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Kultur: Die Geheimnisse des Parks

Mit dem Glöckchen um den Hals durch die Trollenacht der Musikfestspiele Sanssouci

Trolle haben, so sagt man, Angst vor bimmelnden Glöckchen. So bekommt jeder Besucher der freitäglichen „Trollenacht“ im Musikfestspielpark Sanssouci eines umgehängt, um die nordischen Fabelwesen, die ja alles andere als niedlich und noch weniger freundlich sein sollen, auf Abstand zu halten. In Skandinavien wird der Sommeranfang so oder so ähnlich mit der Mittsommernacht überall gefeiert, und so bietet sich zehn Hundertschaften ausgeschlafener Besucher ein traumlindes, zauberhaftes Bild vor einer vollmondbeschienenen Kulisse. Am Vortag hatte Probe sein sollen, die fiel ins Wasser, und folglich muss improvisiert werden. So regeln sich auch nur mit der Zeit die akustischen Interferenzen zurecht, und die Westpotsdamer Störquelle der vor allem lauten „Fête de la Musique“ weht immer wieder nervtötende Flackergeräusche entlang der Baumwipfel herüber.

Dennoch – die Atmosphäre macht was her, überall stehen Teelichter in Trollväschen herum, liebevolle Warnschilder mit den buckligen Gesellen sollen verhindern, dass die Besucher unerlaubte und unbeleuchtete Wege beschreiten, es ist überhaupt erstaunlich, wie gut die Festspiele den sonst so heiligen Park erschließen durften. An verschiedenen Stationen haben sie Überraschungen platziert: Im Nordischen Garten verbindet der Romeo-&-Julia-Kören nordische Volksweisen mit melancholischen Tänzen, parallel dazu intoniert das Holzbläserquintett der Kammerakademie Potsdam Nielsen und Grieg im Verborgenen. In der Grotte der Orangerie beschwört der Same Johan Sara die Schlichtheit seiner Heimatgesänge, während auf der Treppe bergwärts Trollemärchen erzählt werden.

Magischer Höhepunkt sollen die „echten“ Fabelwesen sein: Eine kleine Improvisationstheatertruppe steuert knurrende Figuren bei, die auf einem Geisterweg die Besucher erschrecken und von ihren Glöckchen in die Schranken gewiesen werden sollen. In diesen guten Ideen steckt so viel Poesie, dass man verzweifeln möchte, wie unempfänglich das Publikum dafür ist. Die leisen Töne solch einer Sommernacht werden gar nicht erst wahrgenommen, die „unsichtbaren Musiker“ des unterhalb einer dichten Hecke untergebrachten Bläserquintetts müssen sichtbar gemacht werden, weil der Mensch ein visuelles Wesen ist, das nur wahrnimmt, was es erblicken kann. Aus dem Off wirkt die Musik dann doch eher wie Berieselung, die auch der moderne Konzertbesucher als beiläufig ignoriert. Ausgetrocknet ist die naturpoetische Ader des Musikgelehrten Johann Mattheson, der mit der romantischen Erfahrung zitiert wird, in Norwegen „unterirdische Klippen-Concerte“ vernommen zu haben, die „die Sinne verwirrt“ hätten. Solcherlei Sensitivität ist nicht mehr Teil des kollektiven Gedächtnisses, so attraktiv die Erinnerung daran auch sein mag.

Ernüchternd wenige lassen sich wirklich auf den Zauber dieser so wunderschönen Nacht ein – direkt und erkennbar und konkret muss es sein. Nur selten spielt jemand das Trollespiel mit, eher provoziert werden die Figuren, die doch ihrerseits koboldbös necken sollen. Leichter hat es noch die wackere Märchenfee, deren Sprechtalent dafür aber leider noch nicht zur Zielgröße gereift ist. Nein, die wichtigsten Themen für das Publikum an diesem Abend kreisen dann doch um Mückenspray, Weinglasrückgabe und das eher konsumtive Abhaken der Stationen.

Angesichts des geradezu märchenhaft schönen Bildes, zu dessen Inspiration dem Festival nur zu gratulieren ist, fällt es schon aus akustischen Gründen schwer, die einzelnen künstlerischen Leistungen zu bewerten – darum geht es in dieser fantastischen Nacht auch gar nicht. So bleibt unerheblich, dass der nordische Chor aufgrund der unerprobten Aufführungssituation gehörige Intonationsmängel hat, oder dass im lappländischen Joikgesang eher selten Obertöne zu hören sind. Die poetische Stimmung wirkt, denn der Park strahlt einen Zauber aus, wenn er ohne Touristen die Geheimnisse der Dunkelheit erahnen lässt.

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