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Bloß nicht hinsehen: die große Trauer, als der Abstieg feststand.

© imago/Beautiful Sports/Luciano Lima

Abstieg mit Ansage: Ein Spiel, so verkorkst wie die ganze Saison von Hertha BSC

Die Berliner dürfen in der Partie gegen den VfL Bochum lange auf ein Endspiel hoffen. Doch dann werden sie in der Nachspielzeit geschockt. Das ist bezeichnend für diese Spielzeit.

Dass die Dinge vielleicht doch nicht den erhofften, den erwünschten, den erflehten Verlauf nehmen würden: Vielleicht hätte man es ahnen können, als Chidera Ejuke in letzter Minute der regulären Spielzeit den Ball aufs Bochumer Tor schoss – und dieser Ball eben nicht im Netz landete, sondern am Pfosten.

Es wäre das 2:0 für Hertha BSC gewesen. Das Tor, das für den Berliner Fußball-Bundesligisten die Hoffnung am Leben gehalten hätte. Aber so blieb es beim dünnen 1:0. Pal Dardai, Herthas Trainer, spürte schon etwas im Hinterkopf: dass es schwer werden würde, den Vorsprung über die Zeit zu retten; dass es in der Nachspielzeit vielleicht noch einen Chaos-Moment im eigenen Strafraum geben würde – und dass dann alles vorbei sein würde.

Es war 17.23 Uhr, als die vergleichsweise euphorischen Gesänge der Hertha-Fans unter den 70.692 Zuschauern im Olympiastadion plötzlich verstummten – und als tief im Westen der Arena die anderen Blau-Weißen einen spitzen Schrei der Erlösung ausstießen. In der vierten Minute der Nachspielzeit köpfte der eingewechselte Keven Schlotterbeck nach einer Ecke zum 1:1 (0:0)-Endstand für den VfL Bochum ein. Und Hertha BSC damit schon einen Spieltag vor Schluss in die Zweite Liga.

„Das ist ein Szenario, auf das wir uns schon monatelang vorbereiten konnten und mussten“, sagte Sportdirektor Benjamin Weber. „Jetzt ist es Fakt.“ Und trotzdem: Auch wenn Hertha mit dem Vollzug des Abstiegs hatte rechnen müssen: Nach dem Spielverlauf gegen Bochum fühlte es sich fast ein bisschen abstrus an, dass es tatsächlich so gekommen war. „Ich kann es noch nicht realisieren, es ist einfach nur traurig“, sagte Kevin-Prince Boateng im Interview bei Sky.

Bei aller Dramatik zum Schluss: „So ehrlich muss man sein: Es ist ein bisschen Spiegelbild der ganzen Saison, dass dieses Ding am Schluss dann auch noch reinfällt“, sagte Weber. „Wir haben einfach viel zu viele Fehler gemacht.“

Das Ergebnis all dieser Fehler und Versäumnisse ist der siebte Abstieg der Vereinsgeschichte. Nach exakt zehn Jahren geht es für Hertha nun wieder runter in die Zweite Liga. Wie lange der Aufenthalt dort diesmal dauert: Wer will das schon seriös beantworten? Der Verein hatte in dieser Spielzeit nicht nur sportlich Probleme. Auch finanziell sieht es für Hertha kritisch aus. Und die Lizenz für die Zweite Liga ist auch noch nicht sicher.

Böller flogen nach dem Ausgleich

„Wenn man die Kulisse sieht, ist doch klar, dass wir natürlich alles tun werden, um wieder hochzukommen“, sagte Sportdirektor Weber. Mit 912.087 Zuschauern bei den 17 Heimspielen hat Hertha in dieser eigentlich so traurigen Spielzeit einen Rekordbesuch verzeichnet. Die bisherige Bestmarke aus der Saison 2011/12 wurde damit übertroffen. Auch 2012 ist die Mannschaft abgestiegen – und kehrte nach einem Jahr in die Bundesliga zurück. Das strebt Hertha auch jetzt wieder an. „Aber es wäre falsch, heute irgendwelche Sachen rauszuhauen“, sagte Sportdirektor Weber eine gute halbe Stunde nach Vollzug des Abstiegs.

Wenn man die Kulisse sieht, ist doch klar, dass wir natürlich alles tun werden, um wieder hochzukommen.

Sportdirektor Benjamin Weber

Böller flogen nach dem Ausgleich der Bochumer Richtung Innenraum. Auch als die Mannschaft sich später, nach einigen Minuten der inneren Einkehr, noch einmal geschlossen in die Ostkurve aufmachte. Kevin-Prince Boateng, der jetzt wohl mit einem Abstieg seine Karriere beenden wird und der in seinem letzten Heimspiel im Olympiastadion sein Team als Kapitän aufs Feld geführt hatte, erhob sich von der Ersatzbank. Er legte den Kopf in den Nacken, seine Kollegen folgten ihm. An den Rändern der Kurve gab es Applaus, der harte Kern der Ultras hingegen wirkte eher feindselig.

Dabei hatte sich die Mannschaft am Samstag auch mit der Unterstützung der Fans noch einmal gegen das scheinbar Unvermeidliche gewehrt. „Wenn es hier immer so ist: Hut ab!“, sagte Thomas Letsch, Trainer der Bochumer, nach seinem ersten Besuch im Olympiastadion. „Das war beeindruckend.“ Und Herthas Mannschaft, die zuletzt nicht immer krisensicher gewirkt hatte, zahlte die Unterstützung von den Rängen diesmal tatsächlich mit einer hinreißenden kämpferischen Leistung zurück.

Der Nachmittag hatte denkbar ungünstig begonnen

Dabei hatte der Nachmittag schon denkbar ungünstig begonnen: Noch bevor im Olympiastadion der Ball rollte, war der FC Schalke 04, einer der Konkurrenten im Abstiegskampf, in seinem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt bereits mit 1:0 in Führung gegangen. Registriert wurde es im Olympiastadion allenfalls am Rande. Dabei hätte der Zwischenstand aus Gelsenkirchen allen Berlinern noch einmal vor Augen führen können, dass Hertha für die Rettung auch auf fremde Hilfe angewiesen sein würde.

Vor allem aber musste das Team die eigenen Hausaufgaben erledigen – und gegen Bochum gewinnen, um überhaupt noch eine Chance zu haben. Nach knapp 20 Minuten sah es so aus, als ob sich die Dinge tatsächlich fügen würden. Dodi Lukebakio lief allein auf Bochums Torhüter Manuel Riemann zu und traf zum vermeintlichen 1:0 – doch aus dem frenetischen Jubel wurde ohne erkennbaren Übergang ein frenetisches Pfeifkonzert, als Schiedsrichter Felix Brych zum Monitor an der Seitenlinie eilte. Tatsächlich nahm er nach Ansicht der TV-Bilder den Treffer zurück, weil Stevan Jovetic zuvor ein wenig zu heftig am Trikot des Bochumer Innenverteidigers Ivan Ordets gezerrt hatte.

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Besucher kamen in dieser Saison ins Olympiastadion

Die Bochumer, die ebenfalls noch um den Klassenerhalt kämpfen, hatten in der ersten Hälfte die besseren Chancen. Ihr Mittelstürmer Philipp Hofmann verpasste schon in der Anfangsphase mit einem Kopfball nur knapp das 1:0 für die Gäste. Eine weitere Gelegenheit Mitte der ersten Hälfte vereitelte Herthas Torhüter Oliver Christensen mit einem großartigen Reflex gegen Takuma Asano. Nach der Pause, bereits beim Stand von 1:0, entschied der Däne das Duell mit dem Japaner ein weiteres Mal für sich.

Auch Christensen hat im Laufe der Saison einige schwächere Spiele absolviert. In der entscheidenden Saisonphase aber hat er sich wieder gefangen. Gegen Stuttgart, in Köln und auch am Samstag gegen Bochum war er seiner Mannschaft ein sicherer Rückhalt. Aber am Ende reichte es nicht. „Es tut weh, es tut extrem weh. Im Kopf. Im Herz“, sagte Christensen, der vor der Saison zu Herthas Nummer eins befördert worden war. „Heute ist ein schwarzer Tag. Aber ich glaube, es ist verdient, dass wir absteigen.“

Es gab zu viele Mängel

Der Mängel gab es einfach zu viele. Auch gegen Bochum offenbarte Herthas Mannschaft, bei allem Eifer, erneut zu viele Defizite. In der Abwehr zu luftig, in der Offensive nicht zielstrebig genug. Nach der Führung, die Lucas Tousart, im Anschluss an eine Ecke per Kopf erzielt hatte, versäumte Hertha es, die sich bietenden Konterchancen entschlossener, strukturierter und mit klarem Kopf zu Ende zu spielen. So hielt Hertha den VfL Bochum im Spiel.

In einer wilden Schlussphase traf zunächst Schlotterbeck mit einem abgefälschten Schuss den Pfosten des Berliner Tores, im Gegenzug tat es ihm der eingewechselte Ejuke auf der anderen Seite gleich. Die Berliner Fans feierten trotzdem, im festen Glauben, mit einem Heimsieg gegen den VfL die Hoffnung auf den Klassenerhalt am Leben zu erhalten. Dann gab es noch eine Ecke für die Bochumer…

„Natürlich tut das weh“, sagte Pal Dardai, der sechs Spieltage vor Schluss als Trainer eingesprungen ist. Zweimal hat er den Verein, der ihm über die Jahrzehnte ans Herz gewachsen ist, vor dem Abstieg retten können. Ein drittes Mal blieb es ihm nun verwehrt – weil die Umstände ungleich schwieriger waren als bei seinen Rettungsmissionen zuvor.

Ob er selbst den Unfall als Trainer reparieren darf, das soll erst nach dem letzten Spiel am kommenden Wochenende in Wolfsburg geklärt werden. Es ist allerdings recht wahrscheinlich. „Heute und morgen ist scheiße“, sagte Dardai. „Wir sind abgestiegen. Das ist nicht schön. Aber schon jetzt musst du für die Zukunft arbeiten.“

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