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Politik: Wer verteidigt die Vereinten Nationen?

NACH DEM BLIX-BERICHT

Von Christoph von Marschall

Die Rüstungskontrollen gehen erst mal weiter, so viel scheint sicher – auch wenn der UNSicherheitsrat erst am Mittwoch seine Konsequenzen aus Hans Blix’ Bericht ziehen wird. Die Entscheidung, ob es zu einem Irak- Krieg kommt oder nicht, ist damit aber nicht gefallen. Blix hat für beide Entwicklungen ernste Argumente geliefert.

Gegen einen Angriff spricht: Die Inspekteure haben keine funktionsfähigen Massenvernichtungswaffen gefunden, nur einige leere Sprengköpfe und alte Unterlagen über ein Atomwaffenprogramm. Es gibt auch keinen Beleg, dass vom Irak unmittelbare Gefahr ausgeht.

Andererseits hat Blix festgestellt, dass Saddam nicht ausreichend kooperiere. Er wehrt sich zwar nicht gegen die Inspektionen, aber er lässt sie nur passiv über sich ergehen. Dabei müsste er nach der Resolution 1441 aktiv nachweisen, dass er die Massenvernichtungswaffen vernichtet hat, die er in den 90er Jahren unstrittig besaß. Dieser Nachweis fehlt. Jetzt spricht Blix sogar von Hinweisen, dass Saddam Anthrax horte, Milzbranderreger. Selbst Joschka Fischer bemängelt die unzureichende Zusammenarbeit. Würde Amerika den Sicherheitsrat auffordern festzustellen, ob Saddam die Auflagen erfüllt, müssten die Mitglieder ehrlicherweise mit Nein stimmen. Für diesen Fall haben die UN militärische Gewalt angedroht. Bush argumentiert nicht ganz zu Unrecht, der Casus Belli sei bereits gegeben.

Und was tun die Europäer, wenn sich das in den nächsten Wochen nicht ändert, wenn Saddam auch seine allerletzte Chance nicht nutzt? Sage keiner, eine solche Frist sei zu kurz. Er müsste doch nur Arsenale und Unterlagen offen legen, dann könnte sich Hans Blix’ Mannschaft sehr rasch ein Urteil bilden. Wenn Saddam das weiter nicht tut, muss man annehmen, dass er etwas zu verbergen hat.

Und doch: Ein Angriff auf den Irak, wäre das nicht der falsche Krieg zur falschen Zeit? Im Kosovo und in Afghanistan hat sich Deutschland militärisch beteiligt, weil vieles so ganz anders war. Es musste dringend gehandelt werden: hier, um die Vertreibung der Albaner zu stoppen; dort, um die Terrorbasen der Al Qaida zu zerstören. Und es waren Kriege, die mehr Probleme lösten, als dass sie neue schufen – wenn auch viele Unschuldige sterben mussten. Erst die Siege über Milosevic und die Taliban eröffneten die Chance, eine Ordnung aufzubauen mit der Aussicht auf mehr Stabilität und weniger Menschenrechtsverletzungen.

Die Risiken im Irak sind ungleich größer: Wie viele zivile Opfer werden die Bomben auf Bagdad fordern? Setzt Saddam seine Chemie- und Biowaffen ein, wenn er keine Chance mehr sieht zu überleben? Siegen werden die Amerikaner schon, aber zu welchem Preis? Und haben sie die Kraft, ein Auseinanderbrechen dieses Landes mit seinen vielfältigen ethnischen und religiösen Gruppen zu verhindern? Sie müssten mindestens ein Jahrzehnt bleiben, wenn sie den Irak zu einem Vorbild für Demokratie und Rechtsstaat im Mittleren Osten machen wollen – so wie damals in Nachkriegsdeutschland. Zu viele Zweifel bleiben.

Die Risiken einer Entscheidung gegen den Krieg sind jedoch auch beängstigend. Die Vereinten Nationen haben mit ihren harten Auflagen Maßstäbe gesetzt, wie sie Diktatoren vom Schlage Saddam Husseins, der Giftgas eingesetzt hat und nach verbotenen Massenvernichtungswaffen strebt, kontrollieren wollen. Wenn er sich dem entzieht und die UN nicht reagieren, bleibt ja nicht nur ein Massenmörder mit gefährlichen Waffen an der Macht. Die UN riskieren vielmehr ihre Autorität und ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol. Und ermuntern andere Staaten, Saddam nachzueifern.

Nun spüren die Europäer, auf welche Dynamik sie sich mit dem Gang in den Sicherheitsrat eingelassen haben. Sie wollten Amerika in den Arm fallen: keine Alleingänge, keine Präventivkriege. Die Verlängerung der Inspektionen ist Ausdruck der Bedenken. Endlos ausdehnen kann man sie aber nicht. Bleibt Saddam passiv, müssen die Europäer entscheiden, ob sie für einen Krieg stimmen, den sie verhindern wollten. Oder ob sie das Ansehen der UN untergraben, weil sie zulassen, dass Saddam sich ungestraft der Kontrolle entzieht. Mit der Bedrohung durch den Irak lässt sich ein Krieg nicht rechtfertigen. Die Frage aber, ob Europa bereit ist, die Autorität der UN zu verteidigen, die bleibt.

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