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Tunnel im Bahnhof Berlin-Lichtenberg. Am Bahnhof Lichtenberg verkehren die U-Bahn, S-Bahn und Regionalbahn. Tunnel im Bahnhof Lichtenberg

© imago/Hohlfeld / imago stock&people

Sicherheitsgefühl in Deutschland: Aus Furcht meiden es viele Frauen, nachts rauszugehen

Eine neue Studie zeigt, bei welchen Straftaten die Dunkelziffer besonders groß ist und wie sicher sich Menschen in Deutschland fühlen. Innenministerin Faeser will reagieren.

Nancy Faeser präsentiert sich seit einer Weile als eine, die hart durchgreifen kann. Die Blockaden der Klimaaktivisten auf deutschen Autobahnen beispielsweise: Die Bundesinnenministerin rief vergangene Woche zur Verfolgung von Straftaten auf und stellte sich hinter die Polizei. Der Rechtsstaat, betonte die SPD-Politikerin, lasse sich nicht auf der Nase herumtanzen.

Zum neuen Kurs passt auch der Termin, den Faeser an diesem Dienstag im Kalender stehen hatte: Gemeinsam mit dem Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch, stellte Faeser eine Studie zu „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ vor. Dabei handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Kriminalitätsstatistik.

Normalerweise bilden Statistiken nur das sogenannte „Hellfeld“ ab. Wie groß das „Dunkelfeld“ ist – also die Zahl der nicht erfassten Vergehen und Verbrechen – lässt sich meist schwer sagen. Für die neue Studie wurden knapp 47.000 Menschen Ende 2020 und Anfang 2021 befragt.

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Die bislang größte Dunkelfeldstudie in Deutschland soll zeigen, wie viele Menschen in Deutschland wirklich Opfer von Kriminalität wurden und wie sicher sie sich in Deutschland fühlen. Die Ergebnisse sind zum Teil alarmierend – und für Faeser ein Grund, einige ihrer sicherheitspolitischen Vorhaben weiter voranzutreiben.

Frauen schränken sich aus Angst ein

Die gute Nachricht vorweg: Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung insgesamt ist gut, das Vertrauen in die Polizei ist hoch. Doch das gilt bei weitem nicht für jeden. Besonders Frauen sind nachts aus Angst vor Kriminalität in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Dass Frauen sich einschränken, können wir so nicht hinnehmen.

Nancy Faeser

58 Prozent von ihnen meiden nachts bestimmte Plätze und Parks – aber nur 29 Prozent der Männer. Knapp 52 Prozent der Frauen meiden nachts den ÖPNV, aber nur knapp 27 Prozent der Männer. Und 41 Prozent der Frauen versuchen, nachts gar nicht das Haus zu verlassen – im Vergleich zu knapp 18 Prozent bei den Männern. „Dass Frauen sich einschränken, können wir so nicht hinnehmen“, sagte Faeser.

Faeser forderte eine höhere Präsenz von Personal in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Darüber wolle sie mit etwa mit der Bahn sprechen. Zudem brauche es mehr Videoüberwachung, erklärte Faeser. Viele Deutsche finden, die Polizeipräsenz sei in Deutschland im öffentlichen Raum nicht ausreichend.

Pfefferspray und Messer

Bemerkenswert ist auch der laut Studie „nicht unerhebliche Anteil“ von Menschen in Deutschland, der sich im Alltag bewaffnet, um sich vor Kriminalität zu schützen: 5,2 Prozent der Frauen haben Reizgas in der Tasche. Männer bewaffnen sich eher mit einem Messer, hier sind es 2,3 Prozent.

Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes BKA, und Bundesinnenministerin Faeser.

© imago/Metodi Popow / IMAGO/M. Popow

Für besorgniserregend hält Faeser auch die Wahrnehmung von Menschen mit Migrationshintergrund. 44 Prozent von ihnen finden, dass es der Polizei an Mitgefühl fehle. Personen mit einem Migrationshintergrund aus der Türkei oder Polen sind außerdem stärker besorgt, Opfer von Kriminalität zu werden, als Personen ohne Migrationshintergrund.

Hohe Dunkelziffern bei sexueller Gewalt

Ein Problem in Deutschland ist außerdem die sogenannte Vorurteilskriminalität: Etwa die Hälfte aller Opfer von Körperverletzung ist laut Studie der Meinung, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe angegriffen worden zu sein. Die häufigsten Gründe sind der soziale Status, die Herkunft oder das Geschlecht beziehungsweise die geschlechtliche Identität des Opfers.

Die Studie zeigt auch, dass es etwa bei Sexualdelikaten ein großes Dunkelfeld gibt – das heißt, dass sich Opfer oft entscheiden, die Tat nicht anzuzeigen. Nur 0,6 Prozent der Menschen, die Opfer von Exhibitionisten wurden, gehen zur Polizei. Und nur 9,5 Prozent der Vergewaltigungen und Fälle von sexuellem Missbrauch werden angezeigt. Ein möglicher Grund dafür ist, dass Opfer das Gefühl haben, die Tat nicht mit ausreichend Beweisen belegen zu können. Aber auch der Wunsch, das Erlebte zu vergessen, trägt dazu bei.

Groß ist das Dunkelfeld zudem bei Cyberkriminalität. Nur 18 Prozent hätten diese Straftaten angezeigt, erklärte BKA-Präsident Münch. Dazu zählen beispielsweise Beleidigungen aber auch Betrug.

Faeser will IP-Adressen speichern

Ein wichtiges Thema aus Sicht der Bundesinnenministerin: Abbildungen von sexuellem Missbrauch von Kindern im Netz – oft als „Kinderpornografie“ bezeichnet. Faeser beharrt darauf, dass zur Aufklärung dieser Taten IP-Adressen gespeichert werden müssten. Sie will damit dem Wunsch etwa des BKAs nachkommen. Die Behörde warnt vor Fällen, in denen zwar die IP-Adresse des Täters bekannt ist, aber bei den Telekommunikationsanbietern nicht mehr gespeichert ist, wer dahinter steckt.

Doch um die Vorratsdatenspeicherung gibt es Streit innerhalb der Ampel. Der Europäische Gerichtshof hatte im September die bisherige deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Das Gesetz, das wegen des anhängigen Gerichtsverfahrens seit längerem nicht mehr angewandt wurde, sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar, hieß es.

Als Nachfolgeregelung schlägt Justizminister Marco Buschmann von der FDP das sogenannte „Quick-Freeze-Verfahren“ vor. Demnach sollen die Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, beim Verdacht einer Straftat Verkehrsdaten zu speichern. Werden diese dann für die Ermittlungen gebraucht, sollen sie den jeweiligen Behörden zur Verfügung gestellt werden. Kritiker sagen aber, dass das nicht reicht. Die Daten würden nach wenigen Tagen gelöscht – wenn die Strafverfolgungsbehörden anfragen, könnte es also bereits zu spät sein.

Am Dienstag bekräftigte Faeser ihren Plan zur IP-Adressen-Speicherung. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Spielräume des europäischen Gerichtshofes nutzen“, erklärte Faeser. „Quick Freeze“ sei kein gangbarer Weg. Die Sicherheitsbehörden dürften das begrüßen.    

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