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Ein ukrainischer Soldat an der Front.

© AFP/Dimitar Dilkoff

Ukraine-Invasion Tag 443: Jetzt hat die Ukraine zwei vielleicht entscheidende Vorteile

Türkei meldet Durchbruch bei Verhandlungen zum Getreideabkommen, Schweden will Wagnerguppe als Terrororganisation einstufen, Südafrikas Waffenlieferungen an Russland. Der Überblick am Abend.

An der Front in der Ukraine wird es wärmer, heiß ist es aber noch nicht. Was für das Frühjahrswetter gilt, könnte man auch über Kiews Gegenoffensive sagen. In den vergangenen Tagen nahmen die Gegenstöße der ukrainischen Truppen an der gesamten Front zu. Die erfolgreichen lokalen Kämpfe an den Flanken von Bachmut machen seit Mitte der Woche Schlagzeilen, aber auch an der Grenze zur Region Saporischschja gab es einen kleineren ukrainischen Erfolg, wie russische Blogger melden. An mindestens vier weiteren Orten melden oder erwarten die für gewöhnlich gut unterrichteten Betreiber der russischen Social-Media-Kanäle nun Gegenstöße. Die Blogger sprechen davon, dass die ukrainische Gegenoffensive inzwischen begonnen hat.

Wie man den Beginn einer Offensive definiert, darüber streiten sich die Experten. Wenn die große ukrainische Offensive dann tatsächlich beginnt, ist es wahrscheinlich, dass es massive Truppenbewegungen und Vorstöße auf ukrainischer Seite geben wird, die an mehreren Stellen der Front stattfinden. Die aktuellen Angriffe sind kleiner dimensioniert.

Interessanter als die Frage, ob die Offensive schon begonnen hat, ist die Stimmung auf russischer Seite. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat sich am Freitag in einem Brief zu Wort gemeldet und den russischen Verteidigungsminister Schoigu nach Bachmut eingeladen; wohl wissend, dass der in der Trümmerstadt nicht auftauchen wird. Ein weiterer Nadelstich in Richtung Moskau. Noch machen die Wagnersoldaten kleine Fortschritte in der Innenstadt von Bachmut, aber die Stimmung unter russischen Militärs und der militarisierten Öffentlichkeit ist extrem angespannt; auch das haben Prigoschins medienwirksame Auftritte der letzten Tage gezeigt.

​​​​Dass Prigoschin Einheiten der russischen Armee nun auch noch öffentlich Fahnenflucht vorwirft, wird die Moral in der Truppe nicht verbessern. Noch bevor die ukrainische Offensive wirklich läuft, hat Kiew also das psychologische Momentum auf seiner Seite. Das, zusammen mit der Überlegenheit der westlichen Waffen, lässt einen überraschenden Erfolg der Ukrainer in den nächsten Wochen möglich erscheinen. Dann wird es nicht nur an der Front heiß, sondern auch in den Entscheiderzirkeln im Kreml.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Türkei meldet Durchbruch bei Verhandlungen: Ohne eine Einigung würde das Abkommen zum Export ukrainischen Getreides am kommenden Donnerstag auslaufen. Nun haben sich Kiew und Moskau offenbar geeinigt. Mehr hier.
  • Prigoschin am Telefon einfach weggedrückt: Der Wagner-Gruppe wurde kurz vor Kriegsbeginn offenbar nur wenig Bedeutung zugedacht. Insidern zufolge stand die Söldnerfirma Redut wesentlich höher im Kurs. Mehr hier. 
  • Der Kreml hat Vorwürfe zurückgewiesen, Russland habe sich in die Präsidentschaftswahl in der Türkei eingemischt. „Wir weisen diese Behauptungen entschieden zurück“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag. „Wir erklären offiziell: Von einer Einmischung kann keine Rede sein.“ Russland schätze seine Beziehungen zur Türkei sehr. Mehr in unserem Liveblog.
  • Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wollen ihre bislang noch an das russische Energiesystem gekoppelten Stromnetze so schnell wie möglich mit dem übrigen Kontinentaleuropa synchronisieren. „Es ist ein baltisches Projekt. Jeder von uns möchte dies beschleunigen und wir tun alles, was möglich ist, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen“, sagte Gastgeberin Kaja Kallas nach einem Treffen der Ministerpräsidenten der drei EU- und Nato-Staaten am Freitag in Tallinn. 
  • Berichte zu möglichen Waffenlieferungen aus Südafrika an Russland alarmieren auch die Bundesregierung. „Ich bin sehr besorgt darüber, dass es diese Berichte jetzt gegeben hat“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Schweden. Man nehme solche Informationen „sehr, sehr ernst“ und werde das Gespräch mit internationalen Partnern suchen.
  • Die Bundeswehr will nach Angaben aus Verteidigungskreisen 18 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 kaufen, um die Lücken nach Lieferungen an die Ukraine zu schließen. Die Bestellung habe einen Wert von 525 Millionen Euro, hieß es in den Kreisen am Freitag. Es solle zudem die Option für den Kauf von 105 weiteren Panzern geben, was das Volumen auf dann insgesamt 2,9 Milliarden Euro erhöhen würde. 
  • Der Streit um Importeinschränkungen für ukrainische Agrarprodukte in bestimmte EU-Staaten spitzt sich zu. Deutschland und zahlreiche weitere EU-Länder haben die Einfuhrbegrenzungen deutlich kritisiert. Die von der EU-Kommission Anfang Mai beschlossenen Maßnahmen seien nicht abgesprochen gewesen und sorgten für ernsthafte Bedenken, heißt es in einem am Freitag bekannt gewordenen Schreiben an die Kommission, das der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt. Neben Deutschland haben auch andere große EU-Staaten wie Frankreich und Spanien das Schreiben unterzeichnet. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird am Samstag in Rom zu einem Treffen mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella erwartet. Am Sonntag wird er dann in Berlin erwartet. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht. 
  • Erstmals seit Kriegsbeginn schickt China einen ranghohen Diplomaten für Gespräche in die Ukraine. Wie das Pekinger Außenministerium am Freitag mitteilte, wird der für Eurasien-Angelegenheiten zuständige Sonderbeauftragte Li Hui ab Montag die Ukraine, Polen, Deutschland, Frankreich und Russland besuchen, um über eine politische Lösung des Konflikts zu sprechen.
  • Fast 15 Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen, dass die Ukraine mit Russland über eine Friedenslösung verhandelt. Kurz vor dem möglichen Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Deutschland plädierten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur 55 Prozent für Gespräche mit dem Ziel der Beendigung des Krieges. Nur 28 Prozent sind dagegen. Auch die von Selenskyj geforderte Einladung der Ukraine in die Nato lehnt die Mehrheit der Befragten ab. 54 Prozent sind dagegen und nur 27 dafür, der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt eine Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. 
  • Das ukrainische Verteidigungsministerium berichtet, dass russische Drohnen und Raketen seit nunmehr zwei Monaten keines ihrer Ziele in der Hauptstadt Kiew getroffen haben. Demnach hat die ukrainische Luftabwehr in diesem Zeitraum alle Angriffe vereitelt.
  • Schweden will die russische Söldnergruppe Wagner auf EU-Ebene als terroristische Organisation einstufen lassen. Sein Land sei bereit, im Kreis der Mitgliedsstaaten einen Konsens zu erarbeiten, sobald die rechtlichen Bedingungen erfüllt seien, sagte Schwedens Außenminister Tobias Billström am Donnerstag der Zeitung „Dagens Nyheter“.

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