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Lehrt Philosophie an der Universität von Paris-Est-Marne-la-Vallée. Corine Pelluchon.

© C H Beck Verlag / (c)FlorianThoss

Was im Angesicht der Klimakatastrophe bleibt: Corine Pelluchons Philosophie der Hoffnung

Die französische Philosophin arbeitet an einer neuen Existenzphilosophie und befasst sich in ihrem jüngsten Buch mit Schmerz, Tod und Hoffnung.

Gründe zum Verzweifeln gibt es wahrlich genug. Wie aber soll man sich Gründe zur Hoffnung vorstellen? „L’espérance, ou la traversée de l’impossible“ heißt das soeben auch auf Deutsch unter dem Titel „Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe“ erschienene Buch der französischen Philosophin Corine Pelluchon.

Sie arbeitet schon länger an einer neuen Existenzphilosophie, in der die Konfrontation mit Schmerz und Tod und damit die Angst so zentral sind wie bei Heidegger oder Kierkegaard, in der das Ich aber auf eine andere Weise mit der Welt verbunden ist. Der Mensch unterscheidet sich in seiner Fähigkeit zur Verantwortung durchaus vom Tier, so ihr Argument, doch Tiere sind gleichfalls empfindende Wesen und bedürfen des Schutzes wie alles Lebendige.

In gewisser Weise steigert das Denken der Professorin für Philosophie an der Pariser Universität Gustave Eiffel zunächst den Schwierigkeitsgrad, ein ethisch vertretbares Leben zu führen, um in der Konsequenz eine gewisse Zuversicht zu erlauben. Sie steckt gerade in der Verletzlichkeit und in der Unabsehbarkeit der Zukunft.

Hoffnung und Optimismus

Was sie Hoffnung („espérance“) nennt, möchte sie vom Optimismus unterschieden wissen. Optimismus bedeute, auch wider besseres Wissen an der Vorstellung eines günstigen Ausgangs festzuhalten, wäre also eine „Form der Verleugnung“, während sie Hoffnung („espérance“) als eine Tugend konzipiert, die erst nach dem dunklen Tunnel der Verzweiflung möglich wird. Das unterscheidet sie auch von Hoffnung als persönlicher Erwartungshaltung („espoir“), wie die Übersetzerin Grit Fröhlich anmerkt.

„Die Durchquerung des Unmöglichen“ arbeitet sich in konzentrischen Kreisen durchs Thema. Manchmal scheinen etwas zu viele Metaphern und Analogien am Werk, etwa wenn das Klimakterium im Verweis auf den deutschen Ausdruck „Wechseljahre“ mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wird. Und doch stellt sich am Ende der Eindruck ein, einem konsequenten Denken gefolgt zu sein.

Die Aufklärung will Corine Pelluchon nicht verabschieden. Sie fordert im Gegenteil eine „neue Aufklärung“, in der die Tierschutzbewegung zum „Kristallisationspunkt“ wird. Anders als beispielsweise der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer in „Tiere essen“ und „Wir sind das Klima!“ versammelt sie in diesem Buch keine Statistiken, in welchem Maß sich der CO₂-Ausstoß durch vegetarische oder vegane Ernährung reduzieren lässt. Ihr Argument ist ethischer Natur: Wie können wir es hinnehmen, unschuldige Lebewesen willentlich derart leiden zu lassen?

Es mangle nicht an Wissen, weder in dieser Frage noch in Hinsicht auf die Klimakatastrophe, eher an der Bereitschaft, sich den damit verbundenen Ängsten zu stellen. Das „alltägliche Massaker an Tieren“ sei der „Ausdruck der totalen Herrschaft der Menschen über fühlende Wesen“. Wir müssten uns eingestehen, „dass unsere Zivilisation gewalttätig ist“, auch wenn es „ein Trauma“ bedeute.

Klimadepression: Ein notwendiger Schritt?

Bewusst ergreift sie Partei „für alle, die unter Öko-Angst leiden“. Das Bekenntnis, mehrmals in ihrem Leben an einer Depression erkrankt zu sein, ist also weniger das Eingeständnis einer Schwäche als ein Zeichen von Expertise. „Klimadepression“ sei ein „notwendiger Schritt“, um den Ausstieg aus einem „Entwicklungsmodell“ voranzutreiben, dessen unerbittlicher Wettbewerb zu einer Zweiteilung der Gesellschaft führe. Die einen könnten ihr Leiden durch Konsum und Freizeitaktivitäten kompensieren, die anderen fühlten sich sozial geächtet.

Vieles ist aus der französischen Situation heraus konzipiert, etwa die Vorstellung vergangener Größe. Aber das Erstarken nationalistischer und autoritärer Parteien ist bekanntlich ein europäisches Phänomen geworden, ebenso wie der Schrecken über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, dem mit den terroristischen Angriffen der Hamas auf Israel neues weltpolitisches Katastrophenpotential zugewachsen ist.

Ein „Zeitalter des Lebendigen“

Von einer „anthropologischen Revolution“ zu sprechen, einem neuen „Zeitalter des Lebendigen“, in dem sich ein „Humanismus der Alterität und der Diversität“ behaupten kann, ist dennoch nicht naiv. Allerdings setzt es ein ans Kontrafaktische grenzendes Vertrauen in jene „Vorboten“ voraus, die eine Wendung zum Besseren ankündigen. Dazu rechnet sie die wachsende Sensibilität für den Tierschutz, von dem sie erwartet, dass er auf längere Sicht zu einem „ebenso großen zivilisatorischen Wandel führen“ wird „wie ehemals Domestizierung und Ackerbau in der Jungsteinzeit“.

Die 1967 geborene Philosophin wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Günther Anders-Preis für kritisches Denken. Wer sie noch nicht kennt, kann mit diesem schmalen Band in ihr Werk einsteigen, das unter anderem eine „Philosophie der Ernährung und der Umwelt“ umfasst („Les Nourritures“, 2015, deutsch „Wovon wir leben“), ein „Manifest für die Tiere“ („Manifeste animaliste“, 2017) und eine „Ethik der Wertschätzung“ (Ethique de la considération“, 2018).

Ihre „Ethik der Verletzlichkeit“ modifiziert das Modell der Leiblichkeit, wie es für die Phänomenologie Merleau-Pontys charakteristisch ist, in eine ökofeministische Richtung. Dabei setzt sie darauf, dass sich die Ökologie als emanzipatorische Kraft entwickelt, die es erlaubt, den Menschen in seinen Beziehungen zur Welt und zu anderen Lebewesen anders zu denken: jenseits des Natur-Kultur-Dualismus und der klassischen Subjekt-Philosophie mit ihrer Verherrlichung vermeintlicher Unabhängigkeit.

Insofern ihr Begriff der Hoffnung ein „Ja-trotz-alledem“ meint, hat das Konzept wechselseitiger Abhängigkeiten auch in Zeiten der Verdüsterung einen gewissen Vorteil, zumal die „Offenheit für das Unerwartete“ immer auch eine Wendung zum Besseren bedeuten kann. So infinitesimal dieser Vorsprung erscheinen mag, leugnen lässt er sich nicht.

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