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Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Bundeskanzler Olaf Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt

© JENS SCHLUETER/AFP

Holocaust-Vergleich bei Pressekonferenz im Kanzleramt: Warum Israel so anders als Deutschland im Eklat um Abbas-Äußerungen reagiert

In Israels Medien lag das Augenmerk auf dem Begriff Apartheid. Gegner von Friedensverhandlungen instrumentalisieren den Skandal. Ein Gastbeitrag.

Shimon Stein war Israels Botschafter (2001-2007) und ist zur Zeit Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Tel Aviv Universität. Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem
Die instinktive Reaktion der israelischen Massenmedien auf den Eklat im Bundeskanzleramt bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Bundeskanzler Olaf Scholz scheint eine etwas andere zu sein, als die in den deutschen Medien.

Am Tag danach erschien auf Seite fünf der populärsten, rechtsgerichteten israelischen Zeitung „Israel Heute“ eine Nachricht unter der Überschrift „Abu Mazen: Ich werde mich nicht für das Massaker in München entschuldigen“. In der kurzen Nachricht blieb die Tatsache, dass der Palästinenserpräsident einen Holocaust-Vergleich angestellt hatte, unerwähnt. Gleichzeitig erschien in der Zeitung der linksgerichteten Israelis, „Haaretz“, am unteren Rand der ersten Seite eine kleine Nachricht unter der Überschrift „Abbas in einer Pressekonferenz in Deutschland: Israel verübte 50 Holocausts an den Palästinensern“.

In der übrigen israelischen Presse lag das Augenmerk eher auf dem Wort „Apartheid“, das Abbas auch benutzt hatte. Erst als die Wellen und Empörung aus Deutschland Israels Regierungschef Jair Lapid erreichten, reagierte er, der beim Thema „Shoah“ stets hellhörig ist, vehement, richtete aber sein Zorn gegen Abbas, nicht gegen Scholz wegen dessen Nicht-Sofort-Reaktion. Viele Medien zogen dann im diesem Sinne nach.

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In Israel ist man sich der deutschen Haltung ziemlich sicher

Im offiziellen Israel und in den Medien ist man ziemlich sicher: Deutschland setzt auf Kontinuität, wird also das Versprechen, Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson zu betrachten, nicht aufgeben, und auch Versuche abwehren, die Shoah in der kollektiven deutschen Erinnerung zu relativieren.

Der Umgang des offiziellen Deutschland mit den Themen Antisemitismus und Shoah in den letzten Jahren ist durch einige klare Merkmale gekennzeichnet: Bloß kein Fehler machen und Null-Toleranz für jeglichen „israelbezogenen Antisemitismus“. Da der Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2019, in dem die Bewegung , die zum Boykott Israels aufruft (BDS), verurteilt und als antisemitisch eingestuft wird, quasi zum Grundpfeiler der Verfassung aufgewertet wurde, schauen Regierung und Öffentlichkeit in Israel eher gelassen auf die Nahostpolitik der deutschen Regierung, auch nach dem Abgang von Angela Merkel.

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Scholz´ eindeutige Bemerkung noch während der Pressekonferenz mit Abbas, er mache sich den Begriff Apartheid in Zusammenhang mit Israel „nicht zueigen“, wurde mit Genugtuung registriert. Das anschließende Händeschütteln mit Abbas ärgerte den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hinterließ jedoch bei den Israelis wenig Eindruck.

Deutschland ist im Beziehungsdreieck gefangen

Was in diesem Skandal deutlich wird, ist die Vermischung zweier bilateraler Beziehungen, die in anderen Fällen zu trennen wären: der zwischen Israelis und Palästinensern sowie der zwischen Juden und Deutschen. Sie werden zu einem Beziehungsdreieck, in dem jede Seite sich auf die Vergangenheit, als Argument oder Vorwand, bezieht. Abbas kennt die besondere Sprengkraft der Begriffe Holocaust und Apartheid wenn er sich in diesem Dreieck bewegt, genauso wie die Vertreter Israels um den Effekt wissen, den jeder Hinweis auf Antisemitismus im Umfeld der palästinensischen Kritik an Israel erzeugt.

Deutschland ist hier auch deswegen so vulnerabel, weil sowohl Israelis als auch Palästinenser vom angeblich kausalen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Judenstaates und dem ihm vorangegangenen Holocaust ausgehen. So entstand auch die palästinensische Selbstwahrnehmung als Opfer-der-Opfer. Aus dieser Kausalität erfolgte für Israels Politik ein Vorteil: der uneingeschränkte Rückhalt seitens der Bundesrepublik. Dabei wird vergessen, dass die zionistisch motivierte Auswanderung nach Palästina und der Konflikt zwischen Zionisten und Arabern in Palästina lange vor der Shoah begonnen hatten. Ignoriert wird auch die Tatsache, dass während der Shoah Millionen potenzielle Auswanderer nach Palästina ermordet wurden, sprich: dem zionistischen Unternehmen verlorengegangen sind. Das bedeutet, dass Antisemitismus und Shoah in diesem Dreieck oft weniger relevant sind.

Auch in dieser Dreiecksbeziehung ist das Ereignis zu sehen, das Anlass für die Frage war, die an Abbas kurz vor Ende der Pressekonferenz gerichtet wurde und ihn so provozierte: Der Terroranschlag während den olympischen Spiele 1972. Er geschah zwar auf deutschem Boden, war jedoch von Palästinensern verübt worden. Nicht zu Unrecht fühlt sich die Bundesrepublik, auch 50 Jahre danach, in der Dreiecksbeziehung verfangen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei dem Versuch, in der Frage der Entschädigung der Opferfamilien die Wogen zu glätten, auch mit der Erinnerung an die Shoah zu tun, und nicht allein mit dem unprofessionellen deutschen Rettungsversuch am 5. September 1972.

Verhandlungsgegner in Israel triumphieren

Der Palästinenserorganisation „Schwarzer September“ konnte schon seinerzeit ahnen, welch ein besonderer Effekt ein Anschlag auf eine Mannschaft des Judenstaates während der Spiele in München (nicht etwa in Toronto oder Melbourne) haben wird. Und Israel konnte damals wie heute die Bundesrepublik unter zusätzlichen Druck setzen, weil im Hinterkopf aller Beteiligten die Erinnerung an die dunkle Vergangenheit Deutschlands schwebt. Gäbe es die Dreiecksbeziehung nicht, wäre auch die Frage der Entschädigung für die Hinterbliebenen des Attentats anders verlaufen.

Der Vorfall bei der Abbas-Scholz-Pressekonferenz im Bundeskanzleramt wurde von israelischen Politikern, die Verhandlungen mit den Palästinensern seit dem Scheitern der Friedensgespräche im Jahr 2014 ablehnen, vor allem als Mittel aufgegriffen, um ihre Parole zu untermauern: „Wir haben für Friedensgespräche keinen palästinensischen Partner.“ Das war eigentlich das Wichtigste an diesem Ereignis. Abbas machte den israelischen Politikern, die nach einem Vorwand gegen die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der Autonomiebehörde suchen, einen Geschenk: Mit den Palästinensern, mit Shoa-Leugnern, kann es, darf es keine Friedensverhandlungen geben – so die Haltung dieser Politiker.

So erwies Palästinenserpräsident Abbas der palästinensischen Sache und den Friedensbewegten in Israel einen ultimativen Bärendienst. Hätte er im berüchtigten Satz Israels Fehlverhalten gegenüber den Palästinensern angesprochen, ohne aber das Wort Holocaust in den Mund zu nehmen, hätte er vielleicht bei manchen Sympathien gewinnen können.

Gerade weil Abbas seine Äußerungen auf deutschem Boden machte, können sie zum echten Stolperstein werden, wenn es um einen Ausweg aus der Sackgasse geht, in der sich der israelisch-palästinensische Konflikt befindet.

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