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WENIGER JUGENDLICHE STRAFTÄTER IN POTSDAM: Ich bin dann mal weg Lernen, Stopp zu sagen

Jüngst wurde ein 17 Jahre alter Potsdamer zu einer Woche Arrest verurteilt – ein Besuch im Jugendknast Theater statt Schläge: Zabrrea Köstermann plant ein Anti-Gewalt-Projekt für Jugendliche am Schlaatz

Für die Potsdamer Polizei ist es ein positiver Trend: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der jugendlichen Straftäter in der Landeshauptstadt und ihrer näheren Umgebung gesunken. So ermittelte die Polizei im Schutzbereich Potsdam 2008 noch 1675 Tatverdächtige unter 21 Jahren. 2007 waren es 206 mehr. Der Anteil Jugendlicher an der Zahl aller Tatverdächtigen sank leicht von 26,7 auf 25,1 Prozent. Als häufigste Delikte hat die Polizei dabei Ladendiebstahl, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen registriert. Um die Jugendkriminalität einzudämmen, gibt es bei der Potsdamer Polizei ein Jugendkommissariat, das Verfahren nach maximal zehn Wochen zum Abschluss bringen soll. Dazu gibt es im Schutzbereich 67 Partnerschaften zwischen Polizei und Schulen.

Eingeschlossen auf ein paar Quadratmetern. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank. Die Fenster sind vergittert. Ein langer Flur, der die schmalen Zimmer aneinander reiht, schlängelt sich durch das marode Gebäude. Im Erdgeschoss die Mädchen, im ersten Stock die Jungen. Die orange Farbe an den Wänden kann die karge Atmosphäre in der Jugendarrestanstalt (JAA) Königs Wusterhausen kaum verbergen.

Hier verbüßen derzeit zwölf straffällig gewordene Jugendliche aus dem Land Brandenburg, darunter zwei Mädchen, ihren Jugendarrest. Das Wort bezeichnet das härteste, im Strafrecht zulässige Zuchtmittel für Jugendliche unter 21 Jahren. Bald könnte auch wieder ein Potsdamer unter den Delinquenten sein: Erst vergangene Woche wurde ein 17-jähriger Schüler der Steuben-Gesamtschule zu einer Woche Jugendarrest verurteilt, weil er nach dem Amoklauf von Winnenden auch ein Blutbad in seiner Schule androhte.

Ihn erwartet zuerst die „Kammer“, ein kleiner Raum, in dem sich ein Regal mit allerhand Krimskrams befindet. Hier werden die Neuankömmlinge auf verbotene Gegenstände durchsucht. Ob Handy, MP3-Player, Gameboy, Getränke oder Lebensmittel – alles muss vorübergehend abgegeben werden. Ausnahmen gibt es keine. Ihr Geld erhalten die Jugendlichen auf Zuteilung. Für 6 Euro pro Tag können sie Süßwaren oder Getränke kaufen.

Nach der Leibesvisitation wird jeder Arrestant Teil eines Stufenprogramms. Stufe eins bedeutet Einschluss für die ersten zwei Tage. 48 Stunden, in denen der junge Sträfling einen Bericht über den Tag seiner Straftat verfassen muss. Lediglich die Sozialarbeiter und die Richterin stehen in dieser Zeit für Gespräche bereit.

Für diejenigen, die sich an die Regeln halten, öffnen sich in Stufe zwei die Zellentüren. Der Tagesablauf wird dabei von der JAA strikt vorgegeben. Um 7 Uhr Aufstehen, 7.30 Uhr Frühstücken, ab 8 Uhr Reinigen der Zimmer und der Gemeinschaftsräume. Dann beginnen die Pflichtveranstaltungen. Auf dem Programm stehen Anti-Gewalttraining und Verkehrserziehung, aber keine Schule. Von 13 bis 15 Uhr erfolgt der so genannte „Mittagseinschluss“. Danach allerdings können die Jugendlichen verschiedene Freizeitangebote wahrnehmen. Die JAA verfügt neben einem Tischtennisraum und einer Bibliothek auch über eine Holzwerkstatt. Fernsehen gibt es nur begrenzt; was geschaut wird, entscheiden die Bediensteten.

Über 23 Plätze verfügt die Anstalt insgesamt. Arrestbeginn ist immer montags: Zwischen 9 und 12 Uhr müssen sich die Verurteilten auf dem Gelände der JAA einfinden. Dies geschieht nicht immer freiwillig. „Anfang 2008 traten nur 50 Prozent der geladenen Jugendlichen ihren Arrest termingerecht an, der Rest musste von der Polizei abgeholt werden“, erklärt Sigrid Floderer. Die fröhlich wirkende Frau mit den schulterlangen blonden Haaren ist Jugendrichterin im Amtsgericht Königs Wusterhausen und damit automatisch Leiterin der JAA. Gemeinsam mit zwölf Vollzugsdienstleitern und zwei Sozialarbeitern betreute sie dort im vergangenen Jahr 658 Jugendliche. 42 von ihnen kamen aus Potsdam. Die jungen Sträflinge bleiben bis zu vier Wochen, manche aber auch nur eine. „Zu wenig Zeit, um aus einem Jugendlichen einen anderen Menschen zu machen", findet Anstaltschefin Floderer. Sicher auch ein Grund, warum die dritte Stufe des JAA-Programms, die vorzeitige Entlassung, in der Praxis nur selten Anwendung findet. „Die Zeit reicht gerade dazu aus, um den Arrestanten einen ersten Denkanstoß zu geben“, sagt Floderer.

Ein Blick aus ihrem Bürofenster zeigt eine Gruppe junger Männer. Sie stehen im Innenhof und unterhalten sich, es nieselt. Als sie bemerken, dass sie beobachtet werden, wenden sie sich ab. Einer von ihnen zieht seine Kapuze tief ins Gesicht. Mit Journalisten reden will hier keiner. So kann nur Floderer über die jungen Straftäter reden. Mit ernster Miene sagt sie: „Der zweite Tag ist für die meisten der Schlimmste. Den ersten verschlafen sie meist, aber am zweiten realisieren sie, dass sie wirklich eingeschlossen sind.“

Ist ein Foulspiel im Fußball schon Gewalt? Ist es Gewalt, wenn mich jemand „Blödmann“ nennt? Was, wenn ich „Ballerspiele“ am Computer spiele? Oder wenn ich zuschaue, wie ein Klassenkamerad verprügelt wird? Ist es Gewalt, wenn ich jemandem ein Bein stelle? Oder mich über seine Frisur lustig mache? Darüber sollen die Teilnehmer im Anti-Gewaltprojekt von Zabrrea Köstermann entscheiden: Auf dem Boden klebt ein Streifen mit den Ziffern eins bis neun. Auf dieser „Gewalt-Skala“ sollen die Schüler einschätzen, wie gewalttätig sie verschiedene Situationen empfinden: Wann fängt Gewalt an?

Eingreifen, lange bevor es zum Äußersten kommt – das ist das Ziel von Zabrrea Köstermann. „Die Jugendlichen sollen lernen, Stopp zu sagen“, erklärt die Berlinerin. Sie ist einer der Köpfe hinter der Anti-Gewalt-Kampagne „Du kannst entscheiden“ mit vier verschiedenen Filmspots, für die sie Diskussionsmaterial entwickelt hat. „Wenn Kinder permanent Gewalt erleben, werden sie sich auch selbst in Gewalt ausdrücken“, glaubt die Projektleiterin.

Jetzt plant sie auch in Potsdam ein Training zur „Gewaltfreien Lebensführung“. Stattfinden soll es in den Herbstferien 2009 im Bürgerhaus am Schlaatz, gemeinsam mit Jugendlichen des Jugendclubs Alpha und der Weidenhof-Grundschule. „Das Projekt richtet sich in erster Linie an 10- bis 14-Jährige“, erklärt Zabrrea Köstermann. Bis zu 100 Teilnehmer könnten es werden – sie sollen in Kleingruppen arbeiten.

Neben den eher theoretischen Unterrichtseinheiten soll es zur Abwechslung auch Sport geben. Außerdem ist die internationale Theatergruppe „Eukitea“ eingeladen, erzählt Zabrrea Köstermann. Bei Rollenspielen sollen die Jugendlichen auch über ihre eigenen Erfahrungen nachdenken – und Worte dafür finden.

Finanziert wird das Ganze über ein Anti-Gewaltprojekt bei der Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg. „Blickfelder öffnen – entschieden gegen Gewalt und Ausgrenzung“ ist der Titel des Projektes, den die Aktion Mensch, der Landesjugendring und die Potsdamer Stiftung Großes Waisenhaus finanziell unterstützen. JaHa

Eva Ziebarth

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