zum Hauptinhalt

Kultur: Flammenmeer und Regenguss

Brandenburgische Sommerkonzerte mit Julian Steckel und Paul Rivinius in der Paretzer Scheune zu Gast

Den Brandenburgischen Sommerkonzerten macht in dieser Saison die Sogenanntheit der Jahreszeit beileibe nicht nur Freude. Zum ersten Mal gastierten die „Klassiker auf Landpartie“ am Sonntag in der erst im Frühjahr hergerichteten und nun restlos ausverkauften Paretzer Kulturscheune, und während die berühmte Kaffeetafel noch bei leidlich-trüber Trockenheit wunderbar malerisch auf der Schlossparkwiese zum Verweilen lud, prasselte während des Konzertes schon wieder der Regen aufs Scheunendach.

Dem Konzertgenuss darinnen tat dies keinen Abbruch, denn engagiert war ein fabelhaftes Duo aus preisumkrönten Kammermusikern. Sowohl Cellist Julian Steckel als auch sein Klavierpartner Paul Rivinius erwiesen sich als feuerfeste und bestens aufeinander eingespielte Tonversteher, bei denen die Kunst erst aus dem Zusammenspiel von Durchdringung, Können und Deutung erwächst. So geriet der zweistündige Nachmittag zu einem Festspiel von musikalischen Tugenden: Das Duo übte weder Saiten- noch Tastensport, kultivierte seine Virtuosität nicht um eines billigen Effektes willen.

Dramaturgisch hielt das Programm zunächst durchaus mit seinen Reizen haus. Die für Cello und Klavier gesetzten Gelegenheitswerke „La lugrube gondola“ und „Die Zelle in Nonnenwerth“ von Franz Liszt, zu Ehren seines 200. Geburtstages aufgeführt, konnten kaum verbergen, dass sie mehr für den Salon als für den Konzertsaal konzipiert worden waren. Mit eiserner Konzentration und fast schon introvertierter Innigkeit gaben sich Steckel und Rivinius den Sentimentalismen hin und kosteten jeden wie im Nichts stehen gelassenen Vorhalt als leise verklingendes Fragezeichen aus. Diese Konsequenz verlangt Mut und höchstes Können, damit die „ersterbend“ komponierte Musik nicht sich selbst samt Geduld der Zuhörer zerbrösele. Tat sie nicht, selbst wenn dieser besondere Liszt auch nach dieser Aufführung nicht ins Walhall der höchsten Kunstwerke Eingang finden wird.

Die Eckwerke des Nachmittags – Cellosonaten von Debussy, Saint-Saëns und Brahms – sprachen da eine ganz andere, substanzreiche Sprache. Hingebungsvoll und inspiriert förderten Steckel und Rivinius ihre Botschaften zutage. Gewissenhaft bis an den Rand grimmiger Verkniffenheit erforschten sie um jeden Preis die feinnervigen und burleske-artigen Strukturen eines Debussy, rauten die barock anmutende Süße eines Saint-Saëns auf und spielten mit solcher Intensität, dass selbst dort eine urtiefe Bedeutung aufflackerte, wo im Notentext gar keine verankert war.

Stets auf gleicher Augenhöhe um wohldosierte Ausbrüche, gleichwohl ausgewogene Diktion ringend, verlor sich das Duo mit Liebe für kleinste Details nie in Nebensächlichkeiten. An zartesten Pianissimo-Stellen bewies es seine Meisterschaft fast noch eindrücklicher als in den irrwitzig halsbrecherischen Passagen von grotesker technischer Schwierigkeit. Beide Meister ihres Instruments fanden zu einer Stimmigkeit des Ausdrucks, die sich über den ganzen Nachmittag hin erstreckte. Wer darf das schon von sich sagen: in einem intimen Kammerkonzert einen so dichten Spannungsbogen ziehen zu können?

Kulminieren konnte solches Künstlertum nur in einem Glanzstück – Johannes Brahms liebte das Violoncello fast genauso sehr wie die Altstimme. Beide vereint ein edler, warmer, fast mütterlicher Ton. Im einen wie im anderen Fall gelingt es nur wenigen Musikern, diesen Ton zu erzeugen. Julian Steckel traf ihn: sehr durchsichtig, besonders an den leisen Stellen, in den Klangfarben äußerst ausdifferenziert, kraftvoll, aber niemals orchestral. Dieser Brahms stellte den unumstößlichen Höhepunkt dar und rief Rachmaninows unvermeidliche, kitschfrei dargebrachte Vokalise als Zugabe auf den Plan. Mit jäh hervorbrechendem Jubel entließ das Publikum die sichtlich erschöpften Musiker. Auch der draußen aufbrausende Regenguss konnte das musikalische Flammenmeer in den gestärkten Seelen nicht löschen. Christian Schmidt

Das Konzert ist am 1. September, 20.03 Uhr, im rbb-Kulturradio zu hören

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false