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Teufelskreis. Fünf von zehn Spielsüchtigen daddeln am Automaten. Vor einigen Jahren waren es noch acht von zehn, doch die Sucht verlagert sich ins Internet. Verhalten und Auswirkungen bleiben jedoch gleich.

© Christian Charisius/dpa

Spielsucht: „Die Hälfte der Süchtigen zockt online“

Nach der Alkoholsucht hat sich die Glücksspielsucht zum zweitgrößten Abhängigkeitsphänomen in Potsdam entwickelt Daniel Zeis, Leiter der Suchtberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt, über die Gründe und die Wege aus der Sucht.

Herr Zeis, stellen Sie eine Zunahme der Glücksspielsucht in Potsdam fest?

In unserer Einrichtung können wir bei Beratung und Behandlung eine deutliche Zunahme beobachten. 2009 waren lediglich zwei Prozent aller Betroffenen, die sich jährlich an uns wenden, glücksspielsüchtig. 2016 waren es bereits 11,25 Prozent. Die Spielsucht stellt somit in Potsdam nach der Alkoholsucht das zweitgrößte Suchtphänomen dar, wenn man sich unsere Zahlen anschaut.

Wie viele Spielsüchtige melden sich bei Ihnen?

In den letzten Jahren sind es zusammen rund hundert Betroffene oder Angehörige, die sich jährlich bei uns und in unseren Standorten in Potsdam und Potsdam-Mittelmark melden.

Hat die Zunahme auch mit dem Angebot zu tun?

Je mehr Angebote es flächendeckend gibt und je einfacher der Zugang ist, desto mehr Teilnehmer gibt es. So auch beim Glücksspiel. In Potsdam gibt es derzeit soweit ich weiß vier Spielhallen mit mehreren Konzessionen, zwei Sportwettbüros und eine Spielbank. Hinzu kommen zahlreiche Lottoannahmestellen sowie Geldspielgeräte in Kneipen. Seit einiger Zeit beobachten wir zudem eine Verschiebung in den Onlinebereich. Dort ist das Angebot unüberschaubar. Tausende Portale, Websites und Apps stehen zur Verfügung um zu daddeln, zu wetten oder zu spekulieren. Seit der Öffnung des Sportwettenmarktes kommen auch vermehrt Betroffene zu uns, die ihr Geld auf sportliche Events setzen.

Welche Art des Spielens dominiert?

Das hat sich verändert. Früher haben von zehn Spielsüchtigen acht am Automaten gespielt. Jetzt sind es nur noch fünf von zehn, drei machen Sportwetten und das oft online, der Rest verteilt sich auf klassische Spielbankspiele wie Roulette, oder auch Poker und Lotto. Die Hälfte der Betroffenen zockt inzwischen online.

Wie sieht der typische Süchtige aus?

Bei der Glücksspielsucht handelt es sich eher um eine männliche Sucht, was aber nicht bedeutet, dass Frauen nicht um Geld spielen. Vielleicht erreichen wir sie nur noch nicht. An dieser Stelle also ein beherzter Aufruf, sich an uns zu wenden. Für eine Erstberatung stehen sowohl männliche als auch weibliche Suchtberater zur Verfügung. 2016 war der typische Spieler männlich, zwischen 28 und 37 Jahre alt, ledig aber meist in Partnerschaft, hatte einen oder mehrere Jobs und war mehr oder weniger hoch verschuldet.

Von welchen Summen sprechen wir da?

Das ist unterschiedlich. Im vergangenen Jahr hatten 35 Prozent bis zu 10 000 Euro Schulden. Doch es geht zum Teil auch um höhere Summen, neun Prozent hatten mehr als 50 000 Euro Schulden.

Wie geraten die Personen in die Sucht?

Das ist ein schleichender Prozess, der sich über mehrere Monate oder Jahre ziehen kann. Erste Erfahrungen werden meist in der Gemeinschaft gemacht. Jemand überredet jemand anderen mal mitzukommen in die Spielbank oder Spielhalle. Dann gibt es den Moment des ersten größeren Gewinns, das nennt man Gewinnphase. Der ist fast allen in guter Erinnerung. Dann wird weiter gespielt, in der Hoffnung wieder zu gewinnen. Lebensgeschichtlich gibt es dann meist ein einschneidendes, belastendes Erlebnis. Das kann eine Trennung sein, ein abgebrochenes Studium oder eine Kündigung, ein Unfall. Das Spielen kommt zu diesem Zeitpunkt als mögliche Lösung für die akute Belastung oder Krise in Betracht. Über kurz oder lang kommt es dann zu ersten Verlusten, da mehr und riskanter gespielt wird. Das nennt man Verlustphase. Die Einsätze werden gesteigert, mehr Zeit wird am Automaten, im Wettbüro oder am Rechner verbracht. Hier beginnt der Teufelskreislauf. Die Betroffenen jagen den Verlusten hinterher. Das macht es dann nur noch schlimmer, bis irgendwann dann gar nichts mehr geht - die Verzweiflungsphase. Rien ne va plus.

Wo ist die Grenze zwischen Hobby und Sucht?

Der Kontrollverlust ist ein wichtiges Kriterium. Wer süchtig ist, kann über Beginn, Dauer und Ende des Spielens nicht mehr entscheiden. Außerdem kommt es zu einem Verfall der Werte. Die Betroffenen geben etwas auf. Sie vernachlässigen Beziehungen zu Familie und Freunden, Hobbys und kommen so in einen Zustand der Isolation. Es beginnt ein Versteckspiel, das mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden ist.

Wie kommen die Betroffenen zu Ihnen?

Auslöser ist meist die Offenbarung gegenüber den Angehörigen, nachdem herausgekommen ist, dass es ein Suchtproblem gibt. Oft „platzt die Bombe“ überraschend. Ein Brief eines Gläubigers wird geöffnet oder die Verschuldung lässt keinen Spielraum mehr zu. Die Betroffenen geben rückschauend an, froh gewesen zu sein, dass das ganze Versteckspiel nun endlich ein Ende hatte. Bei den Angehörigen überwiegt anfangs der Vertrauensverlust.

Wie läuft die Beratung und Behandlung?

In einem Erstgespräch geht es um die Fragen: Was ist passiert, wie soll es nun weitergehen, was wurde schon veranlasst? Wenn eine Spielsucht vorliegt, viele Lebensthemen aufgearbeitet werden müssen wie Trennung, Verluste oder Biographiebrüche und dazu praktische Alltagshilfen benötigt werden, dann raten wir zu einer Behandlung. In der Therapie legen wir gemeinsam Ziele fest, meistens ist das eine Entscheidung zur Abstinenz. Sie kann auch den Umgang mit Stress erläutern. Die Behandlung kann dann stationär in einer Klinik oder ambulant und berufsbegleitend stattfinden, was viele Betroffene sich wünschen. Das dauert dann bis zu 18 Monate. Die Kosten übernimmt meistens die Rentenversicherung.

Gibt es sonst noch konkrete Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen?

Zum einen sind Hausverbote in Spielhallen wichtig. Das ist für viele Süchtige in Behandlung auch ein wichtiger Schritt: Sie gehen zu ihrer Spielhalle und bitten um ein Hausverbot. Hinterher fühlen sich viele richtig gut. Auch bei den Schulden gibt es Sofortmaßnahmen. Viele Betroffene entschließen sich zur Abgabe von EC-Karten und die Einteilung von Geld, um sich und ihre Familie zu schützen. Bei Verschuldung raten wir grundsätzlich zu einem Termin in der Schuldnerberatungsstelle.

Ist die Therapie erfolgreich?

Ja, die Erfolgsquote ist hoch. Die allermeisten machen die Therapie zu Ende, das ist schon ein Erfolg. Natürlich gibt es Rückfälle, aber aus denen kann man auch lernen. Mehr als die Hälfte ist auch ein Jahr nach der Behandlung noch komplett spielfrei.

Das Gespräch führte Sandra Calvez

Die Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt in der Grobeerenstraße 187 ist unter Tel.: (0331) 73040740 zu erreichen. Einen Überblick über verschiedene Selbsthilfeangebote für Glücksspielsüchtige finden Sie unter: gluecksspiel-selbsthilfe.org.

Zur Person:

Daniel Zeis, 40, ist diplomierter Sozialpädagoge und Suchtberater. Mit einer Kollegin leitet er die Ambulante Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke der AWO in Potsdam.

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