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Leiden an und mit Hertha. Trainer Sandro Schwarz bei der Niederlage in Sinsheim.

© dpa/Uwe Anspach

„So aufzutreten ist Zeitverschwendung“: Die Zweifel an Hertha BSC werden immer größer

Kein Widerstand, keine Leidenschaft, keine Intensität: Bei der Niederlage gegen den Tabellenletzten Hoffenheim lässt Hertha BSC all das vermissen, was man im Abstiegskampf braucht.

Nach dem Frust über die nächste und die nächste besonders bittere Niederlage brach über Hertha BSC am Samstag auch noch ein Sturm der Entrüstung herein. Der Shitstorm war durch eine Szene ausgelöst worden, die Mitte der zweiten Halbzeit des Spiels bei der TSG Hoffenheim über die Fernsehbildschirme lief.

Zu sehen war Herthas Stürmer Florian Niederlechner, der nach seiner Auswechslung zur Pause frisch geduscht auf der Ersatzbank saß und interessiert auf den Bildschirm seines Smartphones schaute. Der Subtext dieser Einstellung: Herthas Spieler sind schon gar nicht mehr sonderlich daran interessiert, was auf dem Platz passiert. Viel lieber lassen sie sich von anderen Dingen ablenken.

Das Gegenteil ist der Fall. Der vermeintliche Übeltäter wurde gleich nach dem Abpfiff und vor laufender Kamera von seinem Kollegen Kevin-Prince Boateng verteidigt. Niederlechner habe sich lediglich über die Situation im Abstiegskampf und die Auswirkungen der laufenden Spiele auf die Tabelle der Fußball-Bundesliga informiert, berichtete Boateng.

Auch dabei handelt es sich streng genommen um ein ernstzunehmendes Vergehen; ein Vergehen gegen den ehernen Grundsatz, im Abstiegskampf nur auf sich und nicht auf die anderen zu schauen. Sandro Schwarz, der Trainer des Berliner Bundesligisten, predigt das seit Wochen.

Doch so wie sich Hertha bei der 1:3-Niederlage gegen den vormaligen Tabellenletzten Hoffenheim präsentiert hat, war Niederlechners verschämter Blick auf die Konkurrenz nur allzu menschlich. Aktuell nämlich müssen die Berliner vor allem darauf setzen, dass die anderen Teams im Tabellenkeller sich ähnlich dämlich anstellen wie sie selbst. Auf die eigene Stärke sollten sie sich lieber nicht verlassen.

Welche Stärke? Das Spiel in Sinsheim verstärkte eher den Eindruck, dass sich Hertha in dieser Saison viel zu lange etwas vorgemacht hat und nun voller Schrecken die bittere Realität zur Kenntnis nehmen muss. Die Zuversicht auf ein erneut glimpfliches Ende dieser Saison, genährt durch einige ansehnliche Auftritte im eigenen Stadion, erhielt am Samstag jedenfalls einen herben Dämpfer.

Leerer Blick und leeres Punktekonto. Gegen die TSG ließen Herthas Spieler vieles vermissen.

© imago/Jan Huebner/Thomas Voelker

Hoffenheim, zuvor 14 Spiele sieglos und im scheinbar freien Fall Richtung Zweiter Liga, zog durch den Sieg in der Tabelle an den Berlinern vorbei. Nur dank der besseren Tordifferenz behauptet Hertha den Relegationsrang vor dem FC Schalke 04. Die Zweifel sind nun größer denn je.

„Wir hatten uns wirklich viel vorgenommen, aber wir hatten keinen richtigen Zugriff, keine Kontrolle, waren nicht richtig wach“, sagte Tolga Cigerci, der Mitte der ersten Hälfte mit einem Handspiel den ersten von zwei Elfmetern für die TSG verursacht hatte. Nach dem 0:1 fiel Hertha in sich zusammen. „Es ist wieder passiert“, sagte Cigerci.

Es fehlt Hertha an Widerstandsgeist

Wieder war die Mannschaft nach dem 0:1 nicht zu einer angemessenen Reaktion in der Lage. Wieder ließ sie sich vom ersten Rückschlag komplett verunsichern. Und wieder fügte sie sich scheinbar fatalistisch in ihr Schicksal. Das Spiel beim Tabellenletzten war bereits das neunte in dieser Saison, in dem Hertha zwischenzeitlich mit drei Toren in Rückstand geriet.

„Wir haben uns beeindrucken lassen von den Situationen, haben nicht gut reagiert. Man kann Spiele verlieren, aber definitiv nicht so“, sagte Sandro Schwarz am Morgen nach dem Spiel. „So aufzutreten, das ist Zeitverschwendung.“

Herthas Trainer klang ernüchtert. Die Mannschaft habe nichts von dem auf den Platz gebracht, was man im Abstiegskampf brauche: Energie, Ausstrahlung. „Das ist fahrlässig“, sagte Schwarz, „vor allem in so einem wichtigen Spiel.“

Die haben den Abstiegskampf angenommen, wir noch nicht.

Kevin-Prince Boateng, Mittelfeldspieler von Hertha BSC

Als Hertha zu Beginn des Jahres Niederlage an Niederlage reihte und Richtung Tabellenende schlingerte, hat Schwarz vehement dem Vorwurf widersprochen, dass man die Lage unterschätze: Allen im Klub sei der Ernst bewusst. Nach einem Spiel wie dem in Hoffenheim kann man sich da nicht mehr ganz so sicher sein.

„Die haben den Abstiegskampf angenommen, wir noch nicht“, sagte Kevin-Prince Boateng. Mehr Bankrotterklärung geht eigentlich nicht; nicht für eine Mannschaft, die seit Monaten im unteren Tabellendrittel festhängt und eigentlich wissen sollte, dass es in dieser Saison nur um den Verbleib in der Liga geht.

„Wir müssen jetzt nicht grundsätzlich werden“, sagte Schwarz, der die Mannschaft immer verteidigt hat; der sich den notorischen Weltuntergangspropheten entschlossen entgegengestellt hat und der, selbst wenn die Ergebnisse enttäuschend ausgefallen waren, auf die inhaltlichen Fortschritte im Spiel seines Teams verwiesen hat.

Aber Intensität, Leidenschaft, Überzeugung sind eben auch wichtige Inhalte, gerade im Abstiegskampf. Und all das brachte Hertha in Sinsheim zum wiederholten Male nicht auf den Rasen.

Am Sonntag schickte Schwarz seine Spieler zum Laufen, auch die Reservisten, die sonst am Tag nach dem Spiel auf dem Platz trainieren. Zuvor, so berichtete er, habe er der Mannschaft ein paar Takte gesagt.

Herthas Trainer gab sich diesmal wenig Mühe, seinen Frust und seine Enttäuschung zu verbergen. Eine ähnliche Haltung erhofft er sich auch von seinem Team als Reaktion auf die Minderleistung gegen die TSG Hoffenheim. „Das muss Wut erzeugen“, sagte Schwarz. Die Zweifel aber bleiben.

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