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Da muss doch was zu finden sein. Susanne Ellen Kirchesch als Susanna und Giulio Mastrototaro als Figaro im Schlosstheater.

©  HL Böhme

Kultur: Tiefe seelische Wunden

Andreas Dresen wollte im Schlosstheater mit Mozarts „Figaro“ verstören

Das letzte Bild war das stärkste: Im vermeintlichen Jubelgeschrei, dass sich nun alle Irrungen und Wirrungen gelöst, alle Liebenden gefunden, alle Schwerenöter gebessert, alle edlen Herzen belohnt hätten – in diesem Finale der „Hochzeit des Figaro“ wurden traurige Gesichter weiß und fahl von unten angestrahlt. Ungläubig ihrer behaupteten Freude, distanziert von ihresgleichen, schemenhaft wie Scherenschnittfiguren, einsam. Andreas Dresen war dem Ruf der Winteroper ins Neue Palais gefolgt und deutete Mozarts Komödie in eine Tragödie mit verirrtem Slapstick um.

Dem Filmregisseur gelang, woran sonst manche Brechstange des Regietheaters selbst zerbricht: zu verstören. Der Umweg von seinen durch die Bank eher hölzernen Darstellern zum Publikum war nicht leicht, aber er funktionierte. Dresen hatte sich wohl viel Zeit genommen für die Personenführung, drei Nettostunden Szenerie schienen minutiös durchdacht. Dreh- und Angelpunkt seiner Inszenierung: Enttäuschungen, Illusionen, Unvollkommenheit. Im Verwirrspiel um liebende Herzen steckt eben mehr als eine sommernachtsträumerische Komödie oder eine buffoeske Verwechslungständelei. Hier werden tiefe seelische Verwundungen ertragen und zugefügt.

Dresen sieht hinter all der berlusconihaften „Italianitá“ des Kreuz-und-quer-Betrugs, die oft als angeblich überquellende Lebensfreude verharmlost wird, ein ernstes Problem: dass nämlich am Ende alle verlieren. Die Schwachen, die sich ihren wahrhaftigen Gefühlen hingeben und unter deren Verrat leiden, aber auch die vermeintlich Starken, die jede Gelegenheit nutzen, ihr Temperament auf jede nur mögliche und unmögliche Art zur Eruption zu bringen. Bedrückend das stochernde Umherirren der Figuren bei den Worten Cherubinos, er suche, was er nicht habe. Beeindruckend die Verlassenheit der betrogenen Gräfin, als sie mit Kinderwagen und Koffer eine Flucht ins Nirgendwo anzutreten scheint, ziellos, aber fortgetrieben. Kalt das Bild des huldigenden Chores in gastronomischer Servicekluft mit Fähnchen. Stark die spießige Wehleidigkeit der Kleinbürgerseele Bartolo, der ohne Not aus seinem Rollstuhl aufstehen kann, als er seine Jugendliebe in Marcellina wiederentdeckt. Was Wunder, dass die Figuren irgendwie an die berühmten Sozialbeobachtungen aus Dresens Filmen erinnern. Er stellt keine Seele bloß, denn er versteht jede. Auf unterschiedliche Weise sind sie alle geschädigt, was sich nicht nur in ihrer Sprache zeigt, die ziemlich ungehobelt-jugendlich neu übersetzt wurde.

Einrichter Mathias Fischer-Dieskau (ja, es ist der Sohn) war vermutlich über den Boulevard spaziert, als ihm der Einfall mit sechs verschieden großen Türen kam. Deren beständiges Klappern sorgt in Verwechslungskomödien üblicherweise fürs Tempo beim Voreinanderflüchten und Hintereinanderherrennen. Hier sollten sie wohl für die Bipolarität von Distanz und Nähe herhalten, aber so richtig traute ihnen der Regisseur dann doch nicht über den Weg und nutzte sie eher sparsam. So blieb trotzdem manches halbgar, riss der eine oder andere Einfall oder scheiterte an der Unbedarftheit der schauspielerischen Schwächen.

Dafür entschädigte die Musik, die – ganz der Lesart Dresens entsprechend – raubeinig, eruptiv, ja aggressiv aufflackerte. Sergio Azzolini sorgte am Pult der gar sehr kleinen Kammerakademie Potsdam für eindrucksvolles Wetterleuchten, nicht immer mit Sinn, aber stets mit Verstand. Sein unkonventionelles „Dirigat“ verstand er mehr als Impulsgeber denn als Gestalter, hyperaktiv stieß er eher an und ließ laufen – im vollen Vertrauen darauf, dass sich Bühne und Graben über die kurze Distanz hin schon verstehen werden. Folgerichtig ging manches daneben, aber die Wirkung Azzolinis, der schon mal mit Fagott im Mund seine Lockenpracht als Dirigentenstab benutzte, war erstaunlich präzise. Schade, dass nicht alle Akademisten mit historischen Instrumenten gekommen waren, sodass sich ein Missverhältnis zwischen Naturblech und modernem Holz ergab. Die Pauke schenkte dem Gewitter den Donner, und ganz außerordentlich flink münzte Rita Herzog am Hammerflügel die Rezitative in Szenen, die, jedem Langeweileverdacht enthoben, den Puls drängend unter der Oberfläche schlugen.

Leider übertrug sich diese Energie nicht in jedem Fall auf die leere Bühne, die ja nun zu füllen war mit gestischer und gesanglicher Akkuratesse. Zur zweiten Hälfte hin entwickelte sich Christian Senn als Graf Almaviva am überzeugendsten zu dem, was Andreas Dresen die ganze Zeit schon sagen wollte: einem Getriebenen, der nur geglaubt hatte, immerzu genossen zu haben. Sein Bariton verschwieg die edle Bassfarbe nicht, obwohl die Tiefen etwas an verschwommenen Konturen litten. Aber Senns Erscheinung überzeugte am meisten – stimmlich wie darstellerisch, sie blieb nicht statisch, sondern entwicklungsfähig. Ähnlich beeindruckend Jutta Böhnert als Gräfin, die sich mit großer Eleganz ihre stimmliche Beweglichkeit bewahrte, und Olivia Vermeulen als Cherubino, die in ihrer Verletztheit große Szenen hatte, aber an ihrer linkisch gespielten Naivität litt. Vergleichsweise blass blieb dagegen das Titelbrautpaar – Susanne Ellen Kirchesch als Susanna und Giulio Mastrototaro als Figaro; stimmlich völlig unterrepräsentiert der Neue Kammerchor Potsdam. Entsprechend verteilt war der Beifall des prominent besetzten Publikums – die Chancen auf Restkarten für die drei weiteren Vorstellungen stehen nicht sonderlich gut.

Wieder am 11., 12. und 26. November

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