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Musikfestspiele Potsdam: Spitzentöne in einem Spitzenkonzert

Concerto Köln schlüpft in die Rolle des Dresdner Hoforchesters

Es ist schon allein der Titel des Konzertes, der die Messlatte hochhängt: „Spitzentöne“ verspricht der Friedenskirchabend bei den Musikfestspielen. Er verweist mit Werken von Lotti, Hasse, Vivaldi und Händel auf die große, von Italien dominierte Operntradition des beginnenden 18. Jahrhunderts. August der Starke versammelte schon 1719 mit großem finanziellen Aufwand die erste Riege italienischer Musiker am Dresdner Hof. Elbflorenz durfte sich damals eines Musiklebens rühmen, das dem venezianischen durchaus ebenbürtig war. Dass Hofkapellmeister Johann Adolph Hasse wenige Jahre später die gefeierte Mezzosopranistin Faustina Bordoni ehelichte, die selbst aus Venedig stammte, war der Beginn einer auch musikalisch glücklichen Liaison. Nachdem sie sich auf Reisen einen phänomenalen Ruf erarbeitet hatten, durften sie damit ab 1733 auch in Dresden glänzen.

Concerto Köln schlüpfte nun in die Rolle der Hofkapelle und verteidigte souverän seinen exzellenten Ruf. So leicht, so federnd, so spritzig und alles andere als langatmig kann Alte Musik klingen, wenn man in ihren festgefügten Strukturen Witz und Esprit erkennen und ihn zu Tage fördern kann. Konzertmeister Markus Hoffmann vereint in seinem Orchester all diese Eigenschaften mit bewunderungswürdiger Kontinuität. Mögen auch die Naturhornisten keine Übermenschen sein, gestattet sich die Solo-Oboistin Susanne Regel manchen spitzen Ton – selbst die eine oder andere ein wenig zu routinierte Phrasierung findet immer noch auf allerhöchstem Niveau statt. Diese Musiker haben sichtlich Spaß an ihrem Tun, übertreiben aber auch nicht das allzu Artifizielle, das manchem Alten Meister einen Schuss Manierismus verleiht. Concerto Köln pflegt die Natürlichkeit, und allein schon dieses Erlebnisses wegen lohnt sich das Konzert.

Nun verheißt dessen Untertitel aber auch eine Begegnung zwischen Primadonna und „Kastrat“, eine leicht missverständliche Bezeichnung, denn Gott sei Dank ist heutzutage ja letztere Verstümmelung nicht mehr notwendig, als Countertenor kann man auch mannskräftig mit Kopfstimme singen. Umso tragischer, wenn der Kehlkopf erkrankt, und so muss am Freitag kurzfristig Filippo Mineccia für den verhinderten Xavier Sabata einspringen, aber das macht gar nichts, denn er ist mehr als ein Ersatz. Wie der erst 30-jährige Italiener die schwierige Aufgabe meistert, in ein sorgfältig ausgesuchtes Programm einzusteigen, ist aller Ehren wert. Seine Höhen sitzen weit vorn, erlauben ihm eine offene Gestaltung und haben dennoch genügend Geschmeidigkeit. Die Koloraturen wirken klar, aber nicht immer ohne Anstrengung. Einzig in den tiefen Registern bleibt Mineccia etwas kehlig, und so vertraut er ohne Scheu seinen „Spitzentönen“ – mit großem Erfolg.

Nicht anders ergeht es Vivica Genaux, deren virtuose Technik der Beschreibung des vermeintlichen Vorbilds Faustina Bordoni ziemlich nahe kommt. Noch in den wendigsten Koloraturen und abenteuerlichsten Trillern beweist die auf vielen wichtigen Bühnen der Welt präsente Amerikanerin eine Raffinesse, die ihresgleichen sucht. Die über das reine Barockrepertoire hinausreichende Erfahrung, etwa mit Rossini oder Meyerbeer, ist für die inhaltliche Ausprägung ihrer Partien besonders nützlich. Es sind hier keine „Spitzentöne“ im Wortsinne, sondern die dramatische Fähigkeit, einer Opera seria genau die Lebendigkeit angedeihen zu lassen, die sie braucht, um über bloße Schönheit hinauszuwachsen. Manch eine Tour de force ist verzeihlich, sofern die Technik nicht die Musik dominiert und zum zwerchfellsportlichen Selbstzweck wird. Stilsicherheit und Ausdrucksstärke aber machen Vivica Genaux über jeden Zweifel erhaben und lösen einen unbeschreiblichen Jubel aus, der drei Zugaben der beiden Sänger fordert.Christian Schmidt

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