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Wirtschaft: China übt sich im Schnellkurs Demokratie

Die zentrale Parteischule der chinesischen kommunistischen Partei galt lange als Friedhof für politische Ideen und Karrieren. Aber unter Hu Jintao, dem Vizepräsidenten der Volksrepublik China, öffnet sich die Trainings-Akademie der Partei.

Die zentrale Parteischule der chinesischen kommunistischen Partei galt lange als Friedhof für politische Ideen und Karrieren. Aber unter Hu Jintao, dem Vizepräsidenten der Volksrepublik China, öffnet sich die Trainings-Akademie der Partei. Sie lehrt westliches Management, lädt ausländische Dozenten ein und diskutiert über einst Undenkbares: Wie man die Partei auf eine demokratischere Zukunft vorbereiten kann.

Dies lässt ahnen, welchen Weg China unter Hu einschlagen wird, wenn er - wie erwartet - im kommenden Herbst zum Vorsitzenden der kommunistischen Partei und wenige Monate später zum Staatspräsidenten gewählt werden. Der 59-jährige Hu ist im Ausland wie in China kaum bekannt, er hat lange aus dem Hintergrund gearbeitet. Ein näherer Blick auf seine Karriere offenbart jedoch eine ganze Reihe von Reform-Leistungen. Zudem ist er von Technokraten mit gleicher Einstellung umgeben, die ihn wahrscheinlich in den inneren Zirkel begleiten werden.

Eines der Markenzeichen der Neuen sind Testballons für neue politische Praktiken, wie beispielsweise Probewahlen für Führungspositionen in ausgesuchten Dörfern. Die Unterdrückung politischer Gegner und ethnischer Minderheiten werden jedoch auch sie nicht beenden. Hu selbst hat 1989 in Tibet das Kriegsrecht ausgerufen, um Proteste der Unabhängigkeitsbewegung zu ersticken. Dass Hu und Kollegen an die Macht kommen, ist noch nicht sicher, doch genießen sie mehr Unterstützung als alle zukünftigen Führer Chinas in den vergangenen Jahrzehnten.

Hu Jintao wurde in Shanghai als Sohn eines Teehändlers geboren. 1959 wurde er a der angesehenen Pekinger Tsinghua-Universität zugelassen und durfte Ingenieurwesen studieren. Seine politische Karriere in der Hauptstadt begann er als Sekretär einer Tanztruppe der kommunistischen Jugendliga. Während der Kulturrevolution Ende der 60er Jahre übernahmen dann radikale Maoisten die Universität und Hu wurde in die verarmte Hinterland-Provinz Gansu geschickt.

Dort baute er Häuser für ein Dammprojekt und stieg in den Konstruktionsbüros der Provinz auf. Zehn Jahre später kamen dann Reformen - und für Hu Jintao ein Führungsposten in der Jugendliga. Er wurde zum politischen Aufsteiger: Im Alter von 39 Jahren war er jüngstes Mitglied des Zentralkomitees der Partei und innerhalb weniger Jahre der jüngste Parteiführer in der Provinz, zuerst in Guizhou, dann in Tibet. Schon damals zeigte er sich pragmatisch und unabhängig. In der chronisch armen Provinz Guizhou ermutigte er beispielsweise Bauern dazu, Produkte für den Verkauf anzubauen.

Zurück in Peking ging Hu heikle Fragen an, die an die Privilegien der Partei rührten. Als Mitglied des Ständigen Komitees des Politbüros - des obersten Entscheidungsgremiums Chinas - stellte er Regeln auf, die Nepotismus verhindern sollten, und setzte Standards für die Ausbildung und Beförderung in Regierungsjobs.

Dass Hu die Grundlagen des Systems gerne in aller Stille neu gestaltet, ist gerade in der Zentralen Parteischule sichtbar. Früher wurden dort die Kader auf die marxistischen Dogmen eingeschworen. In den vergangenen fünf Jahren jedoch wurde unter Hus Leitung der Lehrplan neu gestaltet und ähnelt jetzt mehr dem Master-Programm einer US-Universität. Ungefähr 1500 Studenten nehmen in jedem Jahr teil, angefangen von Parteisekretären aus den Provinzen bis hin zu Führungskräften aus den Staatsbetrieben und Provinzgouverneuren.

Außer den Theorien von Marx und Mao nimmt diese elitäre Gruppe auch den Rest der Welt unter die Lupe. Man studiert Wirtschaftswissenschaften, Politik, Rechtssysteme, Militärwesen und Wissenschaft und Technik, es gibt gemeinsame Forschungsprojekte mit ausländischen Einrichtungen und Gastredner aus dem Ausland. Die Schule hat jetzt ihr erstes Institut für Außenpolitik und ein wiederbelebtes Zentrum für komparative Politik, das Konzepte wie Gewaltenteilung und andere Glaubenssätze liberaler westlicher Demokratien untersucht.

Eines der gewagtesten Projekte der Schule berührt gar die Zukunft der Kommunistischen Partei. Auf Geheiß der Führung hat man damit begonnen, den Zusammenbruch der Sowjetunion und der Einparteien-Regierungen in Mexiko und Indonesien zu studieren, daneben die erfolgreiche Transformation der deutschen SPD und die jahrzehntelange Vorherrschaft der japanischen Liberaldemokraten. "Früher war die Reform der Partei ein Tabu-Thema, jetzt reden wir fast nur noch davon", sagt ein Professor.

Einer von Hus Verbündeten könnte der derzeitige Vize-Premier Wen Jiabao sein, ein fähiger Technokrat und der erste Kandidat für die Nachfolge Zhu Rongjis als Premierminister. Für Zhu hatte Wen die schwierigen Themen Entwicklung ländlicher Regionen und Finanzen bearbeitet. Obwohl er keine Ahnung vom Kreditwesen hatte, machte er sich daran, den hoch verschuldeten Bankensektor wieder flott zu bekommen. Er ließ sich einfach ein Team Spezialisten kommen.

Wie Hu hat sich auch Wen als politischer Überlebenskünstler erwiesen. Er arbeitete unter drei Parteiführern in Folge und entging den Säuberungen, die auf die Niederwerfung der Demokratiebewegung des Tiananmen-Platzes von 1989 folgten. Das ist ein Zeugnis für seine Kompetenz, aber gelegentlich wird auch die Kritik laut, er habe kein Rückgrat.

Eine weitere Figur in einer möglichen Hu-Regierung ist Zeng Quinghong, der Sohn eines Veterans der Revolution, der Mao Tse-tung nahe stand. Zeng ist Berater des Präsidenten Jiang Zemin. 1999 übernahm er die mächtige Organisationsabteilung der Partei - eine Position, die er noch immer innehat. Von dort aus hat in aller Stille eine Reform-Agenda ausgearbeitet, die perfekt zu Hus Arbeit passt. So wurden etwa die Testwahlen von seiner Abteilung beaufsichtigt.

Er hielt aber auch Regionalregierungen dazu an, öffentliche Anhörungen abzuhalten, Hotlines einzurichten und beim Gesetzgebungsverfahren die Öffentlichkeit zuzulassen. Solche Maßnahmen sind darauf gerichtet, das wachsende Misstrauen zwischen Regierung und Öffentlichkeit in den Griff zu bekommen.

Die meisten dieser Projekte finden ohne große Ankündigungen statt, und das soll auch so sein. Chinesische Führer haben schon immer allzu selbstständige potentiellen Erben abgesägt, wenn sie zu unabhängig erschienen. Hu scheint sich den Rat eines gescheiterten Nachfolgers Maos zu Herzen genommen zu haben: "Sei passiv, passiv und noch einmal passiv." Selbst auf seiner Westeuropa-Reise im vergangenen Herbst hielt er sich an dieses Rezept: Er wich weder von der Linie der Regierung ab noch gab er seine eigene Einstellung zu erkennen.

Charles Hutzler

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