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Kultur: Von internationaler Größe

Die Kammerakademie Potsdam und ihr Chefdirigent Antonello Manacorda mit ihrer neuen CD „Schubert Sinfonien Nr. 5 & 6“

Wenn ein Label wie Sony auf die Idee kommt, nach gigantischen Referenzaufnahmen des vergangenen Jahrhunderts die gefühlt 125. Gesamteinspielung von Schuberts Sinfonien zu riskieren und dafür auch noch ein Orchester zu engagieren, das weniger mit einem international großen Namen, dafür aber mit erlesener Qualität punkten kann, dann hat das schon etwas von einem Weltwunder der Musikwirtschaft. Und das, wohlgemerkt, nicht als Livemitschnitt – wie heutzutage aus Kostengründen häufiger üblich, als man sich wünschen dürfte –, sondern als Studioaufnahme unter besten Bedingungen bei Teldec in Lichterfelde entstanden.

Schon die zweite CD bringt Antonello Manarcorda nun mit seiner Kammerakademie heraus, darauf zwei sogenannte Jugendwerke Schuberts, denen wie so vielen eine Anerkennung durch ein breites Publikum versagt blieb. Der geniale Komponist hatte schon froh sein müssen, dass sich mit Otto Hatwigs Liebhaberorchester dazumal überhaupt jemand fand, der in Wien seiner ausgesprochen großen Produktivität gewachsen war. Sowohl die fünfte als auch die sechste Sinfonie wurden bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein verkannt und kaum einer Aufführung für würdig befunden. Dabei sind sie doch ein so beredtes Zeugnis für Schuberts Emanzipation von den übergroßen Schatten der Wiener Klassik. Deren Einflüsse, insbesondere des kammermusikalisch geprägte Joseph Haydns, sind zwar allgegenwärtig, aber schon in diesen frühen Werken fand Franz Schubert zu seiner eigenen Klangsprache, die deutlich in Richtung Romantik vorwärtstrieb.

Was macht man aus solchen Werken gesetzter Größe, zu denen schon so viele Dirigenten Großes zu sagen hatten? Kann man überhaupt daran etwas Neues finden? Antonello Manacordas Verdienst ist es, sich nicht zuallererst als Neuerfinder des Rades profilieren zu wollen. Sein Anspruch, möglichst adäquat zu sein, reicht schon völlig für eine gelungene, frische Aufnahme. Manacorda ist kein Imperator, geschweige denn ein Diktator. Er entwickelt seine Interpretation mit den Musikern der Kammerakademie gemeinsam, das kann man hören. Wie allein das Horn mit seiner absteigenden Figur den zweiten Satz der Fünften beschließt, ist so ein Beispiel für die Unbedingtheit dieser Zusammenarbeit. Hier atmet eine Kompanie von Musikern die gleiche Morgenluft. Die Aufnahme ist kein Ergebnis eines Kulturkampfes, sondern das einer Kooperative.

Diese gemeinsame Interpretation ist von angenehm unaufdringlicher Zeitlosigkeit. Die thematische Textur ist sorgfältig gearbeitet, man hört alles, was man hören muss, um die Sinfonien in ihrer Struktur und ihren Aussagen zu verstehen. Da ist keine Schwere, aber viel Tiefe, keine Zähigkeit, aber klangliche Größe. Manacordas eckiges Dirigat gibt die richtigen kraftvollen Impulse für die flüssige Klangrede der Orchestermusiker, manche Akzente sind vielleicht ein bisschen überbetont, aber das ist ein Jammern auf hohem Niveau. In gewohnter Weise glänzen sowohl Streicher als auch Holzbläser mit blitzsauberer Intonation, und auch bei den naturtönig besetzten Blechkollegen ist, der Studioperfektion sei Dank, die Makellosigkeit eine Sache selbstverständlicher Musikerehre. Ob sie möglicherweise im Fortissimo ein bisschen zu stark in den Vordergrund kommen, kann man als tonmeisterliche Geschmackssache abhaken.

Alles schön rund also? Nun ja. Manchmal wünscht man sich ein kleines Erkennungszeichen der Kammerakademie, die mit dieser CD als Visitenkarte durch die Lande ziehen will. Es ist nun nicht so, dass diese Aufnahme durch ihre technische Brillanz geglättet wirken würde, aber letztlich beweist sie eher, dass die Kammerakademie Potsdam internationalen Standards genügt, als dass sie sich eine Eigenheit bewahren wollte. Das ist bedauerlicherweise eine Frage des Zeitgeistes: Die Globalisierung fordert schon seit mindestens 20 Jahren ihren Tribut – auch von der Unterscheidbarkeit von Orchesterklängen. Sie passen sich international an; nur die uralten Klangkörper wie in Leipzig, Dresden oder Wien leisten sich diesbezüglich noch Besonderheiten. Wenn die Potsdamer in der internationalen Liga mitspielen wollen, müssen sie modern sein. Keine Frage, diesen Anspruch erfüllt die CD ohne Einschränkung. Welch großes künstlerisches Potenzial hier am Nikolaisaal seine Heimstatt hat, ist wohl nur den wenigsten Einheimischen bekannt. Christian Schmidt

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