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Wirtschaft: „Die Unternehmen können deutlich mehr bezahlen“

Jörg Hofmann, Chef der IG Metall Baden-Württembergs, über die Tarifrunde, die Binnennachfrage und Fünfminutenpausen

Herr Hofmann, am Aschermittwoch wollen Sie in Baden-Württemberg mit Warnstreiks beginnen. Stehen Ihre Truppen?

Vor Streiks stehen zuallererst Verhandlungen. Ende Februar endet die Friedenspflicht für den Lohnrahmentarifvertrag II. Dabei geht es um die Organisation und Leistungsbedingungen für die sehr belastende Arbeit am Band und im Akkord. Die Beschäftigten werden dafür eintreten, dass es keine Verschlechterungen gibt. Genauso werden sie für mehr Geld kämpfen, denn die Ertragslage der Firmen ist ausgezeichnet – nicht nur in Baden-Württemberg.

Die Maschinenbauer – in Baden-Württemberg besonders stark vertreten – werfen der IG Metall vor, sie verspräche ihren Leuten „das Blaue vom Himmel“.

Das Blaue vom Himmel gibt es nicht auf Erden. Es ist vielmehr notwendig, sich einzusetzen und gegebenenfalls auch für etwas zu kämpfen. Darauf bereiten wir uns sehr verantwortungsvoll vor. Die Unternehmen können deutlich mehr bezahlen, und die gesamte Wirtschaft wartet auf den Schub durch eine höhere Binnennachfrage.

In den vergangenen Jahren sind Tariflohnerhöhungen verpufft, weil sie oft auf übertarifliche Zulagen angerechnet wurden. Unterm Strich gab es sinkende Reallöhne.

Das stimmt so nicht. In Baden-Württemberg hatten wir 2005 eine tabellenwirksame Tariferhöhung von zwei Prozent, und davon sind 1,9 Prozent bei den Beschäftigten angekommen. Wenn in den letzten Jahren die Effektivlöhne deutlich schwächer gestiegen sind als die Tariflöhne, dann hängt das damit zusammen, dass die Tarifbindung abnimmt, also mehr Firmen unterhalb des Tarifs zahlen. Auch der Trend zu prekären Arbeitsverhältnissen, den so genannten Minijobs und Leiharbeit, hat gesamtwirtschaftlich betrachtet die Effektivverdienste sinken lassen. Mit einer ordentlichen Lohnerhöhung halten wir dagegen.

Gut die Hälfte der Produktion der Metall- und Elektroindustrie geht ins Ausland, weitere 20 Prozent sind Investitionsgüter für das Inland. Wie soll da die Branche durch eine Lohnerhöhung profitieren?

Es gibt durchaus Firmen, die unter der schwachen Binnennachfrage massiv leiden. Das ist die gesamte Konsumgüterindustrie. In Baden-Württemberg etwa WMF oder Märklin. Auch im Fahrzeugbau, der weißen Ware und den baunahen Metallprodukten ist die Binnennachfrage von hoher Relevanz. Auch Investitionsgüter werden erst dann geordert, wenn eine Auslastung erwartet wird. Die deutsche Wirtschaft exportiert seit Jahren mit steigendem Erfolg, trotzdem haben wir kein ausreichendes Wachstum und schon gar nicht genügend Arbeitsplätze. Also müssen wir die Binnennachfrage stärken.

Hat sich die Tarifpolitik von dem Ziel verabschiedet, Beschäftigung zu schaffen?

Überhaupt nicht. Ich habe doch gerade erläutert, welche Bedeutung höhere Löhne für die Kaufkraft, die Binnenkonjunktur und damit auch Wachstum und Arbeitsplätze haben. Wenn jemand gut bezahlt wird, dann gibt es auch Nachfrage nach guter Arbeit. Die Unternehmen entwickeln sich, verbessern oder verteidigen ihre Wettbewerbsfähigkeit, erhöhen die Auslastung und können zusätzliches Personal einstellen. Und unser Maßstab ist und bleibt auch die Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Die Lohnstückkosten haben sich gerade bei Metall und Elektro die letzten Jahre ständig nach unten entwickelt.

Die Arbeitgeber weisen auf die große Spreizung in der Branche hin: einerseits glänzend laufende Betriebe, andererseits Pleitekandidaten. Trotzdem schert die Tarifpolitik alle über einen Kamm.

Das stimmt nicht. Der Flächentarif bietet ausreichend Differenzierungsmöglichkeiten, etwa in leistungs- und ertragsbezogenen Komponenten. Allein in unserem Tarifgebiet schwanken die Löhne um bis zu 30 Prozent bei gleichwertiger Arbeit zwischen den Betrieben. Aber wir kümmern uns auch um Beschäftigungs- und Standortsicherung. Für rund 230 000 der 500 000 baden-württembergischen Metallarbeitnehmer haben wir den Schutz vor Kündigung und Zusagen in Standortsicherung und Investitionen vereinbart.

Die bekommen alle weniger als Tarif?

Nein, der überwiegende Teil liegt auf Grund von Zulagen oder Sonderregelungen über dem Tarif. In schätzungsweise 90 Unternehmen haben wir auch Abweichungen nach unten zugelassen. Dafür haben wir vor zwei Jahren in Pforzheim einen Tarifvertrag vereinbart. Wenn die Unternehmen gute Gründe vorbringen und das auch belegen, dann verweigern wir uns nicht der befristeten Abweichung vom Tarif auch nach unten. Das wird aber immer die Ausnahme bleiben.

Immerhin hat selbst IG-Metall-Chef Jürgen Peters eine Kopplung des Weihnachtsgeldes an die Ertragslage der Firmen vorgeschlagen: je höher der Gewinn, desto höher das Weihnachtsgeld – und umgekehrt.

Das war ein Vorschlag von Jürgen Peters auf der tarifpolitischen Konferenz der IG Metall im vergangenen Oktober. Die Arbeitgeber haben ihn nicht aufgegriffen. In der anstehenden Tarifrunde wird daher dieser Vorschlag kaum eine Rolle spielen. Auch deshalb, weil wir mit einheitlichen Bedingungen gut fahren.

Neben dem Geld geht es in der Tarifrunde auch um Qualifizierung und Innovationen. In Baden-Württemberg gibt es bereits seit knapp fünf Jahren einen Qualifizierungstarifvertrag. Was hat der gebracht?

Nach anfänglichem Zögern wird der Vertrag genutzt. In drei von vier Betrieben finden inzwischen jährliche Qualifizierungsgespräche statt. Grundsätzlich war es schwierig, die Betriebe für das Thema zu sensibilisieren, weil sie meinen, sie könnten das alles allein. Dagegen stand unsere Erfahrung über das reale Geschehen in Sachen Weiterbildung. Wir wollten einen Impuls setzen für Personalentwicklungsprozesse und werden das tarifpolitisch weiter flankieren.

Sind baden-württembergische Metaller besser qualifiziert als solche Metaller, die keinen Qualifizierungstarif haben?

Das will ich nicht sagen. Es bleibt aber festzustellen, dass wir in Baden-Württemberg das einzige westliche Bundesland sind, in dem es in den letzten zehn Jahren eine positive Beschäftigungsentwicklung bei Metall und Elektro gab. Gleichzeitig hatten wir eine hohe Dynamik in der Beschäftigtenstruktur, im Wechsel von Arbeitern zu Angestellten, und die Zahl der An- und Ungelernten ist zurückgegangen.

Brauchen wir für diese Gruppen, aber auch für Jugendliche und Ältere, also die Problemgruppen des Arbeitsmarktes, nicht auch Hilfen durch die Tarifpolitik – vielleicht niedrigere Einstiegstarife, wie sich das die Arbeitgeber vorstellen?

Nein. Damit würden wir nur den Trend zu Billiglöhnen forcieren. Vielmehr ist Prävention wichtig, die Weichen werden in Familie, Schule und Ausbildung gestellt. Mit unserem Ziel, künftig auch in der Tarifpolitik stärker Weiterbildung und Qualifizierung zu regeln, aber uns auch für humane Leistungsbedingungen einzusetzen, tragen wir unseren Teil dazu bei, so vielen Beschäftigten wie möglich die Zukunft zu sichern.

Die Tarifauseinandersetzung in Baden-Württemberg dreht sich nicht zuletzt um den von Ihnen schon erwähnten Lohnrahmen II, der unter anderem Erholzeiten von fünf Minuten pro Stunde für Bandarbeiter vorsieht – die so genannte Steinkühlerpause. Ist das, gut 30 Jahre nach der Einführung, noch zeitgemäß?

Warum denn nicht? Wir haben inzwischen ein Denken drauf, dass gute Leistungen für die Arbeitnehmer etwas Schlechtes sind. Aber dafür muss man sich doch nicht schämen, im Gegenteil. Zumal die Arbeitsbedingungen sich nicht grundsätzlich an diesen Arbeitsplätzen gewandelt haben. Würden wir uns die fünf Minuten wegnehmen lassen, käme das einer Kürzung um 8,6 Prozent gleich. Warum sollten wir darauf verzichten?

Vielleicht, weil das Teil der „baden-württembergischen Krankheit“ ist, wie der frühere Mercedes-Chef Hubbert meinte?

Mit diesem Bonmot wollte Herr Hubbert womöglich von der verfehlten Modellpolitik ablenken, unter deren Folgen nun die Beschäftigten zu leiden haben, weil Mercedes mehr als zehntausend Arbeitsplätze abbauen will. Mit den vermeintlich hohen Kosten hat dieser Stellenabbau überhaupt nichts zu tun, sondern mit Managementfehlern.

Ist die baden-württembergische Wirtschaft trotz oder wegen der starken IG Metall in so guter Verfassung?

Beide Varianten wären für sich allein genommen vermessen. Doch es gibt kein Bundesland mit einem höheren Organisationsgrad in den Arbeitgeberverbänden, höheren Löhnen, wettbewerbsfähigeren Firmen und weniger Arbeitslosen. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei unter sieben Prozent. Und mit einem guten Tarifabschluss werden wir dazu beitragen, dass das so bleibt.

Das Interview führte Alfons Frese.

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