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Bitte abräumen. Manche Traditionen leben auch heute noch in deutschen Jugendherbergen fort, wie etwa das selbstständige Tischabräumen nach dem Essen oder das Bettbeziehen bei der Ankunft.

© Andreas Klaer

Jugendherberge Potsdam: Stockbett statt Schlips

Potsdams Jugendherberge ist unter den Brandenburger Häusern das bestausgelastete. Sie ist modern – und irgendwie auch nicht.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Die Stockbetten aus lackierter Kiefer gibt es noch immer, ebenso das extra gut stapelbare Geschirr und den Kickertisch im Aufenthaltsraum – dass es sich hier um eine Jugendherberge handelt, ist nicht zu übersehen. Und doch hat das Potsdamer Haus nur noch wenig mit dem verstaubten Image zu tun, das Jugendherbergen oft anhaftet. Sammelduschen sucht man hier vergeblich, auch große Schlafsäle gibt es keine. Stattdessen verteilen sich die 152 Betten auf Zwei- bis Vierbettzimmer – mit eigener Dusche und WC. Nicht zuletzt deshalb kann sich die Potsdamer Jugendherberge erneut über die beste Auslastung in ganz Brandenburg freuen, wie nun veröffentlicht wurde. Sie lag bei knapp 55 Prozent – 18 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt.

2004 wurde das Haus in der Schulstraße nahe dem S-Bahnhof Babelsberg eröffnet, die leerstehende Grundschule wurde damals um einen Anbau erweitert. Um die 30 000 Übernachtungen zählt das Haus jedes Jahr, 2016 waren es sogar etwas mehr. „Unter der Woche kommen vor allem Schüler auf Klassenfahrt zu uns“, sagt Herbergsleiterin Marion Hännes’chen. Am Wochenende seien auch Vereine, Orchester oder Kirchengruppen dabei. Die größte Gruppe machten 2016 neben den Schülern laut Hännes'chen jedoch mit 19 Prozent Familien aus. Sie schätzen die Tatsache, dass andere Familien mit Kindern da sind – vor allem wenn sie Einzelkinder haben – und das Preis-Leistungs-Verhältnis. Tatsächlich zahlen Eltern nur 24 Euro pro Person und Nacht, für Kinder gibt es je nach Alter verschiedene Ermäßigung – das ist weniger als in den meisten anderen Unterkünften Potsdams. Voraussetzung ist allerdings eine Mitgliedschaft beim Deutschen Jugendherbergswerk, diese kostet 22,50 Euro pro Jahr, Ermäßigungen gibt es für junge Menschen unter 27 und Familien.

Günstige Übernachtungsmöglichkeiten für junge Leute zu schaffen, das war auch die Idee der bereits über 100 Jahre alten Jugendherbergsbewegung. 1909 war der Lehrer Richard Schirrmann auf einer Wanderreise mit seinen Schülern in ein Gewitter gekommen und musste in einer Schule ein Notlager aufschlagen. 1912 eröffnete die erste ständige Jugendherberge im Sauerland nach seinen Vorstellungen. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland mehr als 2000 Herbergen, heute sind es noch 471. Bis heute bekommen junge Leute Vergünstigungen, eine Altersbeschränkung gilt es aber nicht mehr. Sonst könnte auch kaum der prominenteste Gast der Potsdamer Jugendherberge immer wieder einchecken, der durch einem Kinofilm bekannte CDU-Abgeordnete Henryk Wichmann. Der Uckermärker übernachtet manchmal nach langen Sitzungen hier, vor drei Jahren machte die Geschichte die Runde. „Das ist preiswerter als eine Zweitwohnung oder ein Hotelzimmer“, hatte er damals gesagt.

Viele kämen aber weniger wegen des Preises, sondern wegen der besonderen Atmosphäre in die Jugendherberge, glaubt Marcus Hirschberg vom Berlin- Brandenburger Landesverband des Deutschen Jugendherbergswerks. „Hier geht es um den Gemeinschaftssinn, hier kommen junge Menschen aus aller Welt zusammen“, sagt er. Und es gehe lockerer zu als etwa in einem Hotel. „Schlips und Kragen gibt’s hier nicht.“ Ob ihm die Hostels Sorge bereiten, die seit einigen Jahren überall in Deutschland auf dem Vormarsch sind und ebenfalls vorwiegend junge Menschen ansprechen? „Wir haben nicht die gleiche Zielgruppe“, so Hirschberg. „Wir wollen keine Backpacker anlocken, sondern Gruppen und Familien.“

Eine weitere Zielgruppe sind Behinderte – ihre Integration ist eines der erklärten Ziele des Jugendherbergswerks. In der Potsdamer Herberge gibt es vier barrierefreie Zimmer mit großem Bad, Notklingel und extra hohem Bett. Eines wird gerade von Heinz-Dieter Kentrup bezogen, er ist Stammgast hier. „Ich mag hier die familiäre Atmosphäre“, sagt der gehbehinderte 66-Jährige. Einmal habe er die neue Jugendherberge am Berliner Ostkreuz ausprobiert, aber dort war es ihm zu trubelig. „Außerdem ist hier das Essen super.“

Selbiges gibt es im Speisesaal im Erdgeschoss. Wie der Rest der Herberge ist er an diesem Vormittag unter der Woche ausgestorben, die Schüler sind alle auf Ausflügen unterwegs. Auf dem Speiseplan am Eingang steht, was diese Woche auf den Tisch kommt. Heute Abend ist es Rindergulasch mit Penne-Nudeln, morgen Mittag Bratwurst mit Sauerkraut und Salzkartoffeln. „Unsere Köche stellen sich auf die Gäste ein“, sagt Herbergsleiterin Hännes'chen. Würden etwa Schulklassen mit vielen türkischen Kindern erwartet, gebe es Huhn statt Schwein. „Und wenn sich Sportvereine angekündigt haben, gibt es Nudeln. Das essen die am liebsten.“

Hännes'chen kennt sich aus, seit 41 Jahren ist die 61-Jährige in Jugendherbergen tätig. Zur Eröffnung 2004 kam sie nach Potsdam und übernahm das Haus mit ihrem Mann. Seit der 2015 in Rente gegangen ist, steht ihr der 32-jährige Konstantin Wägner als stellvertretender Leiter zur Seite. Wenn Hännes'chen in zwei Jahren in Rente geht, wird er die Leitung übernehmen. Die Stockbetten wird es dann auch weiterhin geben. Genauso wie das Stapelgeschirr und den Kicker. Denn ein bisschen jugendherbergig soll es ja auch in Zukunft sein. (mit dpa)

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