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Als würde er fliegen: Marco Odermatt wählt in der Abfahrt die perfekte Linie.

© Reuters/Denis Balibouse

„Beste Fahrt meines Lebens“: Marco Odermatt ist neuer Weltmeister in der Abfahrt

Bei den Wettkämpfen in Frankreich setzten bislang eher Außenseiter die Akzente. In der Abfahrt zeigen die besten Athleten des Winters nun ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten.

Marco Odermatt wusste nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Immer wieder riss er die Arme nach oben und legte den Kopf in den Nacken. „Ich hatte noch nie solche Emotionen“, sagte der 25-Jährige später im Schweizer Fernsehen.

Für Odermatt war es ein großer Moment, und auch für diese Ski-WM, bei der bisher vor allem die Außenseiter Akzente gesetzt hatten. Überwältigt von der eigenen Leistung in der Abfahrt, erleichtert, weil er im Super-G als Top-Favorit nicht geklappt hatte. „Die vergangenen Tage waren nicht die einfachsten für mich“, gibt Odermatt zu.

Diese Fahrt, das „war die beste meines Lebens“, wusste er, nahe an der Perfektion. Und das in jener Disziplin, in der er bisher noch kein Weltcup-Rennen gewonnen hat. „Ich glaube, der hatte irgendwo Schienen versteckt“, sagt der Deutsche Romed Baumann.

Trotzdem saß Odermatt zunächst noch etwas unentspannt auf dem Stuhl des Führenden. Er war sich keineswegs sicher, den ersten WM-Titel gewonnen zu haben. Der Beste der Saison in der Abfahrt, Aleksander Aamodt Kilde, stand noch oben am Start, ebenso James Crawford, der Überraschungssieger im Super-G drei Tage davor.

Thomas Dreßen trotz Knieprellung zufrieden

Zudem ein paar Athleten, die im Training überrascht hatten, sowie Thomas Dreßen, der sich trotz Knochenprellung im Knie und überstandenem Magen-Darm-Infekt in den vergangenen Tagen wieder konkurrenzfähig präsentiert hatte. Der zehnte Platz mit nur 0,25 Sekunden auf den Dritten ist für den Kitzbühel-Sieger von 2018 die Gewissheit, „wieder auf dem Weg dahin“ zu sein, „wo ich hingehöre“.

Für Odermatt war es vor allem ein „ein zittriges Warten“, als Kilde fuhr, und später noch einmal, als der Kanadier Cameron Alexander mit glänzenden Zwischenzeiten unterwegs war, aber ebenso wie Kilde keine Chance hatte. „Was Odermatt heute gezeigt hat, war zu gut“, sagte der Norweger. Es blieb ihm wie im Super-G nur Silber und die Erkenntnis: „Ein hungriger Odermatt ist schwierig zu schlagen.“

Ein hungriger Odermatt ist schwierig zu schlagen.

Aleksander Aamodt Kilde über den Sieger

Es gibt kaum ein besseres Rennen für den ersten Abfahrtssieg als beim Großereignis. Aber von einem Außenseiter-Erfolg zu sprechen wie am Tag zuvor bei den Frauen oder im Super-G, würde Odermatt nicht gerecht werden. Seit Saisonbeginn duelliert er sich mit Kilde auf hohem Niveau in den beiden schnellen Disziplinen, wobei die Rollen bis zu dieser WM klar verteilt waren.

Der Norweger hat fünf von acht Abfahrten gewonnen, Odermatt vier von sechs Super-G-Rennen. Dieses Duell, sagte der Schweizer, helfe beiden, weil sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Der eine, Kilde, schafft es mit Kraft, der andere, Odermatt „mit der feinen Klinge“, sagt Baumann.

Aber dieses Ausreizen des Limits wäre den Dominatoren vor ein paar Wochen fast zum Verhängnis geworden. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis Odermatt auch in der Abfahrt gewinnen würde. Kilde ahnte dies, und so überzogen sie beide auf der Streif in Kitzbühel und konnten nur mit Mühe einen Sturz verhindern. Wobei es Odermatt schlimmer erwischte. Er zog sich eine Meniskusquetschung zu, pausierte eine Woche und gewann bei seiner Rückkehr gleich wieder Super-G-Rennen.

Die größere Last trug Aleksander Aamodt Kilde

Odermatt hatte davon gesprochen, Gold gewinnen zu wollen bei der WM. Alles andere wäre angesichts der glänzenden Resultate in diesem Winter auch unglaubwürdig gewesen. „Aber wenn es nicht klappt, höre ich deshalb nicht Ende der Saison mit dem Skisport auf“, sagte er. Der Gesamtweltcup-Sieger hatte bereits mehrmals bewiesen, dass er mit der Bürde umgehen kann. Im vergangenen Jahr holte er Gold im Riesenslalom bei den Olympischen Spielen.

Aber dieses Mal war der Druck höher. Im Super-G habe man „ihm schon angesehen, dass er nicht so befreit fährt wie sonst“, fand Dreßen. In der Abfahrt dann trug die Last nicht er, sondern Kilde. „Er war der Favorit, ich nicht.“ Das sei „ein gewaltiger Unterschied“, gab Odermatt zu.

In der Schweiz waren zu Beginn der WM schon Parallelen gezogen worden zum bisher erfolgreichsten Skifahrer der Eidgenossen. Pirmin Zurbriggen hatte sich 1985 in Kitzbühel ebenfalls am Meniskus verletzt und war drei Wochen später in Bormio zu Abfahrts-Gold gerast. Ein paar Titel und Siege fehlen Odermatt noch, um mit dem großen Zurbriggen auf einer Stufe zu stehen. Aber seit Sonntag ist die Lücke wieder ein wenig kleiner geworden.

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