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Taylor

© AFP

Dart: Mozart in der Kneipe

Bei der WM in London zeigen die Dartprofis ihre filigrane Technik - und Tausende Fans ihre Trinkfestigkeit.

Die letzte Schlacht dieser Nacht ist geschlagen, Tausende Männer drängen aus dem „Alexandra Palace“, der Arena in Londons Norden. Zurück lassen sie unzählige rote Schilder mit der Aufschrift „180“ – der Punktzahl, die das bestmögliche Spiel symbolisiert –, ungezählte leere Bierbecher und ihren Geruch. Eine Mischung aus Schweiß, Bier und Hotdogs. Es ist Dart-Weltmeisterschaft, seit mehr als einer Woche schon.

Draußen steht Frank mit seinen Freunden. Sie haben viel Bier getrunken, sich aber an die Hallenregel gehalten, nach der keine Obszönitäten auf Schilder geschrieben werden dürfen. Nun ist es ein Uhr nachts. „Das da drinnen ist die größte Kneipe Londons“, sagt Frank. Seine Freunde gröhlen. Sie haben heute stundenlang gesungen und gefeiert. Nach jeden großen Wurf, wenn der Dartpfeil etwa im Triple-20-Feld an der Scheibe hängenblieb, toste der Jubel durch die Halle. Bier wurde nachbestellt, Zigaretten angezündet.

Bis in die Nacht zum Mittwoch suchte die Dartwelt ihren Weltmeister, die Arena war täglich mit 2500 Besuchern ausverkauft. Im Finale (nach Redaktionsschluss) standen überraschend der Kanadier John Part und der englische Blechschlosser Kirk Shepherd, der schon jetzt als größte Sensation der WM-Geschichte gilt. Shepherd spielt erst sein zweites großes Turnier und ist mit 21 der jüngste Spieler, der je in einem Finale stand. Er hat in seiner Karriere bisher 1970 Pfund verdient, das WM-Preisgeld beläuft sich auf 605 000 Pfund. Die besten Dartprofis sind Stars in England – und Millionäre.

Shepherds Vorbild ist Phil Taylor, das englischste aller englischen Sportidole. Taylor ist klein, untersetzt, mit Doppelkinn und mächtigem Bauch ausgestattet, sein Haar wird licht. Brachial sieht er aus, der beste Dartspieler aller Zeiten, ungelenk. Auf seinem Hemd steht „The Power“, dieser Spruch ist auch auf seinem Arm eintätowiert. Drei Stunden trainiert er täglich, er ist im Umgang mit den gut 20 Gramm schweren Pfeilen so filigran wie keiner vor ihm. Phil Taylor wird „Mozart des Dart“ genannt. 13 Mal wurde die WM bisher ausgetragen, 13 Mal stand Taylor im Finale, 11 Mal gewann er. Diesmal ist er schon im Viertelfinale ausgeschieden, die englische Presse reagierte mit Schock-Schlagzeilen. „Ich werde in den nächsten fünf Jahren noch einmal arbeiten wie ein Besessener“, sagte Taylor. „Ich habe noch fünf Jahre – dann werde ich auf Mauritius sein.“

Dart ist schnell, Dart ist spannend. Es gibt Duelle, unterbrochen von Anfeuerungsrufen der Fans. Und es gibt atemlose Stille in einer riesigen verrauchten Halle, wenn sich Historisches andeutet: das perfekte Spiel. Die höchste mögliche Punktzahl mit drei Pfeilen ist die 180, dazu muss man dreimal das Triple-20-Feld treffen. Das gelingt noch vielen, auch wenn das Feld ein Innenmaß von gerade mal acht Millimetern hat. In die Geschichte geht allerdings erst derjenige Spieler ein, der einen sogenannten Nine-Darter schafft, die perfekte Serie. Dazu muss man siebenmal die Triple-20, gefolgt von einer Triple-19 und einer Doppel-12 treffen.

Dart wurde in einem Pub erfunden, es ist noch immer dort beheimatet. Im Fernsehen schauen zuweilen fünf Millionen Engländer zu. „Wir wachsen und wachsen“, sagt Dave Allen, Sprecher des Verbandes der Profispieler. Er träumt vom großen Durchbruch: Global soll der Sport werden, vielleicht einmal olympisch. Schließlich sei auch Cricket bei den Spielen 2012 als Demontrationswettbewerb zugelassen. Neue Märkte sollen erobert werden, vor allem in Asien. „Unser Traum ist ein Chinese, der einmal um den WM-Titel kämpft“, sagt Allen. Diesmal in London war es noch nicht so weit.

Der Mann, der Dart in Deutschland groß machen will, hat den Sport spätabends beim Zappen entdeckt. Inzwischen hat Werner von Moltke junior eine deutsche Profivereinigung gegründet, eine eigene Turnierserie ins Leben gerufen und das DSF als Partner gewonnen. „Er ist der erste Mensch, der es geschafft hat, für Dart in Deutschland Eintrittskarten zu verkaufen“, sagt Michael Rosenauer, der beste deutsche Spieler. Rosenauer strahlt, obwohl er schon in der ersten Runde ausgeschieden ist. Knapp verlor er gegen Mervyn King, die Nummer 25 der Welt. Rosenauer will wiederkommen. Und irgendwann gewinnen.

Draußen vor der Halle zündet sich Frank eine Marlboro an, sieben Pfund hat er für die Schachtel bezahlt. Er hat von dem deutschen Spieler gehört, doch er winkt ab. „Den Fußball haben wir verloren – bitte nicht auch noch das Dart.“ Dann entschwindet er in die Nacht.

Tobias Schall[London]

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