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© Imago

Bundesliga-Rückrunde: Hertha scheucht wieder Fliegen

So viel Spaß wie in Hannover hat Hertha sich selbst und den Fans in der Kurve lange nicht mehr gemacht. Die Neuzugänge machen aus dem Tabellenletzten eine andere Mannschaft – eine, die noch an ein Wunder glauben darf.

Kurz vor Schluss war es schon fast wieder die alte Hertha. Eine Spitzenmannschaft, die sich eines hilflosen Herausforderers lässig bis gelangweilt erwehrt, ungefähr so, wie ein Esel mit seinem Schwanz eine Fliege verscheucht. Dieser Elfmeter kurz vor Schluss: Cicero hat ihn geschossen wie im Training, er mochte sich nicht mal selbst den Ball zurechtlegen und löffelte ihn fahrlässig gegen die Fäuste des Hannoveraner Torhüters Florian Fromlowitz. Was soll’s, ob nun 3:0 oder 4:0 gegen Hannover 96, wen interessiert das schon?

Friedhelm Funkel dürfte das schon interessieren. Hertha BSC hat nicht nur die wenigsten Punkte in der Fußball-Bundesliga, sondern auch die schlechteste Tordifferenz, sie weist nach dem ersten Rückrundenspieltag eine Unterdeckung von 23 Treffern auf, was im Kampf gegen den Abstieg die Hypothek eines weiteren aufzuholenden Punktes bedeutet. Da hilft jedes Tor, auch gegen Hannover. Der Trainer Funkel ist später gefragt worden, ob er künftig die Bestellung eines neuen Elfmeterschützen erwäge. Funkel hat geantwortet, er habe dazu noch keinen Anlass gesehen, „solange ich hier bin, haben wir keinen bekommen, wir waren ja nicht mal in der Nähe eines Elfmeters“.

Da ist was dran. In der Hinrunde hat Funkels Mannschaft zwar viele aufregende Minuten im Strafraum verbracht, aber es handelte sich dabei nur im Ausnahmefall um den gegnerischen Strafraum. Auch das macht den Unterschied aus zu der neuen Mannschaft, die da in Hannover auf dem Platz stand. Hertha BSC war am Samstag nicht nur stabil in der Abwehr und intelligent im Spielaufbau. Hertha BSC verfügt auch wieder über einen Angriff, der es wert ist, so genannt zu werden. Wer ganz genau hingeguckt hat, dem wird das auch bei dem Elfmeter kurz vor Schluss nicht entgangen sein.

Bemerkenswert war nämlich nicht nur, wie schlecht, salopp und unkonzentriert („Scheiße“ - Originalton Funkel) Cicero zur Ausführung schritt. Sondern was sich unmittelbar davor und danach ereignete. Wie sich Theofanis Gekas ganz unscheinbar zwischen vier Hannoveraner geschlichen hatte, auf einen möglichen Abpraller lauernd. Einen Fuß platzierte der Grieche schon halb im Strafraum, was ja eigentlich verboten ist, aber darum schert sich einer wie Gekas nicht. Als Ciceros Schüsschen tatsächlich zurückplumpste in den leeren Strafraum, standen die vier schläfrigen Hannoveraner noch an der Kreidelinie, zehn Meter hinter Gekas, der mit dem Instinkt eines Raubtieres losgejagt war und im Nachschuss beinahe ein Tor erzielt hätte, es wäre sein zweites gewesen im ersten Spiel für Hertha BSC.

Es gehört außerdem zur Erfolgsgeschichte dieses späten Misserfolgserlebnisses, dass der Elfmeter herausgeholt wurde von Adrian Ramos. Herthas staksiger Kolumbianer war in Hannover der beste Mann auf dem Platz, obwohl es für seinen Geschmack doch viel zu kalt ist im deutschen Winter. Das lässt einiges erwarten für die Zukunft, wenn Ramos in der warmen Sonne stürmen darf und er sich eingespielt hat mit seinem neuen Partner Gekas. Zuvor hatte Funkel den neuen griechisch-kolumbianischen Angriff noch nicht mal in den beiden Testspielen während des Trainingslagers auf Mallorca ausprobiert.

Alle Berliner von Manager Michael Preetz über Trainer Friedhelm Funkel bis zu Mannschaftskapitän Arne Friedrich hoben später zweierlei hervor. Erstens, dass die Mannschaft mit einem Sieg noch nichts erreicht habe: „Wenn wir die nächsten beiden Heimspiele gewinnen, können wir mal wieder auf die Tabelle schauen, vorher bringt das gar nichts“, sagte Neuzugang Lewan Kobiaschwili. Erkenntnis Nummer zwei bezog sich auf den Einfluss der neuen Spieler. „Die Mischung stimmt jetzt einfach“, sagte Funkel, „es steht eine ganz andere Mannschaft auf dem Platz.“

Vorn war Gekas nicht zu greifen, weil er eine Nase hat für gefährliche Situationen und nie länger als ein paar Sekunden am selben Ort verweilte – „unglaublich, wie viel der gelaufen ist“, staunte Arne Friedrich. Im rechten Mittelfeld gewann Florian Kringe so ziemlich jeden Ball und machte auch sonst fast alles richtig. Früher spielte auf dieser Position Patrick Ebert, bei dem mindestens jeder dritte Pass ein Fehlpass war. Und wie souverän, fehlerfrei und ballsicher Lewan Kobiaschwili die linke Abwehrseite verantwortete, erschließt sich dem regelmäßigen Beobachter doppelt und dreifach, wenn er zurückdenkt an die Missetaten des vormaligen Linksverteidigers Nemanja Pejcinovic.

Nimmt man das Spiel gegen die gewiss indiskutabel schlechten Hannoveraner zum Maßstab, ist es Friedhelm Funkel in der 13 Tage kurzen Vorbereitungszeit auf die Rückrunde doch tatsächlich gelungen, eine völlig neue, von Selbstbewusstsein und Spielwitz durchdrungene Mannschaft aufzubauen. „Als ich hierher kam, habe ich nicht gemerkt, dass Hertha auf dem letzten Platz steht“, befand der Georgier Kobiaschwili. „Wir haben alles zusammen Spaß auf dem Platz, aber auch außerhalb.“

So viel Spaß wie in Hannover hat Hertha sich selbst und den Fans in der Kurve lange nicht mehr gemacht. Es war am Samstag Nachmittag um kurz vor halb sechs, als sich 18 Männer in blau-weißen Leibchen an den Händen fassten und sich tanzend dem Fleckchen Stadion näherten, wo knapp 4000 mitgereiste Berliner Aficionados ihr Lied sangen, die auf Abstiegsvermeidung umgedichtete Hymne der Vorsaison. Es gab einiges zu feiern: den Sieg, ein bisschen Hoffnung und ein statistisches Detail. Drei Tore in einem einzigen Bundesligaspiel hat Hertha zuletzt am 7. März 2009 geschossen, beim 3:1 in Cottbus. Damals tanzte noch Andrej Woronin über den Platz und Dieter Hoeneß im Mittelkreis. Lange her. 

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