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Etwa vier Millionen Menschen in der Provinz Idlib sind auf Hilfslieferungen über den Kontrollpunkt Bab al Hawa angewiesen.

© Anas Alkharboutli/dpa

Not als politisches Druckmittel: Syrienhilfe von Moskaus Gnaden

Über den Grenzübergang Bab al Hawa gelangt lebenswichtige Hilfe in die syrische Provinz Idlib - Russland will die Lieferungen stoppen. Welche Folgen hätte das?

Im Süden der Türkei läuft eine der größten Hilfsaktionen der Welt. Fast 10.000 Lastwagen mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern rollten vergangener Jahr über den Grenzübergang Bab al Hawa in den Nordwesten Syriens. Das ist im Schnitt ein Laster pro Stunde.

Doch das Grenztor wird sich möglicherweise bald schließen, denn die UN-Genehmigung zur Nutzung des Übergangs für Lieferungen aus dem Ausland läuft an diesem Sonntag aus. Die UN-Vetomacht Russland will die Lieferungen über Bab al Hawa stoppen. Helfer befürchten eine Katastrophe.

Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg sind den UN zufolge rund 13,4 Millionen Menschen in Syrien auf Hilfe angewiesen, zwei Millionen mehr als vor zwei Jahren. Die Bevölkerung in den Herrschaftsgebieten von Präsident Baschar al Assad wird über Damaskus versorgt, während vier Millionen Syrer in der letzten Opposition-Bastion – der nordwestsyrischen Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei – Hilfe über Bab al Hawa erhalten.

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In den ersten Jahren des Bürgerkrieges gab es vier Grenzkorridore für die internationale Hilfe. Doch auf Drängen Russlands, Assads wichtigstem Partner, sind drei davon geschlossen worden. Heute ist Bab al Hawa das einzige Nadelöhr für Hilfe aus dem Ausland. Wenn der UN-Sicherheitsrat die Genehmigung für Bab al Hawa bis zum Sonntag nicht verlängert, ist auch dieser Zugang versperrt.

Eine „Lebensader“ für Millionen

Bab al Hawa ist nach Einschätzung der UN und Hilfsorganisationen unverzichtbar. Sollte die Genehmigung nicht verlängert werden, werde dies katastrophale Folgen für den Nordwesten Syriens haben, befürchtet Mohammad Alabbas vom Hilfswerk Hihfad. Bab al Hawa sei eine „Lebensader“, sagt Alabbas.

Mehr als 140 Projekte syrischer Hilfsorganisationen wären ohne den Grenzübergang am Ende. Kliniken für die medizinische Versorgung der Menschen in Idlib, wo Millionen Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens leben, hätten keine Medikamente mehr. Schulen müssten geschlossen werden. Auch der Bau von wetterfesten Unterkünften und die Verteilung von Nahrung und Trinkwasser wären gefährdet.

Helfer fordern, dass der Grenzübergang offengehalten wird.

© Anas Alkharboutli/dpa

Ohne den Grenzübergang werde es mehr Hunger und mehr Krankheiten geben, sagte auch der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in einer Sitzung des Sicherheitsrates im Juni. Syrien und Russland verlangen trotzdem ein Ende der grenzüberschreitenden Hilfe.

Wird das syrische Regime versuchen, das Rebellengebiet auszuhungern?

Der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitry Poljanski machte im Sicherheitsrat westliche Sanktionen für das Leid der Syrer verantwortlich. Syriens Botschafter Bassam al Sabbagh sagte, Bab al Hawa sichere der Türkei, einem erklärten Feind der syrischen Regierung, Einfluss im Nordwesten Syriens.

Damaskus und Moskau werfen dem Westen zudem vor, Hilfslieferungen nach Idlib über das syrische Regierungsgebiet zu behindern. Im ganzen vergangenen Jahr überquerten nur fünf Konvois die Front zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Westliche Politiker und Hilfsorganisationen befürchten, dass Assad nach einer Schließung von Bab al Hawa versuchen könnte, die Bevölkerung im Rebellengebiet auszuhungern.

Russland lässt sich von Einwänden nicht beeindrucken

Für die russisch-syrische Forderung nach einem Ausbau der Hilfslieferungen vom Regierungs- ins Rebellengebiet hat Alabbas kein Verständnis. Als Anfang 2020 der ostsyrische Übergang al Jarubijah an der Grenze zum Irak auf russischen Druck hin für internationale Hilfslieferungen geschlossen wurde, hatte das fatale Folgen für die humanitäre Hilfe in diesem Teil Syriens.

Russland lässt sich von solchen Einwänden nicht beeindrucken und will Bab al Hawa schließen. Medienberichten vom UN-Sitz in New York zufolge ist Moskau höchstens bereit, den Übergang noch ein halbes Jahr lang geöffnet zu halten. Weil Russland wegen des Ukraine-Krieges inzwischen selbst mit westlichen Sanktionen belegt wird, sei die russische Regierung motivierter denn je, Bab al Hawa als Druckmittel zu benutzen, sagt Nahost-Experte Joe Macaron.

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