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Nur gemeinsam geht’s. Hertha BSC hat an defensiver Stabilität gewonnen, weil die Mannschaft die Verteidigung als Kollektiv angeht.

© Foto: IMAGO/Jan Huebner

Das Spiel bei RB Leipzig als echter Härtetest: Wie stabil ist Hertha BSC wirklich?

Hertha BSC ist deutlich stabiler als vorige Saison. Wie stabil, dass muss sich bei RB Leipzig zeigen. Dort haben die Berliner vor einem Jahr eine 0:6-Niederlage kassiert.

Sandro Schwarz nahm keine Rücksicht auf seine Gesundheit. Immer wieder und über eine Entfernung von 30, 40 Meter hinweg brüllte er den Namen beziehungsweise Spitznamen von Agustin Rogel. „Agu!“, rief Schwarz, der Trainer von Hertha BSC. Dreimal, viermal, fünfmal. Bis die Stimme krächzte.

Worum es ihm in dieser Szene aus der zweiten Halbzeit des Spiels gegen den SC Freiburg am vergangenen Wochenende gegangen war, was er seinem Innenverteidiger aus Uruguay Dringendes mitzuteilen hatte, das konnte Sandro Schwarz vier Tage später selbst nicht mehr sagen. Er hatte es vergessen, was darauf schließen lässt, dass Agustin Rogel sich nichts Dramatisches hatte zuschulden kommen lassen.

Im Gegenteil. Schwarz fand, dass der Neuzugang seine Sache im Verbund mit seinem Nebenmann Marc Kempf sehr ordentlich gemacht hatte. Aber das gelte genauso für die anderen Innenverteidiger, die in dieser Saison bereits zum Einsatz gekommen sind. Für den jungen Marton Dardai. Und auch für Filip Uremovic, der bisher meist neben Kempf gespielt hatte, wegen einer Fußprellung aber weiterhin ausfällt.

Überhaupt macht es Hertha defensiv sehr ordentlich. In der Tabelle der Fußball-Bundesliga bewegt sich die Mannschaft zwar wieder einmal am Rande der Abstiegszone. Mit zwölf Gegentoren aus neun Spielen stellt sie allerdings die fünftbeste Abwehr der Liga.

Der Investor brauchte erst mal einen Drink

Das ist ein nicht zu übersehender Fortschritt, nachdem die Defensivprobleme in der vergangenen Spielzeit noch ein großes Thema bei den Berlinern waren. Nur Absteiger Greuther Fürth (82) kassierte mehr Gegentore als Hertha (71). Zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison waren es bereits 21.

Das lag unter anderem an Herthas bemitleidenswertem Auftritt in Leipzig vor etwas mehr als einem Jahr. Ende September 2021 unterlagen die Berliner dort mit 0:6, und dabei waren sie derart chancenlos, dass Lars Windhorst, der Investor der Berliner, nach dem Spiel bei Facebook verkündete: „Wow! Bin etwas geschockt grad und brauche gleich einen Drink …“

An diesem Samstag kehrt Hertha an den Ort des Schreckens zurück (18.30 Uhr, live bei Sky). Sandro Schwarz hat die Leipziger, die von seinem Freund Marco Rose trainiert werden, eingehend analysiert. Das Resultat des Videostudiums war nach seiner Aussage „keine große Überraschung: Sie können alles.“

Noch ist Leipzig nicht ins Rollen gekommen

Hauptaufgabe für sein eigenes Team werde daher sein, sehr konsequent und sehr gut zu verteidigen. Hertha benötige „eine Top-Leistung gegen einen sehr, sehr guten Gegner“, sagte Schwarz. „Dafür brauchst du eine Konsequenz in der Arbeit gegen den Ball, aber auch viel Mut im eigenen Ballbesitz.“

Tabellarisch sind die Leipziger aktuell noch weit von den Gefilden entfernt, in denen sie sich selbst verorten. Mit Platz elf bleiben sie hinter den eigenen Ansprüchen zurück, und mit 14 Toren stellen sie derzeit nur die siebtbeste Offensive der Liga. Dass man sich davon nicht beirren lassen sollte, haben die Berliner vor einem Jahr erfahren. Damals waren die Leipziger nur Tabellenzwölfter und lagen vor dem direkten Duell sogar hinter Hertha.

Angesichts des Offensivpotenzials mit unter anderem Timo Werner, Christopher Nkunku und André Silva steht Herthas Defensive am Samstag eine echte Stabilitätsprüfung bevor. Zumal die Berliner gegen Leipzig fast schon traditionell löchrig verteidigen. Dem 0:6 in Leipzig folgte im Rückspiel ein 1:6.

Im Schnitt kassiert Hertha gegen Rasenballsport pro Spiel 3,75 Gegentreffer. Trotzdem hat Trainer Schwarz bei seiner Mannschaft nicht das Gefühl, „dass wir ängstlich sind“. Von wegen: „Oh, Gott, was kommt da jetzt auf uns zu?“

Traditionell schwierig. Gegen Leipzig kassiert Hertha gerne mal viele Gegentore. Das 0:6 aus der Vorsaison war die höchste Niederlage in der Bundesligageschichte der Berliner.

© Foto: imago images/Revierfoto

Die neue defensive Stabilität ist nicht nur den vier Verteidigern in letzter Linie und Torhüter Oliver Christensen dahinter zu verdanken. Sie ist vor allem das Resultat gemeinschaftlichen Arbeitens.

„Uns ist wichtig – und das war es vom ersten Tag an –, dass sich alle Spieler beteiligen an der defensiven Organisation und Struktur“, sagt Schwarz. Das ist die Mainzer Schule, die Jürgen Klopp begründet hat und deren Schüler sowohl Schwarz als auch sein Leipziger Gegenüber Marco Rose waren.

Dass Herthas Mannschaft die Prinzipien dieser Schule immer besser verinnerlicht, ist offenkundig. Nur am ersten Spieltag, beim 1:3 gegen Union, hat Hertha mehr als zwei Gegentore kassiert. Eine richtige Klatsche wie in der Vorsaison beim 0:5 gegen Bayern oder in den beiden Begegnungen mit Leipzig hat es unter Schwarz noch gar nicht gegeben.

Zufall ist das nicht. Herthas neuem Trainer geht es darum, dass seine Spieler bei Ballverlusten Druck auf den potenziellen Passgeber ausüben, dass sie die Abstände eng halten und sie sich gegenseitig absichern. Kein Spieler soll mit Angst in einen Zweikampf gehen, sondern immer mit dem Vertrauen: Hinter mir ist einer, der die Sache im Zweifel noch ausbügeln kann.

„Das ist uns wichtig“, sagt Sandro Schwarz, „das machen die Jungs sehr gut.“ So gut, dass es in der Bundesliga aktuell nur vier Teams gibt, die mehr Zweikämpfe gewonnen haben als Hertha BSC.

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