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Die Bundesvorstände von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour.

© dpa/Britta Pedersen

„Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden“: Mehr als 500 Grüne kritisieren den Kurs ihrer Parteispitze

Asylverschärfungen, LNG-Terminals, Lützerath – in der Ampel mussten die Grünen viele Kröten schlucken. Zu viele, findet ein Teil der Basis in einem Wut-Brief an die Parteispitze.

Kurz vor dem Parteitag der Grünen in Karlsruhe entlädt sich der Frust der Basis über den Kurs der Parteispitze in der Ampelkoalition. In einem Brief, den bis Donnerstagmorgen bereits mehr als 500 Grünen-Mitglieder unterzeichnet haben, kritisieren die Verfasser, dass die Partei zu viele Kompromisse in der Regierung gemacht, diese als Erfolge verkauft und die Basis nur informiert habe.

Man sei hoffnungsfroh gewesen, als die Grünen nach 16 Jahren in der Opposition 2021 wieder in die Regierung kamen. „Endlich eine Partei in der Regierung, die die Klimakrise ernst nimmt, die wertebasierte Migrationspolitik vorantreibt und wirklich einen Unterschied macht“, heißt es zu Beginn des Briefs, der an den Bundesvorstand um die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Grünen-Minister adressiert ist.

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Doch die Hoffnungen hätten sich nicht erfüllt. „Dann kam die Entscheidung zu Lützerath, kamen die 100 Milliarden für die Bundeswehr, kam GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem, Anm. der Redaktion). Es kam eine Kindergrundsicherung, die effektiv keinem Kind aus der Armut helfen wird, ein Bundeshaushalt, der insbesondere an der Jugend sparen wollte. Es kam ein zu kompliziertes, zu niedriges Bürgergeld“, zählen die Verfasser des Briefs auf.

Kompromisse werden als Erfolge verkauft

Sie monieren nicht nur die Kompromisse an sich, sondern vor allem den Umgang der Grünen-Spitze damit, weil diese die Kompromisse dann sogar als Erfolg verkauften. „Geschockt sind wir immer noch jedes Mal aufs Neue, wenn das Untergraben von Klimazielen, von Menschenrechten in der Asylpolitik oder das Ausbleiben von wirklichen sozialpolitischen Verbesserungen mit ein paar türkisgrünen Info-Slides und rosigen Worten verteidigt wird.“

Die Kritik der Basis an den Parteichefs und den Ministern fällt scharf aus: „Manchmal erscheint es uns, als ob die Grünen von einer Partei für echte Veränderung zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden sind.“

Bei richtungsweisenden Entscheidungen wünschen wir uns Mitsprachemöglichkeiten davor, statt einer Moderation der Mitglieder danach.

Grünen-Mitglieder in einem Wut-Brief an die Parteispitze

Die Unterzeichner, zu denen unter anderem auch die frühere Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann und der Berliner Abgeordnete Vasili Franco zählen, fühlen sich von der Parteispitze zu wenig berücksichtigt. „Uns kommt es immer häufiger so vor, als ob es keinen Raum mehr für Kritik oder konstruktive Debatte gibt.“

Sie fordern einen anderen Umgang der Grünen-Verantwortlichen mit den Basismitgliedern. „Bei richtungsweisenden Entscheidungen wünschen wir uns Mitsprachemöglichkeiten davor, statt einer Moderation der Mitglieder danach.“ Man wünsche sich mehr Ehrlichkeit und mehr Einbindung, so der Brief, der vor allem von Grünen aus Ostdeutschland formuliert wurde.

Kompromisse sind Teil der Regierungsarbeit. Unsere Werte müssen wir in einer Koalition aber nicht abgeben.

Thomas Schaefer kritisiert die Grünen-Spitze für ihren Kurs.

Einer der Intitiatoren des Briefes ist Thomas Schaefer. „Wir sind aktive Basismitglieder, die frustriert sind, weil wir von der Parteispitze nicht mitgenommen werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Schaefer ist seit 2019 Mitglied der Grünen und Teil des Erfurter Kreisvorstands.

Er ist enttäuscht, wie sich seine Partei in der Regierung verhält. „Kompromisse sind Teil der Regierungsarbeit. Unsere Werte müssen wir in einer Koalition aber nicht abgeben“, sagt Schaefer, der den Brief jedoch nicht als Aufforderung verstanden wissen will, aus der Regierung auszutreten: „Ich sehe momentan keine bessere Option für uns als die Ampel.“

Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, verteidigt den Kurs der Spitze.

© dpa/Kay Nietfeld

In der Grünen-Bundestagsfraktion reagiert man erwartbar kühl auf den Brief der Basis: „LNG-Terminals und Waffenlieferungen waren in den grünen Programmen nicht vorgesehen, aber wir sind in einer sehr schwierigen Zeit“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic.

Sie verteidigte die Kompromisse in der Ampel: „Ich kann nicht die grüne Programmatik zum Maßstab des Regierungshandelns machen“, sagte Mihalic. Natürlich gebe es im Koalitionsvertrag viele Abweichungen zum Programm der Grünen: „Wir machen aber jetzt nicht den Kompromiss zu unserem Programm.“

Schaefer und die anderen Erstunterzeichner sehen das anders. Sie wünschen sich mehr grüne Akzente in der Ampel, vor allem von den Parteichefs Nouripour und Lang: „Der Bundesvorstand sollte das Gewicht der Partei in der Ampel sein“, sagte Schaefer. Er hofft, dass der Brief eine grundsätzliche Debatte auslöst: „Wir müssen aufpassen, dass wir unsere basisdemokratische Parteikultur erhalten.“

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