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Touristen besuchen Tokios Stadtteil Asakusa.

© dpa/AP/Kyodo News/Uncredited

Exklusiv

Wirtschaftlich unabhängig wie Tokio?: Deutschland nimmt sich Japan zum Vorbild

Kanzler und Kabinett reisen zu ersten Regierungskonsultationen nach Japan. Die Ampel will dort lernen, die Abhängigkeit von China zu reduzieren.

Reisen bildet. Und die Beziehungspflege in einer Welt, deren Ordnung mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine endgültig aus den Fugen geraten ist, wird ohnehin wichtiger.

Vor diesem Hintergrund weilt Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem Großteil seines Kabinetts am Wochenende in Tokio. Am Samstag finden erste offizielle Regierungskonsultationen statt – ein Format, welches es bereits mit zehn Ländern gibt. Obendrein steht Japan dieses Jahr den G7-Industriestaaten vor.

Es gibt aber auch ein spezielles Interesse der Bundesregierung, das mit den wirtschaftspolitischen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zu tun hat: Erst legte die Pandemie offen, wie sehr deutsche Firmen unter gestörten Lieferketten etwa mit China leiden; und vergangenes Jahr musste sich das Land unter größtem Druck und hohen Kosten aus der Abhängigkeit von russischer Energie lösen.

Das ist ein kluger Mittelweg, von dem wir lernen wollen.

Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) über die japanische Mischung aus Verflechtung und Vorsicht

Seither ist nun viel von strategischer oder wirtschaftlicher Souveränität die Rede, die es in Deutschland und Europa herzustellen gelte. Was zum Beispiel wäre, wenn die zu 80 Prozent in China geförderten seltenen Erden für die High-Tech-Branche nicht mehr geliefert würden?

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Dazu lässt sich viel von Japan abschauen. So stehe das Thema Rohstoffsicherheit bei seinem Besuch „ganz oben auf der Agenda“, erklärte der Kanzler am Donnerstag im Bundestag. Dem „Handelsblatt“ sagte er am Freitag, vom strategischen Ansatz der Japaner in dieser Frage „können wir einiges lernen“.

„In puncto Wirtschaftssouveränität könnte Japan ein Vorbild für Deutschland sein“, sagte die Grüne Franziska Brantner, Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von Parteifreund und Vizekanzler Robert Habeck, dem Tagesspiegel: „Wir werden bei den ersten Regierungskonsultationen darüber sprechen, was wir für die Bundesrepublik übernehmen können und was nicht.“

Ein eigenes Ministerium für Wirtschaftssicherheit, das Japan 2021 als erstes Land der Welt einführte, wird es in Berlin nicht gleich werden. Auch kann die Regierung in Tokio im Nationalstaat Japan Unternehmen anders mit staatlichen Beihilfen zur Seite springen, als das die strengen Regeln des EU-Binnenmarkts erlauben. Mit Interesse verfolgt Habecks Ministerium jedoch die konkreten Maßnahmen, die vergangenes Jahr in einem Wirtschaftssicherheitsgesetz gebündelt wurden.

„Die japanische Wirtschaft ist noch viel enger mit der chinesischen verflochten als unsere – und geht die damit verbundenen Risiken schon seit vielen Jahren zusammen mit der Regierung in Tokio konsequent an, ohne sich dabei ökonomisch zu entkoppeln“, sagte Staatssekretärin Brantner zu der Reise: „Das ist ein kluger Mittelweg, von dem wir lernen wollen.“

Nicht nur volle Gasspeicher

Das japanische Gesetz, das bald auch Pate für eine EU-Gesetzgebung stehen könnte, sieht für kritische Güter wie Arzneimittel, Halbleiter oder seltene Erden Pflichten vor. Wer sie importiert, muss über Lagerbestände Auskunft geben und Verträge mit Lieferanten aus verschiedenen Ländern schließen.

Für wichtige Rohstoffe hält Japan eine staatliche Reserve für mindestens 60 Tage bereit – nicht nur im Energiebereich wie etwa Deutschland mit seinen Gasspeichern. „Bei knappen Rohstoffen hat der japanische Staat schon vor Ewigkeiten einen Fonds aufgelegt“, so Brantner, „der beispielsweise direkt in Bergbauminen in aller Welt investiert.“

Japan betreibt aber auch „Onshoring“ und „Friendshoring“, wie es im Jargon der Wirtschaft heißt. Abgeleitet vom „Offshoring“, also der Produktionsverlagerung ins Ausland, werden nicht nur Zukunftstechnologien wieder subventioniert und im eigenen Land angesiedelt. Gefördert werden Unternehmen auch, wenn sie Fabriken in demokratischeren Ländern als China erweitern, also gewissermaßen bei Freunden investieren. Im Falle Japans sind das Asean-Staaten wie Vietnam.

In Deutschland gibt es bisher nichts Vergleichbares: Bestehende Garantien zielen eher darauf ab, Investitionen in einem kritischen politischen Umfeld abzusichern. Entsprechende Regeln für den Binnenmarkt werden gerade geschaffen.

Auch bei der Investitionsprüfung geht Japan weiter als Deutschland. Die letzte Regierung von Kanzlerin Angela Merkel verabschiedete zusätzliche Hürden beim Einbau von Komponenten in die deutsche IT-Infrastruktur – etwa des chinesischen Konzerns Huawei. In Japan gilt eine Genehmigungspflicht für den ganzen Infrastrukturbereich, um ihn vor Sabotage zu schützen.

Auch werden nicht nur Investitionen in Japan ab einer Beteiligungsquote von nur einem Prozent untersucht – japanische Firmen müssen umgekehrt auch Auslandsinvestitionen anmelden, um einen Technologieabfluss auf diesem Wege zu verhindern.

Der Schutz der Wirtschaft wird auch zentrales Thema sein, wenn Kanzler Scholz Mitte Mai wieder nach Japan zum G7-Gipfel in Hiroshima reist. Dort könnten Beschlüsse fallen, auf die sich Deutschland und Europa schon jetzt vorbereiten.

So hat die EU-Kommission gerade ihren „Critical Raw Materials Act“ vorgelegt, der am Ende auch Stresstests für entsprechende Lieferketten kritischer Rohstoffe vorsehen könnte. So macht es auch Japan, während Großbritannien gar seine ganze Volkswirtschaft einem Lieferketten-Stresstest unterzogen hat.

In irgendeiner Form dürfte das auch in Deutschland passieren. „Wir müssen rechtzeitig Schwachstellen identifizieren“, sagt Brantner, „um im Zweifel präventiv handeln zu können.“

Ihr Haus hat schon im Januar Eckpunkte zur „resilienten Rohstoffversorgung“ vorgelegt. Darin wird etwa „eine strategische staatliche Bevorratung kritischer Rohstoffe“ ebenso zur Diskussion gestellt wie ein „Rohstoff-Fonds zur Erhöhung der Produktionskapazitäten im In- und Ausland“ – ganz nach dem Vorbild Japans.

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