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Kultur: Verklärte Innenschau

Vladimir Mogilevskys „Best of Chopin“-Konzert im gut besuchten Nikolaisaal

Die Verlorenheit war nur flüchtig. Aber sie passte hervorragend in diesen großen Saal. Mit drei Nocturnes von Frédéric Chopin eröffnete Vladimir Mogilevsky sein „Best of Chopin“ Konzert am Donnerstag im gut besuchten Nikolaisaal. Ein gnadenloser Auftakt in dem Sinne, dass schon mit den ersten Tontupfern der Nocturne Es-Dur, op. 9 Nr. 2 ein Abstieg in die fragwürdige Schönheit der Melancholie beginnt. Verklärte Innenschau, die Chopin mit seinen Nachtstücken aufs Papier gebracht hat und mit seinen eigenwilligen Kompositionen Maßstäbe in dem Genre der Nocturnes setzte. Verzweiflung und Zerrissenheit, Sehnsucht und Hoffnung, hellstes Licht und tiefste Nacht; all das hat Chopin in vielfachen Schattierungen und Variationen in seine Nocturnes getaucht. Doch unter Mogilevskys Händen war davon nur ein kurzes dunkles Aufleuchten zu spüren.

Ein wenig Melancholie, dazu ein Stoßseufzer Sehnsucht, dann aber schon wieder vorwärts dahin, wo das Licht und die Hoffnung leuchten. Mogilevsky mag das Innehalten nicht. Beschleunigung statt Entschleunigung lautet seine Herangehensweise an Chopin. Und so flogen seine Nocturnes, zwar immer noch etwas verloren wirkende Klangskizzen im viel zu großen Nikolaisaal, dahin wie leichte Ahnungen von etwas Kommendem, das viel Schönheit und Sorglosigkeit verspricht. Eine Lesart, die durchaus ihren Reiz hat. Doch wenn als drittes Stück die bekannte Nocturne cis-Moll, op. post. auf dem Programm steht, hört man sehr genau hin, was Mogilesky aus diesem Stück macht. Und schon nach den ersten Tönen machte sich ein Unbehagen breit.

Ein Unbehagen, das bei den folgenden drei Polonaises und vier Mazurkas nicht nur anhielt, sondern noch verstärkt wurde. Technisch ist Vladimir Mogilevskys Spiel über jeden Zweifel erhaben. Doch der junge Pianist scheint Chopin vor allem als sportliche und dementsprechend virtuose Herausforderung zu verstehen. Seine Beschleunigung verwischte viele der Feinheiten, ließ die Nuancen verblassen und machte die Kompositionen Chopins zu herrlich glatt polierten Möbelstücken, die zwar für einen kurzen Moment beeindrucken, letztendlich aber doch ohne Reiz bleiben. Besserung war hier erst nach der Pause zu erleben.

Es schien, als habe die Ballade Nr. 1, g-Moll, op. 23, bei Mogilevsky selbst etwas ausgelöst, das auch Spuren in seinem Spiel hinterließ. Diese Ballade, die Chopin selbst zu einer seiner besten Kompositionen zählte, mit ihren lyrischen Momenten und der aufwallenden, fast schon aufbrausenden Dramatik ist eine Herausforderung, nicht nur für den Pianisten. Mogilevsky war hier ganz in seinem Element, was Rasanz und kraft-, wie effektvolle Anschläge betraf. Aber auch für die Feinheiten zeigte er das nötige Gespür. War da doch endlich ein gewisses Atmen in seinem Spiel, durch das sich Musik oft erst öffnet. Ein Atmen, das auch in den folgenden Walzern anhielt und diesem Abend dann noch mehr gab als nur glatt polierte Oberflächen. Dirk Becker

Dirk Becker

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