, lehnen die Vorstöße rundherum ab. „Wenn Boris Palmer irgendwo einen Brief unterzeichnet, unterschreibt man nicht“, schrieb etwa der Grünen-Innenpolitiker Julian Pahlke bei Twitter. Das sei eine Grundregel.

Doch auch inhaltlich lehnt er die Ideen ab. „Vorschläge wie Asylzentren außerhalb der EU oder sichere Drittstaaten haben es nie aus solchen mottenkistigen Konzeptpapieren geschafft. Weil Drittstaaten nicht mitmachen wollen und es genau dafür enorme rechtliche Hürden gibt.“ Viele andere im linken Parteiflügel dagegen scheinen die Debatte am liebsten ignorieren zu wollen.

Doch es gibt auch andere Stimmen in der Partei. „Es steht uns Bündnisgrünen, die wir im Bund und in der Mehrzahl der Bundesländer in Regierungsverantwortung sind sowie in zahlreichen Kommunen Verantwortung tragen, gut zu Gesicht, die Realitäten und auch praktischen Probleme anzuerkennen“, sagt etwa Franziska Schubert dem Tagesspiegel.

 Man darf sich nicht vor dem Thema scheuen, nur, weil es Rechtsaußen für ihre politische Stimmungsmache benutzen.

Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende der Grünen im sächsischen Landtag, begrüßt die Debatte.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im sächsischen Landtag sieht beispielsweise zahlreiche Kommunen mit der Unterbringung von Geflüchteten überfordert. Darunter leide auch die Qualität der Integration.

Wie die Autoren des Vert-Manifests fordert auch die Reala Schubert mehr Sprachkurse, mehr Kitaplätze und mehr Wohnraum. „Der Bund muss hier seiner Verantwortung nachkommen und sich dauerhaft an der Finanzierung von Unterbringung und Integration beteiligen.“

Auch beim Thema Rückführung sehe sie Handlungsbedarf, sagte Schubert, die Teil des Grünen Parteirats ist. Es erschwere die Situation vor Ort, wenn Staaten wie Georgien, Marokko oder Algerien ihre Staatsbürger trotz Abkommen nicht zurück nehmen würden. „Man darf sich nicht vor dem Thema scheuen, nur, weil es Rechtsaußen für ihre politische Stimmungsmache benutzen.“ 

Dass das Thema Sicherheit und Migration ein Thema ist, haben auch die Parteistrategen erkannt. In Berlin haben nur acht Prozent der Wählerschaft über 60 Jahren die Grünen gewählt - hinter CDU, SPD, Linken und sogar der AfD. Eine Erklärung dafür sind die niedrigen Kompetenzwerte der Grünen bei den Themen Sicherheit und Zuwanderung. Bei der Kriminalitätsbekämpfung attestierten laut Forschungsgruppe Wahlen nur drei Prozent den Grünen Kompetenzen.

„In der Silvesterdebatte haben wir gesehen, dass wir abgestraft werden, wenn wir Probleme zu Tabuthemen erklären“, sagt Rezzo Schlauch, einer der führenden Köpfe der „Vert Realos“ und früherer Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. Tatsächlich empfanden viele Grüne nach den Übergriffen auf Rettungskräften in der Silvesternacht eine gewisse Sprachlosigkeit und Angst vor Patzern im Wahlkampf.

Schlauch macht das mit einer mangelhaften Auseinandersetzung mit den Problemen verantwortlich. „Bei einer realitätsnahen Migrations- und Integrationspolitik sind die Grünen aktuell blank“, sagt Schlauch. Ausnahmen seien Einzelstimmen, wie der Landrat von Mittenberg in Unterfranken, Jens Marco Scherf. Er hatte sich zuletzt offen für Asyl-Obergrenzen und Zäunen an der EU-Außengrenze geäußert.

Ob das aber auch der Kurs der Bundespartei wird, ist fraglich. Eine Anfrage dazu ließ die Parteispitze am Sonntag unbeantwortet, doch mit dem Manifest der „Vert Realos“ scheint die Debatte gesetzt.

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