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Titus Engel und die Musiker:innen der Big Band der Deutschen Oper Berlin sowie des Jazz-Instituts Berlin. 

© Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Musikfest Berlin: Die Freiheit, die ich meine

Monumental: Die Big Band der Deutschen Oper spielt zum Finale des Musikfest „Epitaph“ von Charles Mingus

Charles Mingus galt als Genie und „angry man“ des Jazz, ein hochtalentierter Musiker, dem als Jugendlichem aber das klassische Cellostudium verwehrt worden war aufgrund einer Hautfarbe, die mit kultureller Zugehörigkeit gleichgesetzt wurde. Dabei war er nicht einmal „richtig“ schwarz, sondern mittels Beimischung schwedischer, englischer und chinesischer Gene ein „Half-Shitt-Colored Nigger“, wie er selbst ironisch bemerkte. Ihm stand in den 1940er Jahren also nur der Jazz offen, für den er im Gegenzug denn auch stolz Exklusivität als „Musik der schwarzen Amerikaner“ beanspruchte.

Doch die Sehnsucht nach Klängen jenseits der Kategorien ließ den großen, 1979 mit 57 Jahren verstorbenen Kontrabassisten nicht los. Sein „Epitaph“, eine monströse Folge 20 ausladender Stücke von über zwei Stunden Dauer, zeigt ebenso Einflüsse quer durch die Stilepochen des Jazz wie aus klassischer Spätromantik und Moderne. In Riesenbesetzung und unter Verzicht auf einen Dirigenten konnte die unzureichend vorbereitete Uraufführung 1961 nur scheitern. Denn Mingus komponiert hier dichteste, polyfon bewegte Strukturen minuziös aus, aus denen sich Solo- und anspruchsvollste Gruppenimprovisationen herauslösen.

Erst die Überarbeitung aus nachgelassenem Stimmen- und Skizzenmaterial durch den Komponisten Gunter Schuller 1989 ergab eine realisierbare Partitur. Trotzdem findet nach einer USA-Tournee 2007 jetzt erst wieder eine Aufführung statt, zum Abschluss des „Musikfest Berlin“, als Hommage zum 100. Geburtstag von Mingus. Unter der ebenso gestisch sparsamen wie energiegeladenen Leitung von Titus Engel durchforsten auf der Bühne der Philharmonie die Musiker:innen der Big Band und des Orchesters der Deutschen Oper sowie vom Jazzinstitut Berlin die Ausdruckswelten von dunkler Bedrohung, inniger Gesanglichkeit, Konflikt und Ekstase mit unbändiger Spielfreude und bemerkenswerter Klarheit.

Startrompeter Randy Brecker, schon bei der „zweiten“ Uraufführung 1980 dabei, lässt seinen wunderbar klaren Ton in höchsten Höhen schweben, seiner Virtuosität eifern Fagott und Oboe, Saxofone aller Couleur und Posaunen eindrucksvoll nach. Berührend, wenn Jorge Puerta auf einen Mingus-Text stimmgewaltig von „Freedom“ singt und die Musiker mitsummen. Das Geben und Nehmen des Jazz vereinigt sich hier in „Percussion Discussion“ zu schönster kammermusikalischer Feingliedrigkeit atemberaubender Schlagzeug- und Kontrabass-Soli, wie andererseits Pauken und massive Bläserakkorde an der Grenze zur Atonalität immer wieder einen nie so gehörten Orchestersound ergeben.

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