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Schrill. Regisseur Bruce LaBruce.

© dpa

"The Raspberry Reich" im Filmmuseum Potsdam: Homosexuelle Intifada

„The Raspberry Reich“ von Bruce LaBruce im Filmmuseum. Viel Pornografie hinter kapitalismuskritischer Fassade

Ein Mann sitzt auf einer Schaukel und spricht Arabisch, die Kamera hält im Close-up auf ihn drauf, kurz darauf wechselt die Szene: Ein anderer Mann steht vor einem übergroßen Che-Guevara-Poster, er leckt und saugt an einem Revolver, phallisches Symbol schlechthin, eine Hand ist in seiner Unterhose. Nebenan vögeln eine Frau und ein Mann, das Bett reicht ihnen nicht, das Liebesspiel wird in den Hausflur verlegt, dann in den Fahrstuhl: „Holger! Fuck me for the revolution!“, schreit RAF-Ikone Gudrun Ensslin.

Starke Nerven musste man schon haben, um diesen Film ertragen zu können: Allzu viele trauten sich dann auch nicht am Samstagabend ins Filmmuseum, um sich „The Raspberry Reich“ des kanadischen Regisseurs Bruce LaBruce im Rahmen der Filmreihe „Queeres Kino“ anzusehen, eine grellbunte Persiflage auf Pornografie und Terrorismus, die im Jahr 2002 – ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September – in Berlin gedreht wurde. Gut, auf Filme von LaBruce sollte man vorbereitet sein, immerhin gilt der Regisseur als Punk der queeren Szene, der auch auf der Berlinale gezeigt wird: In der Regel gibt es immer zwei Versionen, einen Kunstfilm, und eine Version, bei der die Handlung zugunsten eines Hardcore-Schwulenpornos zurechtgestutzt wird – und die letztlich das Geld einspielt, klar. Kaum zu glauben immerhin, dass es die Kunstfilmversion zu sehen gab: Von so vielen erigierten Penissen, die in sämtliche Körperöffnungen gesteckt wurden, konnte einem ganz schwindelig werden, noch dazu die schräge Popmusik und grelle, stroboskophafte Bildschnitte, die für Epileptiker absolut ungeeignet wären.

Porno mit Handlung

Die Handlung ist eine Analogie auf die Rote Armee Fraktion und die Entführung von Hanns Martin Schleyer – nur dass das „Entführungsopfer“, man kann es nicht anders sagen, nach Strich und Faden gefickt wird. Aber auch Gudrun (Ensslin), Andreas (Baader), Holger (Meins) und Che (Guevara) fallen in regelmäßigen Abständen übereinander her – ein Porno mit Handlung eben. Die ist allerdings so grotesk, dass man schreiend hinausrennen könnte. Zwischen die Geschichte des Terrorismus im Schnelldurchlauf passen eben schnell noch Genitalien in Nahaufnahme, ab und zu unterbrechen antiamerikanische Kurzvorträge die Schwanzlutscherei. Dieser pseudorevolutionäre Bullshit wurde jedoch noch mit Zitaten von Sexpsychologe Wilhelm Reich und Gesellschaftskritiker Herbert Marcuse aufgefüllt. Essenz: „Tod den faschistischen Parasiten!“, „Heterosexualität ist Opium fürs Volk!“, „Die homosexuelle Intifada ist die Lösung!“ Oh Gott, oh Gott.

Susanne Sachße freute sich im anschließenden kurzen Filmgespräch wenigstens über die Komik ihrer Rolle. Sicherlich war in dem Film ganz viel Ironie versteckt, die aber unter der plakativen Handlung und der Pornografie unterging. Die Sehnsucht nach Revolution ist ja gut und schön, und die darf auch gern erotisch gefärbt sein – Susanne Sachße sieht in einer Revolution ohne Sex gar keinen Sinn. Letztlich bleibt LaBruces Film aber nur das: eine aufgesetzt kapitalismuskritische Fassade für einen Porno, der in seinem Dilettantismus – der Film wurde nachsynchronisiert, wobei die Schauspieler englische Texte mit starkem deutschen Akzent sprachen – dazu verdammt ist, sich das Regal mit herkömmlichen Werken zu teilen. Manchmal kann Kunst auch in die falsche Richtung polarisieren. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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