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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier .

© dpa/Wolfgang Kumm

Steinmeier und der Ukraine-Krieg: Der Bundespräsident hat seine Rolle gefunden

Der Krieg in der Ukraine überschattet die zweite Amtszeit des Bundespräsidenten. Am ersten Jahrestag sprach Steinmeier im Schloss Bellevue. Eine Analyse.

Es ist der zentrale Satz seiner Rede, der Bundespräsident sagt ihn gleich zweimal: einmal auf Deutsch, einmal auf Ukrainisch. „Auf Deutschland ist Verlass“, erklärt Frank-Walter Steinmeier. Hinter ihm die deutsche, die europäische und die ukrainische Flagge.

Es ist ein symbolisch wichtiger Tag. Ein Jahr ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vergangen. Der große Saal im Schloss Bellevue ist bis auf den letzten Platz gefüllt. In der ersten Reihe sitzen wichtige Vertreter der Bundesregierung: Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Innenministerin Nancy Faeser etwa.

Für Steinmeier ist dieser Tag eine besondere Herausforderung. Der Krieg in der Ukraine überschattet seine zweite Amtszeit. Der frühere Außenminister und Kanzleramtschef steht wie kaum ein anderer für die deutsche Russlandpolitik.

Als einer der wenigen Politiker übte Steinmeier im vergangenen Jahr Selbstkritik: Er habe Putin falsch eingeschätzt, auch sein Festhalten an Nord Stream 2 sei ein Fehler gewesen. Dennoch gab es scharfe Angriffe gegen ihn, unter anderem vom früheren ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk.

Versöhnung mit Selenskyj

Als Steinmeier im April nach Kiew reisen wollte, wurde ihm von dort bedeutet, dass das nicht gewünscht sei. Es war ein diplomatischer Affront. Erst im vergangenen Oktober holte er die Reise nach. Das Treffen mit Wolodymyr Selenskyj – es war die Versöhnung zweier Präsidenten.

Das Treffen mit Wolodymyr Selenskyj hatte eine lange Vorgeschichte.

© dpa

Seitdem ist es stiller geworden um Steinmeier. Doch an diesem Freitag im Schloss Bellevue merkt man, dass der Bundespräsident seine Rolle in diesem Krieg gefunden hat.

Der Bundespräsidenten bemüht sich vor allem um eine emotionale Nähe zu den Menschen in der Ukraine. Er schildert seine Erinnerungen an seinen Besuch in Jahidne, ein Dorf etwa 140 Kilometer nordöstlich von Kiew. Die Bewohner dort wurden 28 Tage lang von den Russen in einen Keller eingesperrt. Mehrere der Älteren starben, die Kinder mussten zwischen Leichen spielen. „Als mir die Männer des Dorfes diese Geschichte erzählten, kamen ihnen die Tränen“, berichtet Steinmeier.  

Putin setzt darauf, dass die Verbündeten der Ukraine irgendwann müde werden. Diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun.

Frank-Walter Steinmeier

Seine Rede dauert kaum eine halbe Stunde, größeren Raum nimmt eine Podiumsdiskussion ein. Auf der Bühne sitzen unter anderem mehrere Ukrainerinnen und ein ukrainischer Generalmajor. Da ist zum Beispiel Kateryna Polischuk, ausgebildete Opernsängerin. Sie ging freiwillig an die Front, überlebte die Belagerung in den Katakomben des Asow-Stahlwerks. Ihr Verlobter fiel.

Polischuk sang bei der Veranstaltung im Schloss Bellevue ein Lied über den Sieg der Ukraine.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Würde sie sich wieder für die Front entscheiden? „Wir haben das für die gesamte zivilisierte Welt getan. Diese Welt will Frieden. Sie will nicht zurück ins Mittelalter geworfen werden“, sagt Polischuk. Kein Europäer wolle sein Kind in einem Leichensack sehen. Polischuk wird in wenigen Tagen an die Front zurückkehren.

Die Botschaft: Geschlossenheit

Steinmeier spricht in seiner Rede die junge Frau direkt an. Er erinnert an ein Video, das Polischuk in den Katakomben zeigte, zwischen Frauen und Männern, ohne Nahrung und Medikamente. „Aber dann ist da Ihre Stimme, und Sie singen vom Kampf um die Freiheit Ihres Landes.“ Die Deutschen, sagt Steinmeier, bewunderten den Mut der Menschen in der Ukraine.

Aber der Bundespräsident warnt auch vor abnehmender Unterstützung für die Ukraine. „Putin setzt darauf, dass die Verbündeten der Ukraine irgendwann müde werden, dass wir abstumpfen und wegschauen werden“, sagt Steinmeier. „Diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun.“

Steinmeier geht auf die Rufe nach Frieden ein, die dieser Tage bei verschiedenen Demonstrationen zu hören sind. Frieden sagt er, ersehne sich auch die Ukraine selbst. „Aber ein Scheinfriede, der nur Putins Landraub belohnt und die Menschen der Willkür der Besatzer überlässt, so ein Friede wird kein Friede sein.“

Und auch wenn es in der Vergangenheit Kritik an der zögerlichen Haltung Deutschlands bei Waffenlieferungen gab - an diesem 24. Februar ist davon kaum etwas zu spüren. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meldet sich in einer Videobotschaft. Er spricht den Bundespräsidenten und den Kanzler an, den er Olaf nennt. „Von den ersten Minuten der russischen Invasion an war Deutschland mit uns“, sagt Selenskyj. Die Botschaft dieses Tages: Geschlossenheit.

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