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Ruhe vor dem Sturm. „Malizia-Seaexplorer“ beim Training umringt von einigen ihrer größten Konkurrentinnen.

© Team Malizia

Transatlantikklassiker Route du Rhum: Vorspiel zur Hölle

Boris Herrmann startet bei der legendären Einhandregatta erstmals wieder allein. Doch der Trip in die Karibik ist vor allem ein erster Belastungstest für seine neue Rennmaschine. 

Die Zeit der Stürme bricht an und mit ihr die Zeit der Bewährung. Jedes Jahr im November ist das so. Da versammelt sich die Elite des Hochseesegelns in französischen Häfen, um ein Rennen mindestens über den Atlantik zu absolvieren, beim Vendée Globe dann sogar um die Welt. Und so hat sich in diesen Tagen die rekordverdächtige Zahl von 138 Soloskippern in St. Malo eingefunden, um am Sonntag zur Route du Rhum nach Guadeloupe aufzubrechen.

Der Hamburger Segelstar Boris Herrmann gehört mit seiner neu gebauten „Malizia – Seaexplorer“ zu den 37 Startern der Imoca-Klasse. Für den Anfang schwant ihm nichts Gutes. Die erste Woche könnte zur „Hölle“ werden, sagt er bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Da sich die für die Jahreszeit typischen Tiefdruckgebiete über den Nordatlantik schöben, werde er sich wohl „gegen drei Stürme mit starken, aktiven Kaltfronten nach Westen kämpfen“ müssen. Das bedeutet Windgeschwindigkeiten aus westlicher Richtung von 30-37 Knoten, in der Spitze sogar 55 Knoten, was Windstärke 10 entspräche.

Der Atlantik ist unter solchen Bedingungen kein Ort, an dem man gerne sein möchte. Zumal die Zugbahn der Stürme tausend Meilen Anlauf genommen und mächtige Wellen aufgebaut hat. Als Herrmann vor vier Jahren ähnliche Konditionen zu überstehen hatte, kannte er sein Schiff bereits seit zwei Jahren und prügelte es versiert zu einem 5. Platz. Das kann er nun nicht von sich erwarten, sagt er.

30 Trainingstage sind nicht genug. „Malizia-Seaexplorer“ vor der bretonischen Küste.

© Team Malizia

Denn bis jetzt hat Herrmann sein nagelneues Fahrzeug nur zweimal durch stürmische Konditionen gesteuert, durch hohe Wellen noch nie. Entsprechend vorsichtig ist er mit seinen Prognosen. 30 Segeltage nach dem Stapellauf im Juli sind zu wenig, um mit dem hochkomplexen Gefährt so gut zu verschmelzen, dass er für jede Bedingung die effektivste Einstellung aller Komponenten kennt. Und ihrer gibt es viele – von Segeltrimm über Kiel- und Foil-Winkel bis Wasserballast und Flughöhe.

Die im Vergleich zu ihrer Vorgängerin größeren Flügelschwerter der neuen „Malizia“ erlauben ihr zwar rasante Geschwindigkeiten von 20-22 Knoten am Wind, ein Quantensprung – die alte „Malizia“ schaffte unter denselben Bedingungen 13 Knoten –, doch weiß Herrmann noch nicht, wie sich das bei chaotischen Wellenbedingungen auf die Konstruktion auswirkt.

„Mit Hochseejollen gegen den Wind anzukreuzen, ist eine delikate Sache“, sagt Herrmann. Er befinde sich mit seiner Lernkurve bei 40 Prozent, lautet die Einschätzung, also: „ganz am Anfang“. Anzukommen und keinen Schaden zu verursachen, hat deshalb oberste Priorität.

Diven der See. Die Maxi-Trimarane der Ultime-Klasse leisten sich beim Route du Rhum-Race traditionell packende Duelle über den Atlantik. Hier liegen sie vor dem Start im Hafen von St. Malo.

© Lou Benoist / AFP

So geht es auch den anderen sechs Skippern und der Skipperin Sam Davies, die mit weitgehend unerprobten Yachten an den Start gehen. Was der Route du Rhum einen zweifelhaften Stellenwert beschert. Auf halbem Weg zwischen dem letzten und dem nächsten Vendée Globe halten sich technischer Fortschritt und das Können der Skipper die Waage. Noch können die Skipper mit neuem Gerät nicht zeigen, was in den Neubauten steckt, während die älteren Boote von Leuten gesteuert werden, die sie in und auswendig kennen.

Ich fahre da nicht raus, um den anderen zuzusehen.

Kevin Escoffier, Skipper von Holcim-PRB und auch Teilnehmer des Ocean Race

Zu den Favoriten der Rum-Route zählt abermals Charlie Dalin. Seit drei Jahren gewinnt er praktisch jedes Rennen, musste sich beim Vendée Globe, obwohl erster im Ziel, nur Jannick Bestaven geschlagen geben und beim Transat Jaques Vabre vergangenen Winter seinem stärksten Konkurrenten Thomas Ruyant. Auch diesmal ist davon auszugehen, dass er kaum Fehler macht und davon profitiert, seine „Apivia“ perfekt zu beherrschen. Sie ist zudem noch mit einem Satz Foils bestückt, die nach einer Regeländerung vor zwei Jahren eigentlich zu lang sind.

Gerry Cooper des Hochseesegelns. Charlie Dalin an Bord der „Apivia“ in St. Malo.

© Loic Venance / AFP

Dennoch hofft auch Boris Herrmann, dass sich nach überstandenen Stürmen genau die Bedingungen einstellen, die die Route du Rhum legendär machen: erst Überlebenskampf, dann Sonnsegeln und Barfuß-Wetter. Wer weiß, ob es die „Malizia – Seaexplorer“ dann nicht doch mit „Apivia“ & Co aufnehmen kann. Durch die längeren Foils könne sie nun auch bei achterlichen Winden abheben, wie Herrmann sagt und beachtliches Tempo aufnehmen. Doch zeigten sich noch „zu viele technische Schwierigkeiten, als dass ich zuversichtlicher ins Rennen gehen könnte“.

Dennoch wird die Frage unter Experten heiß diskutiert, ob einer der sieben neuen Imocas gewinnen könnte. Während fünf Schwesterschiffe von bereits existierenden Racern sind, haben Herrmann und Jérèmie Beyou andere Wege eingeschlagen. Doch alle sagen, dass sie das Rennen vor allem als Schule nutzen wollen, um zu lernen, lernen, lernen. „Ich fahre da nicht raus“, gibt Kevin Escoffier zu, „um den anderen dabei zuzusehen, wie sie davonsegeln.“

Nach seiner Rettung im Südozean kehrt Kevin Escoffier mit einem Neubau an die Startlinie zurück.

© Sebastien Salom-Gomis / AFP

Da für Herrmann, Escoffier sowie für drei weitere Imoca-Teams im Januar bereits das Ocean Race in Alicante beginnt, würde eine größere Reparatur die Vorbereitungen auf diese siebenmonatige Weltumsegelung empfindlich stören. Denn längst ist ein Rennen immer nur das vor dem nächsten Rennen.

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