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Gegen „Jingle-Bells-Terrorismus“. Die Gambistin Hille Perl.

©  Uwe Arens

Kultur: Viel Anspruch, wenig Erfüllung Hille Perl verkunstet

Weihnachten

„Verleih uns Frieden gnädiglich“ – diese fromme Bitte von Heinrich Schütz an das heutige Geburtstagskind stand Pate für ein Weihnachtskonzert der anderen Art im Nikolaisaal: Die Gambistin Hille Perl war am Samstag mit The Sirius Viols gekommen, um dem „Jingle-Bells-Terrorismus“, wie sie es im Programmheft schrieb, ihre Sicht entgegenzusetzen. Große Worte stehen da von Bedrohungen und Unsicherheiten der heutigen Zeit, den Problemen der Globalisierung und dem Wettlauf des Menschen mit dem Fortschritt. Da fragt man sich schon, bevor das Konzert beginnt: Darf’s eine Nummer kleiner sein?

Hille Perls Musik wandelt denn auch zwischen Johann Eccard und Dreißigjährigem Krieg, zwischen Thomaskantor Johann Schelle und Francis Cuttings „Greensleeves“. Die Gambistin will einen Kontrapunkt setzen. Sie möchte mit dem Ernsthaftesten, was die protestantische frühe Kirchenmusik hervorgebracht hat, eine „echte“ Weihnachtsstimmung aufkommen lassen, eine, in der man um Frieden bittet in Liebe zum Nächsten. Dieses Konzert entspringt dem Bedürfnis, den Advent besonders begehen zu wollen – ohne die Hast der Alltage, ohne den Stress der Gesellschaft.

Aber es lässt auch viele Frage offen. Die dringlichste davon ist die nach dem Konzertort. Kirchenmusik klingt im Kirchenraum am besten. Dann natürlich die Dramaturgie: Diese Art stiller Feierlichkeit eignet sich sehr wohl zum Innehalten. Aber die Kaufhausbeschallung mit Gewalt aussperren zu wollen aus der Erinnerung der hektischen Normalität erweist sich als allzu frommer Wunsch. Er scheitert schon am Publikum, das offensichtlich an schwerer Lungenpest laboriert: Das Hustenbegleitkonzert lässt kaum ein konzentriertes In-sich-Gehen zu.

Und es bleibt die wesentlichste Frage ungelöst: Mit Anna Maria Friman, Ensemblesopran des norwegischen Mittelaltertrios Mediaeval, konterkariert eine Solistin die Idee der Musik, die meistens nicht für Gamben gedacht war, sondern für Vokalensembles zu drei, vier, fünf oder sechs Stimmen. Man hat sie liebevoll arrangiert, aber dabei eines vergessen: Die urprotestantische Haltung im Sinne von Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist hier nicht mehr her als ein Stimmchen – gewollt verschlankt, zerbrechlich, verzärtelt. Sie will verkunsten, aber es wird nicht mehr als ein Verdunsten. Das hätte Hille Perl, die sich ja eindeutig auf die historische und textliche Bedeutung bezieht, wissen müssen. Ging es am Ende doch nur um schöne Musik, deren Zweck sich in sogenannter Entschleunigung erschöpft, als Euphemismus für Berieselung? Kaufhaus auf leise?

Das Problem liegt vor allem im Text begründet, der wie in keiner anderen Musik wichtiger als die Töne ist. Erstens kann man ihn nur schwer verstehen, weil eben Anna Maria Friman Norwegerin ist und überdies ausschließlich musikalisch und nicht textlich phrasiert. Zweitens wird er erstickt, weil Gamben vokale Musik zwar gut nachahmen, aber nicht formulieren können. Mit der Zerstörung des Textes gerät das Ensemble in die Falle der Selbstüberschätzung. Es bleibt ein Irrglaube, dass das göttliche eigene Instrument die Stimme schon ersetzen könne. Ohne Frage spielen die Musiker um Hille Perl hervorragend, abgesehen vielleicht vom Lautenisten. Dennoch hat das Konzert etwas Verlogenes an sich: Die heraufbeschworene Innerlichkeit wirkt wie aufgepfropft, denn den Kern der Musik trifft das Ensemble The Sirius Viols eben nicht.

Ein völliges Eigenleben entwickelt der Schauspieler Hanns Zischler, der weihnachtliche Briefe von Rainer Maria Rilke an die Mutter liest. In der fast zehn Elogen umfassenden Auswahl überwindet der älter werdende Dichter nicht die Hürde der beiderseitigen Einsamkeit und des Alleingelassenseins. Ab 1914 macht er sich, ziemlich vorhersehbar für einen empfindsamen Schriftsteller, um das Kriegsgetümmel Sorgen. Das ist nicht gerade überraschend, noch hat es mehr mit der Musik zu tun als das, was sich Hille Perl für das Programmheft abgerungen hat. Am Ende bleibt das Gefühl eines unaufrichtigen Abends. Christian Schmidt

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