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Wie sollen Kinder schreiben lernen? Nach der Fibel - oder nach Gehör?

© dpa

Fibel-Methode: Schreiben-nach-Gehör benachteiligt Migrantenkinder

Schreibenlernen ohne Fibel ist besonders für Kinder nicht-deutscher Herkunftssprache ein Problem - weil sie die Sprache, die sie nach Gehör schreiben sollen, nicht richtig hören. Ein Zwischenruf.

Ein Zwischenruf von Barbara John

Bbitieenitsulidigenzidasihnitsiraybenkan. Mit diesem Wortungetüm verweigerte in den 1970er Jahren der türkischsprachige Schüler Ferhat das Diktatschreiben (Bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht schreiben kann). So sieht bei einem intelligenten mehrsprachigen Kind ein „Schreiben-wie-man-hört-Text“ aus. Ferhat wollte damals mitteilen, dass er Deutsch zwar schon sprechen, aber nicht regelgerecht schreiben kann. Also schrieb er in der Not, gesteuert von seinen stark türkisch geformten Hörgewohnheiten, trotz seiner Rechtschreibdefizite drauflos.

Zur gleichen Zeit suchte der Schweizer Lehrer Jürgen Reichen nach einer Methode, um Grundschulkinder vom öden Schreib- und Leseunterricht mit der Fibel zu befreien, wo so aufregende Wörter wie „Oma“ und „Mimi“ Kinder zum Lesen und Schreiben verführen sollen. Er entwickelte die Lehrmethode „Schreiben nach Gehör“, die eigentlich „Schreiben, wie man hört“ heißen müsste, damit Kinder lustbetonter die Schriftsprache lernten, indem sie ihre persönliche Schreibung erfinden konnten.

Eine Studie gibt den Fibel-Fansn recht

Dieser Ansatz fand beim rechtschreibkritischen Lehrpersonal in Deutschland große Unterstützung. Endlich schien fortschrittlicher Unterricht möglich.

Nach fast 40 Jahren „Schreiben nach Gehör“ gab es nun eine ernst zu nehmende Vergleichsstudie der Universität Bonn. Untersucht wurden 3000 Grundschulkinder, die nach verschiedenen Schreiblernmethoden unterrichtet wurden. Eindeutiges Ergebnis: Am Ende der 4. Klasse schnitten Fibelkinder am besten ab. Besonders Schüler nichtdeutscher Muttersprache profitierten von dieser Methode. „Schreiben nach Gehör“-Lerner machten dagegen 55 Prozent mehr „Fela“.

Dennoch ist diese Methode in Berlin, wo mehr als 44 Prozent der Grundschüler eine andere Herkunftssprache als Deutsch sprechen und deshalb Laute auch anders hören, weitverbreitet. Fazit: 60 Prozent dieser Kinder erreichten 2018 in der Vergleichsuntersuchung bei Drittklässlern nicht einmal die Minimalanforderungen in Rechtschreibung. Das darf so nicht bleiben. Auch Methodenfreiheit hat Grenzen.

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