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Sport: Die Madonna bleibt vorn

Die Rad-WM in der spanischen Provinzstadt Ponferrada kommt nur schwer in die Gänge

Ponferrada - Der Radsport ist keine Religion, jedenfalls vermag er nicht in diesem Maße zu mobilisieren. Mit einer Portion Neid in den Augen dürfte UCI-Präsident Brian Cookson auf die Fotos von den mehr als 80 000 Verehrern der Madonna von Castrotierra geschaut haben, die in diesen Tagen die Marienstatue auf ihrem Weg von der Kathedrale von Astorga hin zur Wallfahrtskirche Castrotierra de la Valduerna begleiteten. Das 80 km entfernte Ponferrada, Austragungsort der Rad-WM, kann von solchem Zuspruch nur träumen. Recht dünn war das Spalier bei den bisherigen Wettkämpfen, den Teamzeitfahren von Männern und Frauen sowie den Einzelzeitfahren des Nachwuchses und der Frauen. Das war auch dem starken Regen geschuldet, der manchen Rennfahrern so die Visiere benässte, dass sie fast ohne Sicht den Parcours bewältigen mussten.

Aber auch wenn die Sonne lachte, war die WM kein Zuschauermagnet. Die Region ist etwas abgelegen. Radsport ist hier nicht verwurzelt. „Es gibt hier keine Leidenschaft für den Radsport. Die Kommune sollte Radsportgruppen finanzieren, um die Jungen für diesen Sport zu gewinnen“, meinte leicht verzweifelt der lokale Radsportheld Cesar Garcia Calvo.

Dass die Stadtoberen dennoch die WM wollten, liegt an dem unter Lokalpolitikern weit verbreiteten Wunderglauben, ein großes Sportevent ziehe automatisch Massen an. Im Rathaus des 68 000 Einwohner zählenden Städtchens geht man tapfer von „zukünftigen Einnahmen von bis zu 30 Millionen Euro“ aus.

Klar, die wenigen Hotels der Stadt sind für diese Woche ausgebucht. Aber der weite und durchaus kostspielige Anfahrtsweg hat selbst potenzielle WM-Teilnehmer abgeschreckt. „Wir waren qualifiziert für das Teamzeitfahren. Aber uns war die Anreise zu teuer“, sagt Jochen Hahn, Betreiber des Gelsenkirchener Teams Stölting. Der lange Anfahrtsweg liegt auch Rolf Aldag, Sport- und Entwicklungsdirektor beim Pro Tour Team Omega, im Magen. „Aber wer weiß, vielleicht werden wir uns in den kommenden Jahren noch dankbar an Ponferrada erinnern“, meint er. Im nächsten Jahr geht es über den Atlantik nach Richmond/USA, 2016 nach Katar.

Ponferrada, Richmond und Katar waren jeweils die einzigen WM-Kandidaten. Das weist auf ein Strukturproblem der UCI hin. „Durch die Auflagen des Verbandes wird die Austragung so teuer, dass sich das in Europa bald niemand mehr leisten kann“, sagt BDR-Vizepräsident Udo Sprenger. Er bezieht in seine Klage ausdrücklich die Bahnwettkämpfe ein. Ponferrada, der letzte europäische Austragungsort für die nächste Zeit, wurde denn auch nur durch eine Finanzspritze der Region bei der Stange gehalten, als die Finanzierung des insgesamt 12,5 Millionen Euro teuren Etats auf der Kippe stand.

Wer allerdings einmal den Weg hierher gefunden hat, genießt das Ambiente. Die umliegenden Berge sind reizvoll, die Wettkampfkurse abwechslungsreich. Auch die Konfrontation mit den Jakobsweg-Pilgern ist interessant. „Da macht man sich schon einmal Gedanken über das eigene Leben“, meinte Aldag. Er fuhr mit dem Rad zum Eisernen Kreuz, der höchsten Erhebung des Pilgerwegs und legte in der Tradition der Wallfahrer einen „Kummerstein“ ab.

Ob viel, ob wenig, ob gar keine Zuschauer: Auf alle Fälle will Tony Martin heute seinen Zeitfahr-Titel verteidigen. „Alles andere als Gold wäre eine Enttäuschung“, sagte er vorab. Noch einen Enttäuschten könnte diese WM nur schwer vertragen. Tom Mustroph

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