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Anna Mahler auf einer Fotografie von 1926.

© ullstein bild via Getty Images

Sachbuch: Das Leben der Anna Mahler: „Ich bin kein Ismus“

Ihrer Zeit voraus und höchst eigenwillig entwickelte sich Anna Mahler, die Tochter Gustav und Alma Mahlers, zu einer der führenden Bildhauerinnen

Von Paul Michael Lützeler

Auch wenn Anna, die Tochter Gustav und Alma Mahlers, in keiner der vielen Künste, mit der sie schon als Kind und Heranwachsende in Berührung kam, reüssiert hätte, wäre es – kulturgeschichtlich gesehen – doch lohnenswert gewesen, ihre Vita nachzuzeichnen. Aber sie erlebte nicht nur als Zeitzeugin das 20. Jahrhundert, sondern entwickelte sich – trotz aller Widerstände – zu einer der führenden und eigenständigen Bildhauerinnen ihrer Generation.

Ihr Werk – bestehend aus vielen Porträtbüsten und Skulpturen – findet immer mehr Beachtung. Ein Glücksfall für die interdisziplinär orientierten Österreich-Studien, dass die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Reiterer sich mit Leben und Werk Anna Mahlers so intensiv beschäftigt hat. Das Buch ist nicht nur packend, ja spannend erzählt, sondern auch vorzüglich recherchiert und hat wichtige Dokumente der Rezeption berücksichtigt – wie etwa Peter Stephan Jungks langes Videointerview aus dem Jahr 1987 oder den von Barbara Weidle und Ursula Seeber herausgegebenen Forschungs-Sammelband von 2004, also zum hundertsten Geburtstag der Künstlerin.

Anna Mahler erlebte in Wien noch die letzte Phase der Habsburger Monarchie. Ihr Vater zog als Dirigent und Komponist New York vor, und so verbrachte sie als Kind mit ihm viele Monate in der amerikanischen Metropole. Gustav Mahler starb 1911; kurz vor ihrem 7. Geburtstag.

Mahler und ihre Mentoren

In den Zwanziger Jahren ging sie nach Berlin, Rom und Paris, lernte die Avantgarde in ihren deutschen, italienischen wie französischen Varianten kennen. Sie studierte dort Malerei, fand aber keinen rechten Zugang zu den „Modernen“. Die größte Nähe verspürte sie zu den pittura-metafisica-Bildern Giorgio de Chiricos, bei dem sie Malunterricht nahm. Der hatte sich auch einen Namen als Bildhauer gemacht, und vielleicht ist durch ihn Anna Mahlers Wende zur Skulptur zu erklären.

In Wien wählte sie zu Anfang der 1930er Jahre den Bildhauer Fritz Wotruba zum Mentor. Ihr Atelier in der Operngasse wurde zu einem stadtbekannten Künstlertreff. Dort wurde sie von vielen Verehrern umschwärmt, zu denen auch Hermann Broch und Elias Canetti gehörten. Mit ihren Freunden kam sie durchweg besser aus als mit ihren fünf Ehemännern, von denen sie sich immer nach einigen Jahren scheiden ließ.

Zu wenig abstrakt

1938 floh sie nach London, wo sie ein neues Atelier zu etablieren verstand. Von ihrer Arbeit als Bildhauerin konnte sie – gerade in Kriegszeiten - nicht leben, und so blieb es bei der unwürdigen Abhängigkeit von der finanzkräftigen Mutter. In den Nachkriegsjahren zog es sie in die USA, wo sie an der University of California at Los Angeles (UCLA) unterrichtete, doch wurde ihr nach zwei Jahren gekündigt, weil ihr Lehrstil zu unstrukturiert und ihre Ausrichtung zu wenig abstrakt sei. Die durch den amerikanischen Kunstpapst Clement Greenberg propagierte radikale Abstraktheit war ihre Sache nicht. „Ich bin kein Ismus“ betonte sie wiederholt.

Inspiriert wurde sie durch gegenständlich arbeitende moderne Bildhauer wie Rodin, Maillol, Barlach, Lehmbruck und eben Wotruba. Man könnte sagen, dass sie ihrer Zeit voraus war, denn ihre Kunstwerke sind bereits Beispiele einer Postmoderne, die für die 1980er Jahre bezeichnend war. Damals häuften sich die Aufträge und ihr Meisterwerk „Der Maskenturm“ machte sie international berühmt.

In ihrem Todesjahr 1988 wurde sie auch in Österreich entdeckt: Man arrangierte eine große Ausstellung für sie in Salzburg. Die Auswahl dafür hatte sie noch selbst treffen können, doch starb sie kurz vor dem Eröffnungstag.

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