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Tragende Rollen. In der Saisonvorbereitung dürfen auch einige Nachwuchsspieler bei den Profis mit anpacken.

© imago/Matthias Koch/imago/Matthias Koch

Hertha BSC und der Nachwuchs: Die Jugend spielt vor auf der Sommerbühne

In der Sommervorbereitung dürfen sich traditionell etliche Nachwuchsspieler bei den Profis präsentieren. Doch nur die wenigsten schaffen es tatsächlich dauerhaft nach oben.

Am Anfang der vergangenen Saison hat Ensar Aksakal, 21 Jahre alt und in der Jugend des 1. FC Union ausgebildet, seinen bisher größten Tag bei Hertha BSC erlebt: An einem Freitagabend im August war er der Held des Derbys. Des kleinen Derbys in der Regionalliga Nordost. Beim 3:3 gegen Tennis Borussia im Mommsenstadion erzielte der Offensivspieler alle drei Tore für Herthas U 23, den Ausgleich kurz vor Schluss per Fallrückzieher.

Am Dienstagmorgen waren von Aksakal andere Qualitäten gefragt. Da musste als linker Verteidiger aushelfen, auf einer Position, die ihm im Grunde wesensfremd ist. Aber das dürfte er im konkreten Fall gerne in Kauf genommen haben. Weil Ensar Aksakal mit Herthas Profis trainieren durfte.

Weil Cheftrainer Pal Dardai aktuell kein einziger gelernter Linksverteidiger zur Verfügung steht, muss er im Moment ein bisschen improvisieren. Als seine Spieler am Dienstagmorgen das erste Training nach ihrem Urlaub absolvierten, bot der Ungar im abschließenden „Elf gegen elf“ mit Ensar Aksakal und Tony Rölke zwei gelernte Offensivspieler als Linksverteidiger auf.

Dass Spieler aus dem Nachwuchs zu den Profis hochgezogen werden, ist am Beginn der Saisonvorbereitung nicht ungewöhnlich. Direkt nach dem Urlaub fehlen manche Profis noch, weil sie zum Beispiel nach dem eigentlichen Saisonende noch für ihre Nationalmannschaften im Einsatz waren. Im Idealfall nutzen die Talente die Chance, um auf höherer Ebene auf sich aufmerksam zu machen.

„Als ich Trainer war, waren die jungen Spieler im ersten Trainingslager oder im sogenannten Lauftrainingslager immer dabei“, sagt Pal Dardai. Der Ungar ist nicht nur Herthas Ex-Trainer; er ist auch Herthas aktueller Cheftrainer. Trotzdem ist es diesmal anders als in der Vergangenheit. Viel Zeit haben Dardai und Hertha nicht, bis die Zweite Liga am letzten Juli-Wochenende in ihre neue Saison startet. Ein Lauftrainingslager gibt es daher diesmal nicht.

Das heißt allerdings nicht, dass die jungen Spieler in diesem Sommer keine Gelegenheit bekommen, sich zu präsentieren. Beim ersten Training nach dem Urlaub standen am Dienstag 23 Spieler (davon drei Torhüter) auf dem Platz. Mehr als die Hälfte davon, zwölf nämlich, sind von Hertha selbst ausgebildet worden. Und Ibrahim Maza (angeschlagen) sowie die beiden U-21-Nationalspieler Jessic Ngankam und Marton Dardai fehlten sogar noch.

An Talenten mangelt es bei Hertha nicht, trotzdem könne man in der Zweiten Liga keine Elf, bestehend ausschließlich aus Jugendspielern, aufbieten, sagt Pal Dardai. Dazu seien sie noch nicht konstant genug. „Aber wenn ein Trainer mit Mut und guten Augen das steuert, kannst du froh sein.“ Ein Trainer wie Pal Dardai eben.

Seitdem der Ungar im April auf den Posten des Cheftrainers zurückgekehrt ist, hat er sich sehr offensiv als Jugendversteher und Talentförderer positioniert. Das Thema liegt ihm am Herzen. Und es ist auch dem Verein wichtig – zum Teil aus finanzieller Not, zum Teil aus echter Überzeugung.

Dardai kann als Referenz auf sich selbst verweisen. 2015, in seiner ersten Saisonvorbereitung als Cheftrainer, nahm er Florian Kohls, Shawn Kauter und Maximilian Mittelstädt mit ins Lauftrainingslager nach Bad Saarow. Im Jahr darauf waren es sogar sechs Talente, die erstmals Profiluft schnuppern durften: Arne Maier, Florian Baak, Nikos Zografakis, Panzu Ernesto, Julius Kade und Palko Dardai.

Für viele ist der Weg zum Profi zu beschwerlich

All diese Namen zeigen: Der Weg zum Profi ist lang und für viele letztlich doch zu beschwerlich. Gestandene Bundesligaspieler sind nur Mittelstädt und Maier geworden.

Dass der Versuch trotzdem immer wieder lohnt, hat vor einem Jahr Derry Scherhant bewiesen. Nachdem Scherhant in der Jugend vornehmlich für unterklassige Berliner Klubs gespielt hatte und der Profifußball für ihn unerreichbar weit weg zu sein schien, hat er 2022 in der Sommervorbereitung den damaligen Trainer Sandro Schwarz und den damaligen Sportchef Fredi Bobic nachhaltig beeindruckt. Gerüchteweise soll der 20-Jährige inzwischen sogar das Interesse von Newcastle United aus der Premier League geweckt haben.

Vielleicht haben es Herthas Talente in der neuen Saison tatsächlich etwas einfacher als in den Jahren zuvor. Der Sprung von der viertklassigen Regionalliga in die Zweite Liga ist nicht ganz so groß. Hinzu kommt, dass sich Hertha viele teure Spieler erst einmal nicht mehr leisten kann. „Wir haben im Nachwuchs noch einige Talente“, sagt Herthas Cheftrainer. Bence Dardai gehöre dazu, 17 Jahre alt, gerade mit der deutschen U 17 Europameister geworden und der jüngste seiner drei Söhne. Aber das sei egal.

In Herthas vorerst letztem Erstligaspiel Ende Mai gab es schon eine Ahnung davon, wie es in Zukunft idealerweise einmal aussehen könnte. Sechs Spieler aus dem eigenen Nachwuchs kamen beim 2:1-Sieg gegen den VfL Wolfsburg für Hertha zum Einsatz. „Nicht umsonst habe ich die reingeschmissen“, sagte Dardai. Nach dem Spiel hätten ihm viele ältere Spieler gesagt: „Das hat Spaß gemacht mit den Jungs. Die laufen, sind diszipliniert, wollen und schonen sich nicht.“

Beste Voraussetzungen, um auch für die Strapazen einer Saisonvorbereitung gewappnet zu sein.

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