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Annegret Kramp-Karrenbauer beim politischen Aschermittwoch in Demmin.

© Fabrizio Bensch/REUTERS

Deutschland - das "verkrampfteste Volk der Welt"?: Vorgeschriebene Gesinnungen sind Gift für offene Gesellschaften

Kramp-Karrenbauers Reaktion auf die Kritik könnte der politischen Debatte insgesamt nutzen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Barbara John

Das deutsche Volk als das verkrampfeste der Welt zu diagnostizieren, das wäre Angela Merkel und den Vorsitzenden anderer Parteien nie eingefallen Doch ihrer Nachfolgerin im Amt der CDU-Parteivorsitzenden Anette Kramp-Karrenbauer (AKK) schon. Ohne Netz und  doppelten Boden bekannte sie am politischen Aschermittwoch im Vorpommerschen Demmin: „Wir sind das verkrampfteste Volk der Welt.“ Zuvor hatte sie sich gewehrt  gegen  kritische Reaktionen  zu ihrem (fragwürdigen) Kalauer über pinkelnde Männer auf Berliner Unisextoiletten und sich belustigt gezeigt  über das von einer Hamburger Kita empfohlene vorurteilsfreie Faschingskostüm: Indianer, bloß nicht,  Senftube oder Meerjung-Mann, einwandfrei.

Der Verkrampfungs-Kick in die Rippen der Gesellschaft könnte der öffentlichen politischen Auseinandersetzung insgesamt guttun, sie befreien aus dem in Deutschland beliebten Denkschema rechts-konservative gegen  links-fortschrittliche Gesinnungen. Beiläufiges wird damit oft hochgeschraubt zur Identitätspolitik, gar zum Maßstab für Demokratie, den Weltfrieden oder zur Leitkultur erklärt. Danach gefährdet derjenige bewusst die Demokratie und stabilisiert überholte Geschlechterstereotype, der Witze macht über Unisexklos oder seinen Sohn oder Enkel als Indianer im Faschingsgetümmel rumlaufen lässt. Dagegen kämpft der Aufrechte, der seinen Sohn, als dunkelhäutige Barby-Puppe verkleidet in den Karneval schickt, gegen das immer noch aktive koloniale Bewusstsein von Weißen.

Na, ist das nicht die einzig richtige  moralische Gesinnung für das globale Zeitalter? Eben gerade nicht. Vorgeschriebene Gesinnungen sind Gift für offene Gesellschaften. Es sind politische Verkrampfungen, die menschliches Denken und Handeln verengen, verzerren und fixieren auf eine definierte Norm. Das ist beispielsweise auch der Fall, wenn Muslime statt des Handschlags eine Verbeugung anbieten und dafür als integrationsunwillig abgestempelt werden. Unter solchen Vorzeichen erstarren unterschiedliche kulturelle oder politische Meinungen zu Kampfansagen. Höchste Zeit für eine entkrampfte gesellschaftliche Gelassenheit.

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