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Kultur: Wenn der Mund offen stehen bleibt

Abschlusskonzert gerät zur Krönung der Brandenburgischen Sommerkonzerte

Auch in ihrer 21. Saison haben die Brandenburgischen Sommerkonzerte ihren Besucherrekord des vergangenen Jubiläumsjahres eingestellt. Die Grundidee, Natur, Musik, Architektur und Kulinarik zu verbinden, überzeugte über 20 000 Besucher und sorgte wie beim Abschlusskonzert mit der Kammerakademie Potsdam am Sonntag in der Erlöserkirche für ausverkaufte Häuser. Zur Krönung geriet es durch einen der ganz großen seiner Zunft: Albrecht Mayer war als Oboist und Dirigent gekommen.

Freilich sollte sich der erste Solist der Berliner Philharmoniker dann doch lieber aufs Musizieren denn aufs Dozieren verlegen – die gönnerhaften Zynismen im Ton des Erstaunten, die Zuhörer „hätten gut mitgemacht und nicht gehustet, während ich spiele“ waren mindestens entbehrlich und überdies, sogar zwischen einzelnen Sätzen vorgebracht, kontraproduktiv im Sinne seiner vermeintlichen Botschaft.

Nichtsdestoweniger war es Albrecht Mayers exquisite Art, Musik zu machen, die am Ende das Publikum trampeln ließ, dass man Sorge hatte um die Statik der Erlöserkirche. Denn der Ausnahmeoboist bewies, dass er nicht nur exzellent Oboe spielen kann, sondern auch ein fabelhafter, unkonventioneller Dirigent ist. Mitgebracht hatte er ein marketingtaktisch gut auf seine neueste CD abgestimmtes Programm spätromantischer Franzosen, gepaart mit englischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Zwischen der Sentimentalität eines Fauré bis zur Spritzigkeit eines Britten reichte das durchaus eher unbekannte Repertoire, und Albrecht Mayer hatte es gut gewählt.

Mayers Oboenton ist oft allgemein bewundernd beschrieben worden, aber es ist gerade der Farbenreichtum, die einer Oboe niemals zugetraute Wandlungsfähigkeit, die ihn so einzigartig macht. Abgesehen von seiner umwerfenden Virtuosität, Atem- und Blastechnik, beeindruckt insonderheit die Anpassungsfähigkeit an Stilistik, an expressive Stimmungen und kompositorische Eigenarten. Albrecht Mayer hat immer eine klare Vorstellung davon, was er sagen will, er befragt die Stücke, die er spielt, nach ihrer Substanz, und eben die weiß er dann auch mit solchem Perfektionismus und scheinbar spielerischer Leichtigkeit freizulegen, dass dem atemlos folgenden Publikum wahlweise Wasser in die Augen tritt, der Mund offen stehen bleibt oder das Herz rast. Ein bisschen erinnert das an die Zeit, als das Theater die Menschen noch aufwühlte und aufrührte. Albrecht Mayer will erbauen, ergreifen, anfassen – und ja, warum nicht? – belehren. Sicher ist er auch ein guter Unterhalter und nutzt seine PR-Kompatibilität weidlich aus, etwa wenn bei seinen Ausflügen zu Kuschelsendern wie Klassikradio die Hörer ein Abendessen mit ihm gewinnen können. Im Konzert aber, da ist Albrecht Mayer ganz bei sich selbst und pocht auf höchste Ansprüche.

Für deren Erfüllung hatte er in der Erlöserkirche die extrem gut gelaunte Kammerakademie an seiner Seite, die mit einer ungeahnten Präzision und Freude spielte, als wollte sie zum 10. Geburtstag noch einmal neu gegründet werden. Potsdam kann sich glücklich schätzen, über dieses exzellente Orchester zu verfügen, dessen „Kammerstatus“ nur allzu bescheiden wirkt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie spritzig, wie originell, wie lebendig es klingt, wie fahl auch, wenn das gefragt ist, wie es ein Pianissimo zu zaubern weiß, wo andere Orchester einfach quer drüberschießen, wie lupenrein sauber es intoniert. Was ein Glück zum Beispiel für Albrecht Mayer, dass er mit solch einem fabelhaften ersten Klarinettisten im Duo spielen konnte!

Die Kammerakademie, schlank und doch süffig aufspielend, zeigte sich von der besten Seite und fraß dem großen Meister aus der Hand. Dessen zuweilen eckige Gesten waren knapp und ausdrucksstark zugleich: Als Orchestermusiker weiß Mayer genau, was gebraucht wird, welcher Wink wirklich hilft und welcher bloß Showeffekt eines Dirigenten ist. Belohnt wurden dafür alle – Musiker wie Bewunderer. Christian Schmidt

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